AKUT

BACKSTAGE – Hinter der Bühne lauert seit Rammstein die Sünde

Franz J. Sauer

Er gehörte stets zum Begehrtesten, das es bei einem Rockkonzert zu ergattern galt: Der Backstage-Pass. Dann kamen Rammstein und die Causa Lindemann. Und plötzlich wurde der geheimnisvolle Ort hinter der Bühne zum Sündenpfuhl, vor dem man Menschen schützen muss. Bloß ein Paradigmenwechsel oder das Ende des Rock’n’Roll? Wir ließen einen Insider aus dem Nähkästchen seiner 20 Jahre im Rock-Geschäft erzählen.  (BACKSTAGE – Hinter der Bühne lauert die Sünde/WIENER 455)

Aufgezeichnet von: Franz J. Sauer /Fotos: Alex Pisecker

Mir war es eigentlich schon immer ein Rätsel, was die Leute hinter der Bühne wollen. Was sie sich dort erwarten. Was die glauben, was dort abgeht. Wenn ich am Schalter, wo es die Presse- und Gewinnerkarten gab, vorbeikam und dort auf enttäuschte Gesichter traf, weil sie soeben NUR Gratiskarten ohne Backstage-Zugang oder ein sogenanntes „Meet&Greet“ für das Konzert erhalten hatten. Das waren übrigens immer Mädels UND Buben, von denen ich hier rede. Wenn sie mich dann auch noch angehaut haben, weil wir uns zufällig irgendwoher kannten, oder auch nur, weil sie irgendwie an meinem Working-Pass erkannt haben müssen, dass ich zum Veranstalter gehörte, dann hab ich immer gefragt: „Steht ihr auf verschwitzte Männer in Arbeitsgewand, die Kisten durch die Gegend schieben? Oder was erwartet ihr euch von da hinten? Was glaubt ihr, dass dort abgeht?“ 

Romantisches Mysterium Backstage

Der Backstage-Bereich wurde immer ­romantisiert. So lange ich mich erinnern kann. Es gehörte zum Nimbus des Rock’n’Roll, dass diese Menschen, die da auf der Bühne eineinhalb Stunden lang ihre ­Gitarren würgen und sich die Seele aus dem Leib brüllen, ihr ganzes Leben so führen, als sei es ein riesiges Rockkonzert. Und wenn du dann einmal dabeistehst, wie der Manager einen Alice Cooper am Bühnenrand abholt und sofort in ein Handtuch wickelt, weil der sich gerade fünf Kilo runtergeschwitzt hat und kaum mehr reden kann vor lauter Anstrengung, dann geht viel von dem romantischen Bild, dass man vom Sündenpfuhl hinter der Bühne hat, verloren. Klar gibt es Geschichten zu erzählen, wenn man 20 Jahre dabei ist und mit den Stars auf Tuchfühlung geht. Einmal haben wir Tischtennis gespielt mit Peter Gabriel, während der Klavierstimmer da war und er nicht soundchecken konnte. Art Garfunkel ist einmal am Nachmittag vor der Show eine halbe Stunde lang im hinteren VIP-Raum der Stadthalle gestanden, weil er aus Prinzip keine Türen angreift und ihn sein Assistent dort „vergessen“ hatte. Einmal hat der Security-Typ am Backstage-Eingang sich fast mit Ian Gillian von Deep Purple geprügelt, weil der seinen Backstage-Pass in der Garderobe vergessen hatte und der Türmann ihn nicht gleich erkannte. Gillian war daraufhin so wütend, dass er den Gig abblasen wollte. Bis zur Backstage-Party hatte er sich dann aber wieder beruhigt. Und wenn Ihr wissen wollt, was dort dann abging: Er hat mit einer Akustikklampfe einen kleinen Aftershow-Gig für Friends und Family gespielt. Ganz zahm, ganz züchtig. Nix ruchloses, nix drogengeschwängertes. Einfach nur schrummschrumm und aus. Nachher gingen die von der Band duschen und die Gäste fuhren nach Hause.

Groupie-Legenden im Backstage-Bereich

Wir kennen alle die Stories und Geschichten von Super-Groupies wie Pamela des Barres oder Cynthia Plaster Caster, über die habt ihr ja letztens, kurz nachdem sie verstarb, sogar im WIENER geschrieben. Alle haben sie einen Mythos darum aufgebaut, mit den Rockstars im Bett gewesen zu sein. Und sie haben ganz gut davon gelebt, Cynthia von ihren Gips-Schwänzen, Miss Pamela von ihren Büchern. Eines davon heißt: „I’m with the Band“. Das sagt schon einiges aus: Nämlich, dass sie bereits mit der Band gekommen ist und ihren Backstage-Pass vom Künstler direkt bekommen hat. Tatsächlich haben bei uns sicher unzählige Male irgendwelche Mädels geglaubt, wenn wir sie hier als lokaler Veranstalter hinter die Bühne lotsen, lernt sie dort dann endlich ihren Schwarm, den Bassisten oder Schlagzeuger von irgendeiner Band kennen und der verliebt sich dann unsterblich in sie und dann reist sie mit ihm um die Welt. Oder aber sie hat für immer was zum Erzählen, wenn sie mit ihm da hinten was weiß ich was anstellt, nach der Show.

