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Marianne Bachmeier – So bin ich wirklich
(Archivbeitrag WIENER/Jänner 1984) Erst waren die Illustrierten voll mit der Geschichte von Marianne Bachmeier, die den Mörder ihrer Tochter erschoß -jetzt sind es die Kinoprogramme: gleich zweimal wurde ihr Leben verfilmt, beide Filme kommen noch diesen Monat ins Kino. Die wirkliche Bachmeier sitzt im Gefängnis. Doch 24 Stunden bevor sie ihre Haftstrafe antrat, sprach sie, die sonst immer nur Objekt der Berichterstattung ist, zum ersten Mal selbst:
Text: Carsten Holst/Foto: US-Press
.. Die Liebe in mir ist tot, und ohne sie hat das Leben keinen Sinn mehr. Ich kann nicht mehr lieben, ich fühle die Kälte in mir, sie hüllt mich ein wie eine Zwangsjacke:·
„Manchmal sage ich zu meinem Mann Rolf, daß ich ihn liebe -aber ich sage es nur, weil ich weiß, daß er mich mehr liebt als irgendjemand anderen auf dieser Welt. Ich lüge, und er weiß das.“ Die Ärzte haben mir gesagt, daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich meine Emotionen wieder normalisieren und daß sie dazu beitragen können. Aber ich will das nicht. Niemand soll an mir herumreparieren. Ich habe nur mehr einen Wunsch: Ich will zu meiner Tochter Anna. Für mich war nur Anna wichtig, und als sie starb, bin auch ich gestorben.“
,,ICH HABE MICH geweigert, an den Filmen über mich mitzuarbeiten. Es säh sonst so aus, als würd ich mich öffentlich entschuldigen. Aber ich habe mich nicht zu entschuldigen.“
Marianne Bachmaier blickt auf und lächelt unsicher. Sie entschuldigt sich weil sie an ihrem Nagellack herumkratzt. Jetzt schenkt sie mir schwarzen Kaffee nach. Sie selbst trinkt Cognac. Und raucht Zigaretten, als müßte sie den Weltrekord brechen, eine nach der anderen.
Schön ist sie, trotz ihrer 33 Jahre. Trotz der 18 Monate, die sie in Untersuchungshaft verbrachte. Ihr Lächeln wirkt warm und sympathisch. Sie trägt eine Cordsamthose und einen selbstgestrickten Pullover. Nervös zeichnet sie kleine Figuren auf einen Notizblock. Auf dem Kaminsims stehen zwei Madonnenfiguren, auf dem Bücherbord eine Shakespeare-Ausgabe und Bände mit Liedtexten von Wolf Biermann. Das Telefon läutet. Zum hundertsten Mal aber Marianne Bachmeier hebt nicht ab.
In weniger als 24 Stunden wird Marianne Bachmeier ihre Reststrafe von 31 Monaten antreten. Ihr Köfferchen hat sie schon gepackt, es steht neben der Eingangstür. regnet. Warum es gerade heute
draußen regnet fragt sie. ,,ich hätte gerne Sonne gehabt, an meinem letzten Tag in Freiheit.“
Marianne Bachmeier ist die Hauptperson in einem der meistdiskutierten Prozesse der Kriminalgeschichte. Am 6. März hatte sie im Gerichtssaal den Fleischergesellen Klaus Grabowski erschossen. Grabowski war angeklagt, ihre siebenjährige Tochter Anna zunächst vergewaltigt und schließlich erwürgt zu haben. Marianne Bachmeier wurde für den Mord am Mörder ihrer Tochter Ende 1982 zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.
„Man hat mich gefragt, ob ich bereue, Klaus Grabowski erschossen zu haben. Aber wie kann ich etwas bereuen, wenn ich heute noch nicht weiß, wie es dazu kam. Ich frage mich noch heute, wie ich einen anderen Menschen umbringen konnte. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Nur Erklärungen.“
Marianne Bachmeier schwelgt in der Überzeugung, daß ihr eigener Tod die einzige Lösung ihrer Probleme sei.
