AKUT
Unfassbar. COOL.
So ein Zeitgeist definiert sich auch stets durch die von ihm identifizierten Sehnsuchtsphänomene. Nur zu blöd dann, wenn sich so ein begehrtes Sehnsuchtsphänomen von den vereinnahmenden Normdiktaten des Zeitgeistes schon aus Prinzip entspannt distanziert. Oder aber auch nur ziemlich cool eben.
FOTOS: Alamy, Smeg, Michael Köckritz, Ramp
Pretty Cool
Text: Michael Köckritz
Ob cooler Typ, coole Sonnenbrille oder coole Party: Cool ist positiv und macht attraktiv. Cool ist alles, was irgendwie hip, im Trend oder in ist. Alles soll cool sein, alle wollen cool sein. Cool gibt sich bewundernswert und ist begehrt – und kann daher auch leider alles sein. Omnipräsenter Universalstempel zur Beschreibung von Personen, Gegenständen, Situationen und Stimmungen und wolkiges Sehnsuchtsphänomen zugleich. Laut Trendforscher Matthias Horx ist „cool“ sogar das meistbenutzte Wort der Neunziger. Heute allgegenwärtig. Das Attribut cool ein Modewort. Zur freien Verfügung gestellt.
Inflationär, meist inhaltsleer, fluffig. Alles und damit eben auch nichts.
Oder?
Der Versuch, den Begriff einmal wirklich präzise zu fassen gleicht dem sprichwörtlichen Vorhaben, einen Pudding an die Wand zu nageln. Cool ist kein feststehender Begriff, keine Kategorie oder gar eine quantifizierbare Größe. Der Versuch einer akribischen wissenschaftlichen Festlegung erinnert dann auch oft sehr schnell an Heisenberg und seine fröhlichen Quanten, die sich dummerweise genau dann nicht mehr exakt bestimmbar benehmen, wenn bzw. weil man sie beobachtet. Nicht infolge methodisch behebbarer Unzulänglichkeiten, sondern aus Prinzip. Aber ließe sich dieses cool einfach fassen oder gar präzise messen, wäre es schon mal nicht mehr – oder zumindest weniger – cool. So eine Unbestimmtheitsrelation also schon einmal ein elementarer Teil der faszinierenden Anziehungskraft.
COOL TOOL
Ein Plattenspieler (hier ein Burmeester 175), ein Rennrad, ein Auto (etwa ein Porsche, der 550 Spyder wird wenig später den neben ihm stehenden James Dean killen) eine Uhr, ein Kugelschreiber. Es gibt so viele coole Tools, denen man es zumeist gar nicht ansieht, cool zu sein. Man weiß es einfach, schlag nach bei „Priming“
Cool ist man ausschließlich im Vergleich. So gehört Cooles und Uncooles zusammen, bildet ein geschlossenes System mit ganz eigenen Dynamiken und Gesetzmäßigkeiten. Wenig Cooles steht immer einer Übermacht des Uncoolen gegenüber. Mainstream und Populärkultur müssen jetzt sehr tapfer sein: Dem Massengeschmack der gängigen Massenkultur wird Coolness immer verwehrt bleiben. Coolness und Mehrheit schließen sich grundsätzlich aus. Cool ist nie normal, normal ist nie cool. Kommt cool auch nur in die Nähe eines Normwertes ist es rasch vorbei mit dem echten Zauber. Langweilig sind dann sowieso diejenigen, die sich anpassen. So etwas wie Wokeness und Political Correctness? Eher nicht. Ideologische geprägte Belehrungskulturen dann schon gar nicht. Die Dynamiken zeitgeistlicher Erregungsmuster dürfen andere ausleben. Cool sind die, die mit einem eigenen Wertesystem eigene Vorstellungen leben und unerschrocken ihr Ding durchziehen. Der Kern von Coolness liegt in der gelebten Autonomie. Das an dieser Stelle schon einmal zur Einstimmung auf die rebellische Note von Coolness. Wogegen sich die Rebellion richtet, ist auch nicht immer auf Anhieb allen klar, sicher aber sind Konventionen mit im Spiel. Auch deshalb entwickelt sich so ein cool bevorzugt in Subkultur und im ästhetischen Untergrund.