Backstage-Faux Pas bei Steven Tyler

Einmal, ich war noch nicht allzu lange dabei, hab ich mir einen ziemlichen Rüffel eingefangen von meinem Boss. Ich habe eine Freundin mitgenommen, zu einem Festival wo Lenny Kravitz und Aerosmith aufgetreten sind. Lenny hatte seinen eigenen Trailer im Hof, Aerosmith waren in den Büros des Stadions, ich glaub, in Linz war das, untergebracht. Meine Freundin war ein wunderschönes Mädel, tolle Figur, ich glaube, ich war ziemlich verliebt in sie. Und weil ich ihr imponieren wollte, hab ich sie mit hinter die Bühne genommen. Da waren sie nun also, all die Stars und Roadies, bauten ab, schoben Kisten durch die Gegend und dann war da plötzlich auch Steven Tyler. Verschwitzt, abgekämpft nach drei Stunden Show, im Bademantel. Als ihn meine Freundin sah, lief sie plötzlich auf ihn zu und rief, „Steven, Steven, I love you!“ Tyler, sichtlich erstaunt, sah sie an von oben bis unten, wich kurz zurück, als sie ihn am Arm nahm, aber sie plauderte weiter auf ihn ein, versuchte dauernd, ihm ein Küsschen aufzudrücken. Irgendwann dann umarmte er sie, lachte in die Runde, ich meine, wir standen da ja alle herum und wußten nicht, wie uns geschah, und sagte zu ihr „Honey, I love you too, believe me. But I am sick and tired now and just want to go home.“ Und was fiel ihr dazu ein? Sie zog ihr Top nach unten und präsentierte Steven Tyler und uns allen ihre wirklich wunderschönen Brüste. Da ergriff Steven endgültig die Flucht. Und ich bekam Knäcke, aber wie.

Sperrt ihn weg!

Klar, ich weiß wie das alles jetzt klingt. Wie das übliche „selbst schuld, wenn sie einen kurzen Rock an hat und dann vergewaltigt wird.“ Aber das meine ich nicht. Gar nicht. Ich will damit nur sagen: Wenn da jetzt schlaue Onkels wie Rudi Dolezal oder, was weiß ich wer, im Fernsehen erzählen, das war schon bei Elvis so, „you wanna see Elvis? you got to see me first.“, dann führt das die Menschen auf eine völlig falsche Fährte. Genauso wie es vollkommener Blödsinn ist, was die Grünen und sonstige selbsternannte Moralapostel da jetzt fordern, von wegen, Konzerte im Happelstadion sind per se gefährlich für Frauen und man muss sie absagen, um ein Zeichen zu setzen. Ich meine, kann man von den Menschen kein bisschen Eigenverantwortung mehr verlangen? Es zwingt sie keiner, in irgendeinen Backstagebereich zu gehen. Oder in eine Row Zero. Das hieß früher mal Fotografen-Graben und es ist nun die neueste Unart, dort Menschen reinzuholen, die viele Follower auf Instagram oder sonstwo haben, damit sie viele Fotos vom Konzert machen und diese dann auf ihren Kanälen verbreiten. Das ist also ein Gegengeschäft, Promotion, sonst nix. Wenn Rammstein wirklich eine eigene Crew von Leuten hatte, die irgendwelche Mädels ausgesucht haben, die sie dann hinter der Bühne betäubt haben, damit sie mit diesem grausigen Lindemann Sex haben: Hey, dann sperrt den Kerl und seine Gehilfen ein und werft den Schlüssel weg. Aber, und ich weiß, was ich jetzt sage, kann man so heutzutage eigentlich gar nicht mehr sagen, wurscht, ich sags trotzdem: Es finden sich in den Fanscharen von Rammstein sicherlich eine Menge Girls und Frauen, die gar nichts dagegen hätten, mit Herrn Till vor, während oder nach dem Gig in irgendeinem Kabäuschen zu verschwinden und Sachen zu machen. Und nein, die sind sicherlich nicht alle unansehnlich und häßlich oder beides. Aber wenn ich da jetzt von irgendeiner „Mitarbeiterin des Veranstalters“ lese, die sich immer schon dachte, „es ist nicht richtig, was ich da tue“, dann muss ich sie mit meinen gut 150 Shows auf dem Buckel schon fragen: Was hast Du denn schon Großes getan, ausser irgendeinen Eingang zu bewachen oder am Notausgang zu stehen und dabei halt zu beobachten, wie Leute hinter der Bühne ein- und ausgingen? Was hättest Du dagegen tun können, oder eigentlich: sollen? Eigenverantwortliche, erwachsene Menschen daran hindern, freiwillig irgendwohin zu gehen und irgendetwas zu tun, was sie gar nicht tun müssten, und, worum sie in den allermeisten Fällen davor gebettelt hatten? Nämlich um den depperten, heiligen Backstage-Pass? 

