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Archiv 2007 – Herr Phettberg und Herr Palm

Christian Jandrisits

Zehn Jahre herrschte Funkstille zwischen den beiden. Jetzt hat Kurt Palm einen Film über Hermes Phettberg gedreht. Der wiener auf Hausbesuch beim selbst ernannten Elenden.

Text: WALTRAUD HABLE Fotos: INGO PERTRAMER

Die Mäuse ist er losgeworden. Die Spuren, die sie hinterlassen haben, nicht. „Voriges Jahr hat mir die Hausverwaltung jemanden geschickt, der die Viecher wegmacht“, erzählt Hermes Phettberg und schlurft über kleine, schwarze Bemmerl – Mäusekot – auf dem Teppichboden und über Fetzen von angekiefeltem Zeitungspapier. 30 Nager hausten in der Wohnung. Sogar die Möbel haben sie angefressen, bei Vollmond. „Net zum Aushalten war das.“ Dann surrt die Gegensprechanlage. „Der Palm“, sagt der Phettberg. Und drückt auf den Türöffnerknopf.

In der Küche steht Alu-Einweggeschirr mit vertrockneten Tomaten. Es ist halb voll. Seit seinem zweiten Schlaganfall im Jänner hat Hermes Phettberg, dessen bürgerlicher Name „Fenz“ an der Tür steht, keinen Hunger mehr. „Ich muss mich jeden Mittag zum Essen zwingen, hab nur mehr 70 Kilo.“ Die viele Haut, die vom 170-Kilo-Talkprediger übrig ist, hält ein Latexshirt zusammen. Die bleichen Beine des 54-Jährigen stecken in abgeschnittenen Jeans. Mit „Der wiener is a Oarschblattl und Sie san a Scheiß-Redakteurin“, retourniert er jede Frage, die ihm zu banal erscheint. Und er retourniert oft, während er Kurt Palms Schritten im Stiegenhaus lauscht.
Phettberg ist der alte Grantler geblieben. Nur der Schnauzbart ist neu. Sein elektrischer Rasierapparat, der aufgrund des medikamentös verdünnten Blutes sicherer als die Klinge ist, macht, was er will. „Oberhalb der Lippe bleiben immer Stoppel“, sagt er. Und Palm, der soeben im Hawaiihemd entriert, sagt, „Hallo, Hermes“, Blick aufs Latexhemd, „Schau an, fesch hast dich gmacht“, und in Richtung wiener: „Willkommen in einer anderen Welt.“

Faksimile – Archiv 2007 – Herr Phettberg und Herr Palm

Seit 17 Jahren kennen sie einander: Palm – der Autor, Regisseur und Querdenker, der für die KPÖ kandidiert hat. Und Phettberg, der selbst betitelte „Publizist und Elende“. Erst hat Phettberg in Palms Theatergruppe mitgespielt. Dann kam die „Nette Leit Show“ im ORF, von 1994 bis 1996. Phettberg war der Talkmaster. Palm der Strippenzieher hinter der Kamera, der Dompteur des neurotischen Fernsehkolosses. Nach 24 Folgen das Aus. „Hätte ich weitergemacht, wäre ich ins Narrenhaus gekommen“, sagt Palm über die Machtkämpfe. Es folgten zehn Jahre Funkstille. Die Faszination für den jeweils anderen blieb.
Ungeduldig wie ein kleines Kind bugsiert Phettberg seinen Gast ins winzige Schlafzimmer und drückt ihm einen Hammer in die Hand. „Da, das Bild. Das ist von der Wand runtergefallen, das musst wieder grad machen“, tänzelt er um ihn herum. „So, Hermes?“, fragt Palm. „Nein, mach es richtig grad.“ – „So vielleicht?“ – „Noch ein bissl grader.“ – „Und jetzt?“ – „Ja, von mir aus.“ Dann erst darf Palm ins Wohnzimmer, auf die Couch, hinter der ein toter Gummibaum an die Zimmerdecke drückt. „Auf dieser Couch“, sagt Phettberg, „haben wir auch den Film gedreht.“ Der Titel des Portraits, das im Oktober auf der Viennale erstmalig gezeigt wird, lautet „Hermes Phettberg, Elender“. Es ist eine Hommage. Ein Nachruf zu Lebzeiten. „Ich wollte eigentlich nie einen Film über den Hermes drehen“, sagt Palm. „Erst als ich ein aufgezeichnetes Gespräch zwischen mir und dem Hermes gesehen habe, dachte ich: Das ist gut. Das wär wirklich was.“

Das Filmteam ist seit Tagen weg. Das Klebeband für die Kamerapositionierung pickt noch auf dem Boden. Hermes Phettberg „dokumentiert“ alles, er schmeißt nichts weg. Auch der Spannteppich, die Tapeten und die Möbel sind noch von der Vormieterin.
„Die ist vor 30 Jahren gestorben und eine Woche unentdeckt tot hier drin gelegen.“ Dreimal erzählt er diese Geschichte. Seit der Apoplexie wiederholt er sich manchmal. Nicht nur deshalb sagt Palm oft: „Also, wenn ich den Hermes richtig versteh …“ Und Phettberg fragt oft mittendrin: „Du, lebt der oder die noch?“ Ein Nachmittag mit zwei Freunden, die glauben, keine zu sein. Oder: Der Versuch eines Gesprächs.