Ich suche die blaue Blume,
Ich suche und finde sie nie,
Mir träumt, dass in der Blume
Mein gutes Glück mir blüh.
Joseph von Eichendorff (1788–1857)
Der Gelassenheitsirrtum
Das Ausblenden des Unwichtigen
Aber was ist Coolness, was macht cool zu sein im Detail aus? Die Abstraktion dann über abgrenzende Gegenblicke. Am einfachsten ließe sich cool negativ beschreiben: Cool sein besteht vor allem darin nicht uncool zu sein, könnte man festhalten. Okay, irgendwie – und jetzt? Besser man hakt sich nuancierter ein. Am Begriff „Gelassenheit“. Im Duden und überhaupt gerne als Synonym für „Coolness“ verstanden – und kolossal daneben. Denn wenn Coolness etwas wirklich nicht ist, dann ist es Gelassenheit. In der Philosophie steht „Gelassenheit“ für eine philosophische Richtung aus der Blütezeit des Hellenismus: den Stoizismus. Stoiker streben – etwas vereinfacht formuliert – danach, ihr Los in der göttlichen Weltenordnung mittels fortwährender Einübung emotionaler Selbstbeherrschung seelenruhig zu akzeptieren und dank einer gemütlichen Gelassenheit schließlich Glück und Weisheit zu erfahren. Gelassene Menschen lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Coole Menschen unter Umständen schon. Und wie. Gelassene Rebellen? Undenkbar. Seelenruhige oder gar gemütliche wollen wir uns dann gar nicht erst vorstellen. Lieber machen wir uns ein Bild von coolen Rebellen. Passt besser. James Dean, Jack Kerouac, Steve McQueen, Debbie Harry bieten sich etwa auf Anhieb an. Coolness praktiziert nie Gleichgültigkeit. Coolness nimmt ernst, fokussiert engagiert. Auf und für das, was von Bedeutung ist. Alles Unwichtige wird nebensächlich oder komplett ausgeblendet. Coolness distanziert sich mit einer souverän unaufgeregten Selbstverständlichkeit. Coolness heißt Distanz.
COOL (von engl.: cool = kühl, kalt; Substantiv: Coolness) ist ein im Deutschen ursprünglich jugendsprachlicher Anglizismus, der in die Umgangssprache eingegangen ist. Im Netzjargon auch „KWL“ geschrieben.
WIKIPEDIA
Nahbar unnahbar
Ein wärmender Schutzanzug für den richtigen Abstand
Eine der besten Definitionen von traditioneller Coolness beschreibt eine Haltung, die sich oberflächlichen, «falschen» Reizen und Emotionen verschließt, um die «echten» Gefühle zu schützen: lieber nichts preisgeben als etwas, das auf irgendeine Weise kompromittiert, nicht ganz und gar wahrhaftig sein könnte. Coolness begegnet uns jenseits eines kulturellen Codes, Diskurses und ästhetischer Leitlinie als ideale Kältestrategie. Mit so einer coolen, absoluten Lässigkeit gewinnt man entspannt Abstand zu den Dingen, legt sich und seinen Gefühlen gleichsam einen wärmenden Schutzanzug an. Sollen die eingefrorenen Ideale, kühlen Herzen und frostigen Beziehungen und überhaupt diese ganze kalte Welt ruhig kommen. Distanz zur Welt und ihren Erscheinungen. Coolness ist unbekümmert um die Meinungen von außen. Mitunter gibt sich das nicht wirklich unkompliziert im Leben, wirkt aber unter Umständen ganz elegant und äußerst attraktiv. Dabei erlebt man Coolness auch immer etwas entrückt, sogar, wenn sie sich anfassen lässt. Oder gerade dann. Im Effekt eine ganz spezielle Ausprägung der Unnahbarkeit: nahbar unnahbar.
