AKUT

WIENERIN-GSCHICHTL-DRUCKERIN

Christian Jandrisits

Janina Lebiszczak erinnert sich an die goldene Zeit von Print. Und damit an die WIENERIN, dem wahrscheinlich saftigsten Frauenmagazin, das die Welt je erblickt hat. Nach 38 Jahren wurde es eingestellt – oder pardon: neu positioniert. Im WIENER ziehen wir den Hut vor der ­kleinen, ­großen Schwester.

Text: Janina Lebiszczak

Überrascht hat es mich nicht. Als mit Ende des Vorjahres die Nachricht vom Aus für die WIENERIN die Runde machte, reagierte ich gefasst. Meine Februar-„Schlawienerin“-Kolumne sollte nicht mehr erscheinen. Mit der letzten Chefredakteurin Birgit Brieber war ich nach über 20 Jahren in den Redaktionspool zurückgekehrt. Und nach nur einem Jahr des Comebacks wurde dieser trocken gelegt. Endgültig.

DAS ALLERERSTE COVER – Die wunderbare Pilar Goss schmückte das Cover der WIENERIN-Nullnummer, die im Herbst 1985 präsentiert wurde.


Aus, das war es für mich schon einmal. Ab 2004 regierte bei der WIENERIN der Rotstift. Außerdem zogen wir von der charmanten Heller-Zuckerlfabrik in die Geiselbergstraße, auch „Geiselhaftstraße“ genannt. Großraumoffice mit Ausblick auf die Tangente, daneben ein riesiges Puff. Einmal wurde sogar mein Auto aufgebrochen und meine alten Turnschuhe wurden entwendet. Warum auch immer.
Heute aber mag ich mich an die fetten Zeiten erinnern. Denn die Lücke, die die WIENERIN hinterlässt, ist riesig. Austauschbarer Content, artige Berichterstattung, flache PR-Storys dem Anzeigenkunden zuliebe – das gab und gibt es zuhauf. In Frauenmagazinen, die dir Kuchenrezepte präsentieren, gefolgt von Schlank- und Schminkanleitungen. Ich wollte das nie. Deshalb schlug ich zuerst beim WIENER auf, auch weil ich anfänglich Bedenken hatte, dass in einem Frauenteam Zickereien an der Tagesordnung stehen könnten.

WIENERIN – Unsere kleine/große Schwester

Mein erster Chefredakteur war also Wolfgang Höllrigl, der „Bluthund des Boulevards“. ­Legendäre, wilde Zeiten. In den Redaktionsräumlichkeiten – damals im fernen Klosterneuburger Büropark – ging es manchmal heftiger zur Sache als im Backstagebereich eines Rockkonzerts. „Wolf of Wall Street“ nichts dagegen. Und ich noch so blutjung und verhältnismäßig unschuldig. Hat sich schnell geändert. Und so hinterließ ich dem WIENER – als ich in die Schwesternredaktion wechselte – eine Sexkolumne. „Pandoras Box“ wurde regelmäßig geöffnet, doch statt Unheil und Seuchen entfleuchten ihr zotige Texte über eine junge Frau, die sich völlig enthemmt durchs ganze Land vögelt. Sex sells – und wurde in den frühen 2000er-Jahren noch deutlich unverkrampfter (oder vielleicht: un­reflektierter?) präsentiert. Aber wir nahmen uns auch seiner unangenehmen Facetten an: Im ­August 2003 erschien einer der aufsehenerregendsten Artikel in der Geschichte der WIENERIN: Eine weibliche Abgeordnete schilderte ihre Erfahrungen mit angeschickerten, grapschenden Kollegen im Parlament. Ja, die WIENERIN war damals schon #metoo.

UNSERE ODE AN DEN PENIS.
Aber bevor ich zu den vielen anderen Gschichtln komme, noch ein kurzer Versuch der Chronolo­gie: Die WIENERIN wurde 1985 vom Metro-Verlag des Werbe­agen­turchefs Hans Schmid gegründet und erschien erstmals im Mai 1986, also lange vor meiner Zeit. In dieser allerersten WIENERIN schrieb die damalige Chefredakteurin Marga Swoboda einen Kommentar mit dem Titel „Mein Gott, Schwester Johanna“ und nahm damit Bezug auf die damalige erste Frauenstaatssekretärin Johanna Dohnal, die die Gründung dieser neuen Zeitschrift ablehnte und ein Interview verweigerte. Keine Ahnung, wa­rum. Ich war ja erst elf.
Mit 22 dann lernte ich sie endlich kennen: Die Frau, die mir alles über das Schreiben und vieles über das Leben beibrachte. Dr. Veronika Pelikan, Spitzname: Cici. Mit TwinSet, Lederrock und Bettie Page-Pony. Wie es die WIENERIN-Chefredakteurin und Co-Herausgeberin geschafft hat uns in all unserer prachtvollen Unterschiedlichkeit zu zähmen – ich weiß es nicht. Personalführung war sicherlich ihre größte Stärke. Und der Mut. „Hans Schmid hat uns wirklich alle Freiheiten gelassen, er war ein großartiger Chef“ erinnert sie sich: „Aber trotzdem hatte ich Bammel als ich die Story „Der Penis – Aufzucht und Pflege“ auf das Cover hob. Eigentlich habe ich mit einem Rauswurf gerech­net.“ Rausge­worfen wurde niemand. Doch unser Interesse am männlichen Unterleib blieb. Unvergessen deshalb auch: Die Penis-Torten-Geschichte in damals noch deutlich konservativeren Zeiten: Wir riefen bekannte Konditoreien durch und bestellten diese sehr spezielle Köstlichkeit. Die, die nicht sofort erbost auflegten, haben auch geliefert. Ein lukullischer Hochgenuss, den wir in der Redaktion gemeinsam ­zelebrierten.