PALM (KLATSCHT ENERGISCH IN DIE HÄNDE) Gut, gut, sprechen wir über 17 Jahre …
PHETTBERG (UNTERBRICHT) … wie ein altes Ehepaar, so sitz ma da. PALM Ich weiß.
PHETTBERG (AUF KURT PALM ZEIGEND) Er schaut zwar recht gut aus, aber sexuell kann man mit ihm nix anfangen. Er ist ja net schwul, ich schon. Einmal, da hat er Lulu neben mir gemacht, und dann hat er – ganz schamhaft – sein Ding vor mir versteckt. PALM Geh, Hermes.
PHETTBERG (UNBEIRRT) Jeder hat seine Neigungen. Ich kenn ja nur die Mizzi, das war die allererste.
PALM (VERLEGEN ÜBER DEN VERLAUF DES GESPRÄCHS) Der Hermes hat immer ein Problem mit meinen Freundinnen gehabt, weil er nie gewusst hat, mit wem ich grad z’samm bin.
PHETTBERG Die Mizzi … die ist mir in guter Erinnerung. Von der nachher, also der Zweiten, hab ich den Namen schon ver- gessen. Und es hat garantiert auch schon eine Dritte gegeben, aber die hat er mir gar nimma gsagt. Lebt die Mizzi noch? PALM Ja, ja, ja. Du, Hermes, wir wollten über 17 Jahre …
PHETTBERG Ich weiß gar nichts vom Palm! Privat haben wir noch nie was miteinander unternommen.
PALM Stimmt. Unser Zusammenkommen war immer beruflicher Natur.
PHETTBERG Seine Wohnung hab ich einmal im „Standard“ ge-sehen, eine unheimlich schöne, von einem Designer gemachte Wohnung … ( PAUSE) Was der Palm anpackt, das wird was. Der Kühlschrank …
PALM (ZUM WIENER) Dem Hermes hat’s vor ein paar Tagen eine Sicherung zerfetzt und er hat einen neuen Kühlschrank braucht. PHETTBERG Weil die Stromleitungen von 1902 sind. Der Palm hat es wieder gerichtet.
PALM Also, ich bin kein barmherziger Samariter. Wo ich dem Hermes helfen kann, helf ich ihm. Und wo ich ihm nicht helfen kann, nicht. Ich bin noch nie auf die Idee kommen, ihm zu sagen, dass er seine Wohnung endlich zusammenräumen soll, da weiß ich, das wäre absurd, also lass ich es.
PHETTBERG Nachdem die „Nette Leit Show“ gelaufen ist, ist aus meinem Leben nix mehr geworden. Aber es ist quasi ein Glück, dass der Palm die Sendung damals abgebrochen hat, sonst wäre der Film jetzt nie entstanden. Wenn wir ununterbrochen miteinander gearbeitet hätten, dann würde jeder sagen: „Der Palm macht einen Film über den Phettberg?“ Das hätte niemanden interessiert.
PALM Hmmm.
PHETTBERG Der Palm ist quasi die kognitive Hälfte und ich bin die emotionale Hälfte.
PALM Das trifft es ganz gut, ja. Der Hermes hat, so weit ich das beurteilen kann, in seinem Leben keine strategischen Entschei-dungen getroffen. Die Entscheidungen treffen den Hermes.
PHETTBERG (LACHT AUF)
PALM Ich entscheide aber sehr wohl strategisch.
PHETTBERG (BRUMMT) Ja Gott sei Dank, weil sonst wär aus dir nix geworden.