Die Popkultuer und das Machtgefälle

Ich habe, seitdem das Thema letzthin in den Medien hochkam, mit vielen Menschen, vor allem außerhalb des Showbiz, darüber gesprochen. Und ich muss sagen, ich bekam da auch eine Sichtweise präsentiert, die ich bislang noch nicht auf dem Schirm gehabt hatte. Nämlich, dass manche Mädels, vornehmlich junge natürlich, aufgrund ihrer Erziehung in unserem patriarchalen System gar nicht auf die Idee kommen, nein sagen zu können. Quasi meinen, es wäre ihre Pflicht, irgendwem irgendwo einen Blowjob zu geben, bloß weil er ein Star ist oder bloß weil sie zu ihm hinter die Bühne gedurft hatten. Ich gebe zu, das mag so sein, auch wenn ich es mir schwer vorstellen kann und es macht mich extrem traurig, widert mich richtig an. Ich wurde in einer Zeit sozialisiert, als man als Bub eher Angst vor Zurückweisung hatte, wenn man ein Mädel ansprach, auf das man stand, die Frau war für uns gefühlt immer die Stärkere, die sagt, was Sache ist und dass die irgendwas tun müsse, weil sich das so gehört, war ganz weit weg für uns. Klar ist das was anderes, hinter der Bühne oder bei der Aftershow-Party mit einem Superstar. Aber zu dem in letzter Zeit vielfach als ach so böse und gefährlich benannten „Machtgefälle“, das zwischen Star und Fan herrscht und das der Star dann irgendwie ausnutzt, dazu ist vor allem eines zu sagen: Unsere ganze Branche lebt von diesem Machtgefälle.

Der Star steht OBEN auf der Bühne und die Fans stehen UNTEN und bewundern ihn dafür, was er da oben macht. Das ist übrigens nicht nur im Rock’n’Roll so. Das ist in der Staatsoper genau dasselbe, oder in einem klassischen Konzert, oder, was weiß ich, im Burgtheater. Das ganze Showbusiness lebt von diesem „Ungleichgewicht“. Und wenn sich 35.000 junge Menschen in Glitzerfummel wickeln, weil sie ins Stadion zum Harry Styles gehen, damit sie ihm vielleicht gefallen und dann auch aussehen wie er – was ist daran per se oder von vornherein gefährlich oder verwerflich? Soll man das wirklich verbieten? Klar, man soll die Menschen, egal ob Mädels oder Buben (glaubt mir, so ein entfesselter Boy George im U4, nach der Show im Adrenalinrausch, der ist für viele gefährlich, aber am wenigsten für junge Mädels …) ermutigen, ermächtigen, ihnen klar machen, dass sie immer und überall das Recht haben, „Nein!“ zu sagen, dass man nichts von ihnen erwartet oder zu erwarten hat. Aber deswegen eine ganze Rockshow zu einem einzigen Sündenpfuhl zu ernennen? 50.000 Menschen zu potentiellen Opfern abstempeln? Das ist doch bitte nichts als Bullshit … 

Das Ende des Backstage-Kultes

Ach ja, noch was. Ich schwöre beim Leben meiner Katze: Mir wurde noch nie, nie, nie auch nur ansatzweise Sex oder ähnlich Anrüchiges angeboten, wenn ich dafür einen Backstagepass oder Afterparty-Karten rausrücke. Zwar haben das sogar Freunde von mir immer wieder geglaubt, dass das so läuft. Aber es war nie so. Und wir haben den Teufel getan, irgendwelche Drogen zu beschaffen, wenn irgendwelche Acts sowas bei irgendwelchen Aftershow-Parties von uns verlangt oder zumindest erbeten haben. Ich würde in letzterem Punkt nicht meine Hand für alle Kollegen in der Branche ins Feuer legen, ich kann nur von mir selbst berichten und wenn einer aus meinem unmittelbaren Team sowas getan hat, flog er sofort raus. Sowas schafft Abhängigkeiten. Und ich weiß nicht, wie das bei Rammstein gelaufen ist und in welchem Verhältnis die nun geschaßte Mitarbeiterin, die für das „Mädelsbeschaffen“ zuständig war, wirklich zur Band stand. Fest steht: mit dem Lindemännchen-Skandal hat sich das Thema Backstage und so weiter wohl endgültig erledigt.

Und ich sage euch was: Den meisten Managements und Veranstaltern ist das nur recht. Weil die wenigsten Künstler haben wirklich große Lust darauf, ihre Fans beim Meet & Greet in Echt zu treffen. Sie machen es, weil es ihr Job ist. Und weil man es von ihnen, hm, irgendwie erwartet.