„Zwei Tage nach Annas Ermordung erwarb ich ein Grab für zwei. Ein paar Tage später wurde Anna dort begraben. Es war der schrecklichste Tag meines Lebens. Ich schaute hinunter in die Grube und das Grab schien mir entsetzlich groß für den kleinen Kindersarg. Als die Erde von der ersten Schaufel fiel, wußte ich, daß ich nie mehr glücklich sein werde, bis ich wieder bei Anna bin. Das ist jetzt drei Jahre her, und seither hat sich eigentlich nichts geändert.“
Wie oft hat Anna Bachmeier seither versucht, sich umzubringen? Sie weiß es nicht mehr genau. ,,Ich weiß nur eines: in den 545 Tagen U-Haft verging kein Tag, an dem ich nicht an Selbstmord gedacht habe. Und ich habe es fast jeden Tag irgendwie versucht. Einmal habe ich’s mit meinem Leintuch versucht. Aber als ich vom Sessel sprang, sah ich plötzlich mein Gesicht im Spiegel, es war ganz rot und fürchterlich aufgequollen. Da dachte ich mir, so sollen sie dich nicht finden, und habe das Leintuch wieder aufgeknüpft. Das war der einzige Selbstmordversuch, den ich selber abgebrochen habe!“
„Einen Selbstmord kann man nicht exakt planen. Ich kann jetzt nicht sagen, nächsten Dienstag um zehn Uhr bringe ich mich um. Aber ich kenne mich. Ich war ja schon früher im Gefängnis und weiß daher, daß meine Chancen, diesmal lebend rauszukommen, relativ gering sind.“
„ICH KANN NICHT mehr lieben, ich bin so verhärtet, daß ich weder nehmen noch geben kann.“
„Ich träume jede Nacht von Anna, es ist immer derselbe Traum, und er läuft in Zeitlupe ab. Für mich wird Anna jede Nacht aufs Neue ermordet, und ich kann es nur durchstehen, wenn mein Mann Rolf meine Hand hält und da ist. Im Gef1ingnis wird mir Rolf nicht mehr beistehen können, da bleibt mir nur mehr der Selbstmord.“
Daß sie so bitter ist, tut ihr leid. Ihr Lieblingsautor Biermann schreibt: ,,Laß dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit“, aber sie kann sich nicht daran halten. ,,Das ist mein Problem. Ich bin so verhärtet, daß ich weder nehmen noch geben kann.“
„Ich weiß, die Leute sagen, ich sei eine schlechte Mutter gewesen. Ich kann darüber nicht urteilen, aber ich weiß, daß ich niemals jemandem absichtlich weh getan habe. Ich habe drei Kinder zur Welt gebracht, und heute stehe ich ohne ein einziges da. Ist das ein Beweis dafür, daß ich eine schlechte Mutter bin?“
,,Ich war 16, als ich meine erste Tochter -sie heißt Tina- bekam. Seither habe ich versucht, eine gute Mutter zu sein. Ich habe meine Kinder nie freiwillig weggegeben oder sowas. Ich mußte sie außer Haus geben, sicher, aus verschiedenen Gründen, aber ich hatte immer vor, sie zurückzuholen, sobald es nur irgendwie geht, wenn die Kinder und ich dafür bereit sind.“
„Es ist richtig, daß ich Ann,abevor sie noch zur Welt kam, zur Adoption freigeben wollte. Ich war damals 22, lag im Krankenhaus und hatte das Gefühl, mein ganzes Leben zu verpfuschen. Ich war seit meinem 16. Lebensjahr Mutter und hatte ganz einfach keine Lust auf ein zweites Kind. Aber kurz nach der Entbindung lag ich in einem Bett am Gang, und eine der Schwestern legte mir Anna in den Arm. Sie lag einfach da und schaute wie alle Neugeborenen -und da entschied ich mich: ich gebe sie nie weg. Nie. Anna war seit jenem ersten Tag das Glück meines Lebens, bis zu ihrem Tod.“
„Nein, ich kann keine Kinder mehr bekommen. Ich ließ mich sterilisieren, knapp vor Annas Tod. Und wenn Rolf und ich ein Kind adoptierten, hätte ich immer das Gefühl, es sei nur ein Ersatz für Anna, und das wäre dem Kind gegenüber unfair. Außerdem habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß Tina eines Tages zu mir zurückkommt. Ich weiß, wo sie lebt, und verfolge ihr Leben aus der Ferne.“
,,Die Zeitungen haben geschrieben, daß ich meine Kinder mit Prostitution ernährt habe. Das ist dummes Geschwätz. Okay, ich war Animierdame in einer Bar in Lübeck. Aber nie Prostituierte.“
„Die Zeitungen haben auch geschrieben, ich sei hochnäsig und ich ginge nur in Kleidern von Dior und ähnliches. Tatsache ist, daß ich am Anfang des Prozesses wahnsinnig verängstigt war und mich hinter einer „coolen“ Fassade versteckt habe. Und meine Kleider kaufe ich nicht bei Dior, sondern bei Karstadt. Natürlich versucht man, bei Gericht einen guten Eindruck zu machen und nicht in dreckigen Jeans zu erscheinen, wenn die dort alle mit Anzug und Krawatte herumsitzen.“
,,Allerdings habe ich meinen Respekt vor dem Gericht sehr bald verloren. Und daß der Richter am ersten Tag des Prozesses eine zehnminütige Fotositzung arrangiert hat -bei der sogar der Tisch umgeworfen wurde, an dem ich saß, weil sie alle so drängten-, und mich dann anschließend einfach nach Hause geschickt hat, bis zum nächsten Tag, das habe ich ihm nie verziehen.“