Kennen Sie den? Er ist das supercoole Alter Ego des eh schon coolen Snoopy. Und er ist Surfgott.
Verblüffungsfest
Das Charisma des coolen „Who Cares?!”
Coolness weiß um ihre Andersartigkeit – und kultiviert sie bevorzugt stimmig in einer ganz eigenen, typischen Einstellung und Haltung. Das Stichwort: Athaumasie. In der praktischen Philosophie der Antike als „Verwunderungslosigkeit“ bezeichnet. Die Eigenschaft eines Menschen, über nichts zu staunen oder sich zu wundern – insbesondere nicht über jene Aufgeregtheiten des Lebens, durch die sich die breite Masse gewöhnlich leicht aus der Fassung bringen lässt. Für die Moderne vom Philosophen Hermann Lübbe prägnant in „Verblüffungsfestigkeit“ übersetzt. Reichtum, Ehre oder Macht kein Thema, Neid und Gier unbekannt. Schließlich hat man seine eigenen Prioritäten, Werte und Vorstellungen. Das Verfolgen einer eigenen Linie. Freiheit, Autonomie, das eigene Ich. In der Zielorientiertheit steht hier das Charisma für etwas, was Solomon Snyder, die Koryphäe der Neurowissenschaften an der Johns Hopkins University, das „audacity principle“ nennt – die Überzeugung von der eigenen Mission, gegen alle Widerstände. Das Charisma eines coolen „Who Cares?!“
Cooles entzieht sich mit Vorliebe den allgemein geltenden Bewertungsmaßstäben, mindestens werden diese partiell ignoriert. Und hier wird es wirklich spannend: Sich geltenden Maßstäben zu entziehen ist relativ einfach, doch ist die Gefahr groß, sich fröhlich aus dem Wertesystem zu katapultieren, nicht mehr vergleichbar zu sein – mit dem Risiko, sich als Freak am Rand der Gesellschaft wiederzufinden. Ein feines Gespür für diese unsichtbare, von den Dynamiken des Zeitgeistes stark zensierende rote Linie zu haben, ist bei aller Autonomie immer hilfreich. So finden sich die vermeintlich Coolen oder das vermeintlich Coole schon mal unvermittelt – ohne sich irgendwie geändert oder bewegt zu haben – diesseits der Grenze des Normalen oder jenseits der Grenze des Absonderlichen.
Selbstdistanz
Cool as a Cucumber
Cool begegnet man den Dingen ruhig, mutig und elegant. Und vor allem fröhlich, gut gelaunt. Leidenschaftslos und sachlich-nüchtern geben sich nur übereifrige Anfänger. Die wirklich Coolen verhalten sich nämlich nicht nur meist besonnen und freundlich abgeklärt, sie beweisen vor allem Humor. Humor ist eine geniale Strategie, um sich von den Dingen zu distanzieren. Und von der eigenen Person. Wer sich augenzwinkernd selbstironisch über sich und seine Schwächen, Marotten und Fehler herzlich amüsieren kann, lebt Coolness als wunderbar entspannte Haltung. Man nimmt die Dinge ernst – aber sich nicht selbst. Oder man ist, wie die Angelsachsen, die Erfinder der Coolness, sagen „Cool as a cucumber“. Self deprivation, auf Deutsch Selbstironie (wörtlich übersetzt: Selbst-Aberkennung) ist bei den Briten Teil des kulturellen Erbes. Pompöse Verstiegenheit, Bitterernst und Selbstherrlichkeit zutiefst unerwünscht. Dies sind zufällig auch samt und sonders Eigenschaften, die überhaupt nicht cool sind. Cool dagegen Understatement und eine trockene Unerschütterlichkeit. Selbstdistanz, Selbstabstraktion, Selbsttranszendenz. Der distanzierte Unernst, vor allem in der Selbstbetrachtung, ist ein englischer Wert schlechthin. Und eine besonders sympathische Essenz von Coolness.