SAFTIG UND SELBSTBESTIMMT.
Die Wienerin war saftig, selbstbestimmt, lebensfroh, neugierig, lustvoll und provokant. Wir setzten Trends, wir liefen ihnen nicht hinterher. Und wir liebten Männer. Der Mann als Sexobjekt – das würde heute wahrscheinlich keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Oder eine woke Empö-rungswelle provozieren, keine Ahnung. Aber wir zeigten einmal pro Monat das Gustostückerl der jeweiligen Ausgabe. Nackt oder zumindest spärlich bekleidet. Ich glaube, sogar Jörg Haider zog blank. Markus Schenkenberg detto und der schöne Christian Niedermeyer. Wir hatten es satt immer nur sexualisiert zu werden, wir wollten selbst sexualisieren. Also ließen wir auch die Verantwortlichen, sprich: Werber strippen. Fünf heimische Top-Kreative, die in ihren Kampagnen oft nackte Tatsachen sprechen ließen, probten den Rollenwechsel. Mit Humor setzte Starfotograf Udo Titz Kapazunder wie Alois Schober, damals Chief Executive Officer bei ‚Young & Rubicam Vienna’, ins rechte Licht.

JANINA & VERONIKA heute in der Redaktion von wechselweise.net

GELEBTE VIELFALT OHNE FINGERZEIG.
Aber wir konnten auch anderes. Bei der WIENERIN wurde Diversity gelebt, lange bevor diese in den Mainstream glitt. Vielleicht waren wir sogar Geburtshelferinnen. Regenbogen-Paare wurden mit nonchalanter Selbstverständlichkeit ins Heft gehoben, ohne groß zu betonen, dass sie nicht heterosexuell lieben. Eine Facette der Wirklichkeit braucht kein Ausrufezeichen. Die Cover haben wir übrigens stets selbst produziert. Und nicht nur einmal den Fotografen den „Male Gaze“ auf das Model untersagt. Unser Cover-Models sollte Stärke ausstrahlen, nicht Bereitschaft. So lernte ich Feminismus, der nicht ausgrenzt, ich lernte Vielfalt, bevor sie zum Schlagwort wurde. Ich lernte es, meine Liebe zum Leben und dem Menschen zum Beruf zu machen. Karen Müller hatte damals die nicen Beziehungsgeschichten gepachtet, ich die Gesellschaftspolitik und die Obszönitäten. Enttabuisierung ist ein Prozess, der auf unterschiedliche Weise zu seinem erfreulichen Ziel führen kann – zu mehr Freiheit und Wohlbefinden. Man kann es laut und plakativ angehen. Amüsant und auf erfrischende Weise demaskierend. Provokant. Intellektuell und mit Bedacht. Ich finde: Am besten funktioniert es alltagstauglich, also en Passant. Warum sollte nur präsentiert werden, was mal unter „Norm“ verstanden wurde und nicht mehr der Realität entspricht? Hausfrau oder Hure – wir bestanden auf maximale Balance. Und um diese zu erreichen, wurde auf moralische Überlegenheitsgefühle und Fingerzeige verzich­tet. Wir wollten erreichen, dass die Leser:innen ihr Weltbild aufgrund von der dargebotenen Vielfalt formen – und ihnen dabei nichts vorschreiben. Verände­rung passiert. In diesem Fall: sanft. Aber nachhaltig. Das waren wir dem Zeitgeist schuldig. Und uns selbst.