„Ich halte auch nicht viel von der deutschen Presse. Es vergeht kein Tag an dem ich nicht die Zeitungen aufschlage und lese, heute hat sich die Bachmeier über die Milch im Laden von Sierksdorf beschwert, oder heute hat die Bachmeier ihren Hund auf einen anderen Hund gehetzt, und so weiter. Das hat alles überhaupt nichts mit der Realität zu tun, und es tut mir weh.“
,,Und dann gibt es noch die Leute die mir schreiben, sie finden es gut, daß ich Grabowski umgebracht habe, und sie seien für die Todesstrafe für Sexuallverbrecher. Ich bin gegen die Todesstrafe und ich finde es nicht gut, daß ich Grabowski umgebracht habe.“
,,Ich bereue vieles in meinem Leben – aber vor allem bereue ich, daß ich es immer der Behörde überlassen habe über mich zu entscheiden. Ich wollte als Kind Lehrerin oder Ärztin werden, aber mein Stiefvater war dagegen und besorgte ein Attest von einem Arzt, das ich die tägliche Busfahrt von 12 Kilometern mit meiner schwachen Konstitution nicht durchhalten würde und die Behörde schickte einen Bescheid, daß man mich deshalb nicht an der Oberschule nehmen würde. Es war die Behörde, die mir meinen Job im Postamt wegnahm, als ich schwanger wurde, es war die Behörde die mich über Annas Tod informierte, es war die Behörde, die mich zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt hat, und es ist jetzt wieder die Behörde, die von mir verlangt, daß ich die verbleibenden 31 Monate absitzen soll. Wozu soll ich dorthin? Bin ich nicht schon bestraft genug?“
Wenn man jemanden einsperrt dann sollte das doch Sinn haben. Seit ich vorübergehend entlassen wurde, bin ich kein einziges Mal zu schnell gefahren und habe jedes „Rasen Betreten Verboten-Schild“ genau beachtet. Wozu sperrt man mich ein? Es ist doch nie meine Schuld, sondern die der Behörden, wenn Anna und Grabowski heute tot sind. Hätten sie besser auf Grabowski aufgepaßt, hätte er Anna nicht umgebracht und ich ihn nicht. Sie wußten ja über ihn Bescheid.“
„Man hat mir vorgeworfen, ich hätte an Annas Tod viel Geld verdient. Das ist nicht wahr. Ich habe vom ,Stern‘ 100.000 DM bekommen, für die Rechte an meiner Geschichte. Aber da gab es meine drei Rechtsanwälte, die bezahlt werden wollten, und ich habe während der letzten drei Jahre nichts verdient. Ich habe auf die Geschichte im ,Stern‘ übrigens keinen Einfluß genommen und kein einziges persönliches Statement abgegeben, damit man es mir nicht als versuchte Beeinflussung des Gerichtes
auslegen könnte.“
Es haben mir zwar verschiedentlich Anwälte angeboten, sie würden mich kostenlos verteidigen, aber ich habe immer abgelehnt. Ich bin mit meinen Anwälten sehr glücklich, vor allem mit Brigitte Müller-Horn. Sie hat mich regelmäßig besucht, und sie war immer da, wenn ich sie brauchte. Daß ich mich nicht umgebracht habe, verdanke ich zu einem großen Teil ihr.“
„Freunde habe ich heute kaum mehr. Die meisten gingen, als Anna starb. Aber ich brauche niemanden. Die paar, die geblieben sind, glauben an mich, und das bedeutet mir viel. Ob das zum Überleben ausreicht, weiß ich nicht.“ Ich weiß auch, daß man mir vorgehalten hat von den Mitgefangenen im Gefängnis nichtt akzeptiert worden zu sein. Aber ich bin es gewöhnt, daß die Presse alles, was ich tue, falsch auslegt.
Wenn ich weine, dann weil ich bereue, und wenn ich lächle, dann weil ich hochmütig bin und eine kalte Person, die mit voller Absicht getötet hat.“
Ich habe es auch abgelehnt, bei der Produktion der Filme und der Bücher mitzumachen, die jetzt entstehen. Eine Zeitlang habe ich mir überlegt, bei einem Film mitzumachen, den ein Bekannter von mir gerade dreht, aber dann habe ich es abgelehnt. Erstens weil es als Amateur für mich sehr schwer wäre, in einem professionellen Film mitzumachen, und außerdem würde es so aussehen, als versuchte ich, mich öffentlich zu rechtfertigen. Aber ich habe in den letzten drei Jahren Tagebuch geführt, und in der Zeit im Gefängnis werde ich mir überlegen, ob ich daraus ein Buch machen werde.“
Was ich machen werde, wenn ich aus dem Gefängnis wieder rauskomme, weiß ich noch nicht. Aber es ist ganz sicher, daß Rolf und ich, wenn ich wirklich lebend wieder rauskomme, aus Westdeutschland weggehen werden. Vielleicht gehen wir nach Frankreich und bauen uns dort eine neue Existenz auf. Hier in Deutschland habe ich keine Zukunft. Entweder kriege ich hier einen Job weil ich die Bachmeier bin -aber das will ich nicht. Oder ich kriege keinen Job -auch weil ich die Bachmeier bin.“
Das Telefon läutet wieder. Sie steht auf und geht in den Hinterhof um ihre Tiere zu füttern: ein paar Hühner, eine Katze, eine Ziege, ein Hund. „Tiere sind dankbar“, sagt sie, ,,ich wünsche, ich könnte sie lieben. Sie schreiben mir nichts vor, weder ob ich leben, noch ob ich sterben, noch was ich sonst tun soll.“