So eine fröhliche Attitude hilft dann auch im prinzipiellen Umgang mit Coolness. Denn absichtlich herbeiführbar ist Coolness dann eher nicht. Wer unbedingt cool sein will, ist es schon deswegen nicht. Wer Regeln der Coolness aufstellt, ist uncool, was in etwa meint: angestrengt, und das Anstrengungslose ist elementarer Bestandteil des Zustands cool.
Coolness gibt es nicht nach Direktiven – oder zumindest nach fast keinen. Coolness wird gelebt und behauptet, aber nie als Hauptereignis der Erscheinung. Cool ist nur, was nebenbei und entspannt unabsichtlich eben einfach cool wirkt. Cool ist man – oder man ist es leider nicht. Entweder echt – oder echt peinlich. Kurz und schmerzlos: Wer cool sein will, hat schon verloren.
COOLE TYPINNEN – Lauren Bacall, Quentin Tarantino, Richard Gere (v.l.n.r.). Coolness als Ausstrahlung, Antrieb, Job
Und überhaupt: kann man gar nicht cool sein. Man kann nur von anderen als cool bewertet werden. Der Eindruck und das Erleben von Coolness manifestiert sich immer in relevanten Zusammenhängen. Authentizität prägt hier das Spiel. Das Leben als Bühne in einem Theater, bei dem wir uns Ausstattung aneignen und Verhaltensweisen leben, die unsere Mitmenschen wie ein Publikum beurteilen.
Aber auch so etwas sollte man dann locker sehen. —-
Michael Köckritz: Der freundliche Macher
Man muß ja aufpassen, wie man jemanden beschreibt. Besonders nachdem man gerade gelesen hat, wie man es nicht macht. Aber man kommt wohl an dieser Stelle nicht drum rum, den Mastermind hinter der in Stuttgart und Reutlingen ansässigen „konsequenten Kombination aus einer contemporary Luxus-Medienmarke mit deinem intergrierten Studio für Design und contentbasierte Markenarbeit“ namens ramp.space als cool zu bezeichnen. Viele der hier bereits beschrieben Eigenschaften treffen auf den 1956 in Geislingen an der Steige geborenen Menschen mit der ruhigen und beruhigenden Ausstrahlung zu. Er hat ein treffsicheres Sensorium für die schönen Dinge im Leben und kann diese Erkenntnisse dann auch in Worte und Bilder fassen. Oder eben auch fassen lassen.
Das Buch zur Story ist im Februar erschienen, die Ausstellung dazu startete ihre Welttournee im Februar im Porsche Design Store zu Stuttgart und kommt demnächst auch
nach Wien. Infos: www.ramp.space
Michael Köckritz arbeitete als Autor und Fotograf, wurde dann Mitherausgeber des Auto-Lifestyle-Magazines „AutoFocus“, sorgte nebenher mit seiner Agentur für das Marketing des Heftes und gründete nachgerade folgerichtig im Jahr 2007 gemeinsam mit Christian Gläsel das Auto-Kulturmagazin ramp. Line-Extensions beschäftigen sich mit Design, Reise und Männern, die Titel erscheinen auch in englisch und chinesisch.
Gelegentlich schreibt Köckritz ein Buch, wenn ein Topic seiner Meinung nach mehr Beachtung benötigt. Dann entstehen Dinge wie „Coolness – Die lässige Eleganz der Freiheit“, dessen Inhalt der Text auf diesen Seiten subsummiert. Und wenn die Sache, wie in diesem Fall, mit einem Buch noch immer nicht ausreichend auserzählt ist, dann kommt halt noch eine Ausstellung hinzu. Die gerade auf Tour geht. Über den Stopp in Wien werden wir informieren.