FÜHRUNGSTEAM IN DEN NULLERJAHREN: SYLVIA STEINITZ (links) und KAREN MÜLLER

EIN TEAM, SO UNVORSTELLBAR UNTERSCHIEDLICH.
Ich glaube, dieses UNS war der „unique selling point“ der WIENERIN in ihrer Cash Cow-Zeit. Frauen mit völlig unterschiedlichen Lebensentwürfen arbeiteten Hand in Hand. Da gab es keine Zickenkriege wie anfangs befürchtet. Veronika, Karen, Daniela, Waltraud, Silvia, Svetlana, Andrea, Johanna, Gabi, Christine, Moni, Martina, der stets bestens gelaunte Re­dak­tions­bote Achmed, Gerhard Kummer als Quotenmann – ein echtes Power-Team. Im Sommer wurde es in der Zuckerlfabrik unerträglich heiß. Da saßen wir dann im BH vor den bunten I-Macs. Kettenrauchend, versteht sich. Geschmuggelte Tschick-Stangen brachte ein zweifelhafter Kerl regelmäßig in die Davidgasse. Und als eines Tages der wütende Ex einer Kollegin die Redak­tions­räumlichkeiten stürmte, wurde er von Produktionslegende Rubi Huber unsanft hinausgeworfen.
Was für intensive, intime ­Zeiten waren das, dieses gemein­same Blattmachen bei prallen Budgets. Herrlich! Ich glaube, der Gipfel der Herrlichkeit wurde dann erreicht als mit Gundi Bittermann die WIENERIN kecken Nachwuchs bekam. In der MISS gab es keine Limits. Ich habe Höschen per Post an Stars verschickt und mich als blutjunger Fan ausgegeben, samt Telefonnummer zur Verab­redung. Grissemann reagierte humorvoll, auch der Pressesprecher von Karl Heinz Grasser. Nur einer – ein doch recht bekannter Sänger – der wollte meinem Alter Ego
unbedingt an die Wäsche. Er rief so oft an, bis mir der Reis ging. Gundi musste ran und erhielt einen epochalen Anschiss. Immerhin, der Gute war gerade Vater geworden. Was er dann so unbedingt von einer Minderjährigen wollte, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

WIENERIN – die „kleine Schwester“, die sich schließlich anschickte, den Bruder im Laufe der Jahre sowohl puncto Auflage als auch wirtschaftlich zu überholen …

DIE WIENERIN WAR DER TRIP MEINES LEBENS.
Irgendwann war dann aber der Saft raus aus der einst so saftigen WIENERIN. Unsere Pauschalen wurden immer später überwie­sen, das Budget schrumpfte, ­Veronika ging ab. Ich blieb noch drei Monate, stieg kurzfristig in die Chefredaktion auf – und dann ebenfalls aus. Rückblickend: Die WIENERIN, das war der Trip meines Lebens. Gelesen habe ich sie weiterhin. Und mich über das Comeback des Penis unter Chefredakteuerin Barbara Haas gefreut: „Der ‚Goldene Penis‘ wurde für sexistische Sager an Personen des öffentlichen Lebens verliehen, unter den Preisträgern befanden sich u.a. Peter Pilz, Roman Rafreider, ­Michael Ludwig und sogar Papst Franziskus. Das kann der katholischen Styria nicht getaugt haben.“ Barbara brachte auch die feminine Finanzwelt ins Heft, ihre Nachfolgerin Birgit addierte die Frauengesundheit. Hat aber alles nichts mehr genützt. War die WIENERIN dem Zeitgeist entwachsen? Hat das Internet sie umgebracht oder die vielen anderen Frauenmagazine, in denen der Markt seine heißbegehrten Anzeigen schalten konnte? Sind Frauenmagazine noch zeitgemäß oder machen wir jetzt besser Menschenmagazine?
Die Lücke ist groß, die die WIENERIN hinterlässt. Ihre journalistische sowie menschliche Qualität war einzigartig. Heute arbeite ich wieder mit Veronika Pelikan zusammen, für unsere Plattform wechselweise.net – gerade hat auch Gesundheitspro Birgit Brieber unser Team bereichert. Nun geht es dem Tabu des Alters an den Kragen. Wir können es einfach nicht lassen, das Enttabuisieren. Der Spirit der WIENERIN ist nicht umzubringen. Er lebt in uns allen weiter. Die WIENERIN ist tot, lang lebe die WIENERIN!

Addendum:
Mit dem Erscheinen dieser WIENER-Ausgabe erscheint sie dann doch: Die neue WIENERIN. „Magazinmarke gerettet“, hieß es euphorisch noch im März 2023, diesen April ist sie wieder auferstanden – unter dem Dach der „Bundesländerinnen“. Tatsache: Das langgediente City Girl wird ihren Charme nun vom Land aus versprühen. Giftgrün, so prangte ihr Logo zunächst auf den Social Media Seiten (in echt ist es nun weiß). Giftgrün, so kann man auch meine erste Reaktion beschreiben. Der Beginn einer neuen Ära, lese ich dazu auf Instagram. Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, ist morgen verwitwet, kann ich dazu nur sagen. Passt mir nur ja auf diese Pflanze auf, liebe Kolleg:innen. Sie ist nicht zart. Sie ist stark, saftig und einzigartig.

… die neue Ausgabe ist auf www.wienerin.at zu lesen