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Dirk Stermann: Der Leierschwanz
Dirk Stermann kolumniert seit Jahren im WIENER, heißt wöchentlich Österreich willkommen und ist erfolgreicher Autor. Außerdem ist er Ornithologe, was wir in seiner Kolumne in der Frühlingsausgabe des WIENER erfahren durften ….
Paintings: public domain
Es gibt Menschen, die sind nicht wie der australische Leierschwanz. Die Leierschwänze sind Vögel, deren Federn aussehen, als wären sie in ein Spinnennetz geraten. Sie verbringen einen großen Teil ihres Lebens hüpfend am Waldboden und scharren mit ihren kräftigen Füßen und Krallen nach Insekten. Es ist kein schöner Vogel, wenn man ehrlich ist. Grau oder braun, dazu diese fadenförmigen Federn. Aber er kann fantastisch singen. Der schiarche Hund unter den Vögeln bezirzt die ebenso schiarchen Weibchen durch die großartigste Singstimme innerhalb der Vogelwelt. Der Leierschwanz hat das ausgeprägteste Stimmorgan aller Vögel und hat dadurch ein unerreichtes Potential zur Nachahmung von Geräuschen jeder Art. Er kann die Singstimme jedes anderen Vogels mit Leichtigkeit nachmachen. Aber eben nicht nur Artgenossen, er kann auch Menschen und Maschinen sofort perfekt imitieren, sobald er etwas einmal gehört hat.
In Gefangenschaft lebende Leierschwänze können HipHop performen, aber auch den Sound von Kameraverschlüssen oder Alarmanlagen. David Attenborough hat sie dabei gefilmt und weltweit berühmt gemacht. Es ist unglaublich. Sie sampeln Sounds und tanzen dazu. Sie komponieren, schreien wie ein menschliches Baby, klingen wie eine Kettensäge. Man nennt ihn den King of Pop der Vogelwelt.
Ich habe einem Leierschwanz Reden von Waldhäusl und Landbauer vorgespielt. Er blieb stumm.
„Was ist, Leierschwanz?“, rief ich. Er zeigte mir sich selbst, also einen Vogel und sagte so etwas wie: „Für manchen Scheiß bin ich mir zu schade!“
Ach, Leierschwanz. Manchmal kann man es sich nicht aussuchen. Der Leierschwanz ahmte dann das Weinen eines Kindes im türkisch-syrischen Grenzgebiet nach und sagte sinngemäß: „Empathie is, what counts, Forrest Toilet and Countryfarmer!“
Ich verstand den Leierschwanz und dachte mir: es ist immer die gleiche Leier. Die rechten Recken rülpsen etwas Ungustiöses und man schreit auf, weil es gar so unsympathisch ist. Kinder im Fernsehen rassistisch schikanieren? Hilfe für ein Erdbebengebiet kritisieren, weil es Ausländern zu Gute kommt und nicht Niederösterreichern?
Er machte ein
Dirk Stermann (WIENER 454)
Geräusch, das so klang wie die
Zitate von
Waldhäusl und Landbauer, aber ohne Worte.
Wenn, was ich niemals hoffe, in Niederösterreich mal irgendetwas passiert, hat der Leierschwanz mir gesagt, würde er sogar den beiden „Dolmen“ (Zitat Leierschwanz) helfen. Im Tierreich gäbe es übrigens auch Unsympathler.
Aber, lieber Leierschwanz, soll man das dann hinnehmen oder sich aufregen? Regt man sich darüber auf, haben Forresttoilet und Countryfarmer doch wieder genau erreicht, was sie wollten. Das wir uns erregen.
Erregen ist gut, sagte der Leierschwanz, den ich, je länger ich ihn ansah, gar nicht mehr so schiarch fand. „Wenn ich erregt bin und eine Leierschwänzlerin ansinge, kommen immer die besten Songs raus. Und wenn ich Glück habe, findet sie den Song so cool, dass sie vergisst, wie hässlich ich bin!“
„Ach, was, Leierschwanz“, sagte ich. „Du siehst doch eigentlich ganz interessant aus!“
„Interessant ist die depperte Schwester von Hässlich“, sagte er und machte ein Geräusch dass so klang, wie die Zitate von Waldhäusl und Landbauer, aber ohne Worte. Es war, wie soll ich es sagen, wie ein Würgen. Oder das Fluggeräusch eines Auswurfes. Glibberig und gelblich-grün klang es. Verrückt, dachte ich. Dieser schräge Vogel kann Gefühle in Sounds übersetzen. Ich kann manchmal nicht einmal Gefühle in Gefühle übersetzen.
Ich fing an, ihn zu bewundern. Dann erst wurde mir klar, dass der Leierschwanz ja gar nicht sprechen, sondern nur perfekt menschliche Stimmen nachmachen kann. Und trotzdem hatte ich mich doch mit ihm sinnvoll unterhalten. Ich war verwirrt. Wahrscheinlich, so nehme ich an, hatte er dieses Gespräch über Waldhäusl und Landbauer schon öfter geführt, oder artverwandte Gespräche. Weil es immer die gleiche Leier ist mit den Rechtspopulisten. Immer schon. Gell, Leierschwanz?
Er sah mich an und machte das Geräusch der Kettensäge, die einen Baum fällt. Ich lachte. Er starrte mich entsetzt an und deutete mit seinen riesigen Federn hinter mich. Da kam ein Baum. Verdammt, er hatte die Kettensäge gar nicht nachgemacht…