PALM Verbinden tut uns ein radikales Unbehagen gegen den Status quo unserer Gesellschaft, gegen den Konsumwahn, gegen die austauschbare, gesichtslose, undefinierbare Masse.
Die Fenster in Phettbergs maroder Mietwohnung stehen zurWiener Gumpendorfer Straße hin offen, unten rattern Lastwagenvorbei. An der Küchendecke blättert die Wandfarbe in dickenSchuppen ab, irgendwo liegen Phettbergs zu groß gewordene Jeans. Von der früheren Rangelei, wer die Zügel in der Hand hat oder wessen Name zuerst in der Autorenzeile steht, ist nichts mehr zu spüren. Palm ist in vielen Punkten einsichtig. Phettberg auch. „Dass ich keine Matura hab, das war für mich eine große
Krux. Der Palm ist ja Doktor, der hat promoviert. Jetzt beneide ich ihn nimma.“ Denn mittlerweile sind Phettbergs „Hundert Hennen“ erschienen, 1.400 eng bedruckte Seiten seiner gesammelten Predigtdienste. Das ist quasi wie eine Doktorarbeit. „Es ist, was es ist“, zuckt Phettberg mit den Schultern. Palm, der Künstler. Phettberg, das mittellose, kranke Gesamtkunstwerk.
Von 300 Euro Sozialhilfe im Monat lebt er und wird – auf eigenen Wunsch – besachwaltet. Weil er „a priori a fauler Hund“ ist.
PALM Rational kann ich alles nachvollziehen, was der Hermes gemacht hat. Das Einzige, was ich nie nachvollziehen konnte, war das mit dem Geld. Mit der „Nette Leit Show“ haben er und ich je 1,5 Millionen Schilling verdient. In kürzester Zeit hat der Hermes das Geld auf den Kopf ghaut.
PHETTBERG Net auf den Kopf ghaut! (DENKT NACH) Ich hab mir neue Zähne machen lassen.
PALM (GEDULDIG) Aber die haben ja net so viel gekostet, Hermes. PHETTBERG Doch. Das hat circa 200.000 Schilling gekostet. PALM (LEISE, ZUM WIENER GEWANDT) Und dann haben sich „Freunde“ angestellt. Und am Würstelstand hat er Runden ausgegeben. PHETTBERG Keiner hat mich betrogen, ich war großzügig und
verschwenderisch! Aber ich hab auch viel gefressen damals, ich war ja fresssüchtig. (PAUSIERT) Du, ich hab überhaupt das Gefühl, in deinem Stifter-Büchl (PALMS BUCH ÜBER ADALBERT STIFTER, ANM. D. RED.), da greifst den Stifter ein bissl an, weil er zu viel gfressen hat. PALM Geh, nein.
PHETTBERG Doch, doch. Einen, der fresssüchtig ist, darf man net angreifen. Die Frau von ihm war bissig. Was soll er denn
machen außer fressen, der arme Hund …? Der Palm, der kauft sich in der Woche ein Packl Gorgonzola und einen Wecken Brot. Ich hab ihn einmal gesehen …
PALM Mein Gott, du hast mich einmal gesehen, wie ich einen Käs’ und ein Brot gekauft hab. Und?
PHETTBERG A Packl Gorgonzola und Brot! Ich weiß noch, als wäre es heute, das war deine ganze Einkaufsliste.
PALM Da ist halt nix anderes draufgestanden. Und du hast glaubt, ich leb davon eine Woche.
PHETTBERG Ja, das könnte man ja auch. Aber nein, nein, kein Spott. Das ist nur sachliche Ironie.
Auf der Couch sitzend kann man im Nebenzimmer eine Vase
mit vier getrockneten Rosen sehen. „Eine der Rosen hab ich
von einem Kerl gekriegt, der mich gefickt hat“, sagt Phettberg
und stützt sich auf der Sessellehne ab. „Ich war in meinem
ganzen Leben keine Sekunde liiert. Ich habe immer nur Körbe
kassiert.“ Manchmal, erzählt er, geht er ins SMart-Café, ein
Sado-Maso-Lokal ein paar Straßen weiter. „Ich bettle dort alle an, dass mir jemand den Arsch aushaut, ich habe nach wie vor eine Begierde auf Sex. Aber keiner haut mich, keiner ist bereit dafür.“ Palm lacht. „Ich würd’s auch nicht tun, Hermes“, sagt er. Er sagt es nicht gemein.
PHETTBERG Weißt du noch, wie du darauf herumreitest, dass ich nie turnen gelernt hab und nie in die Hände eines gescheiten Lehrers gekommen bin?
PALM Das wird im Film aber nur zehn Sekunden zu sehen sein, Hermes.
PHETTBERG Das ist mir wurscht, was im Film ist. Aber es ist ein wichtiges Detail. Erste Klasse Volksschule. Alle konnten sich am Barren hochziehen, nur ich konnte das nicht. Das ist eine Metapher meines ewigen Nicht-Könnens.
PALM Mir gefällt auch die Stelle mit dem Ernstl. (ZUM WIENER GEWANDT) Der Ernst war Hermes’ Vorgesetzter bei der Nieder- österreichischen Landesregierung. Der wollte, dass ihm der Hermes einen bläst. Und der Hermes sagte: „Ernstl, wir müssen vernünftig sein!“ (LACHT) Das Wort „vernünftig“ aus dem Mund vom Hermes war für mich an Skurrilität nicht mehr zu über-trumpfen.
PHETTBERG Der Ernst war ein Säufer.

Faksimile – Archiv 2007 – Herr Phettberg und Herr Palm


PALM Das ist ja egal.
PHETTBERG Das ist net egal. Ich hätte ihm gern einen geblasen, ich habe ihn sehr geliebt. Aber: Ein Säufer vergisst ja alles. Wenn ich ihm einen blase, dann soll er das nicht vergessen.
Seit dem Schlaganfall verirrt sich manchmal eine Träne ans untere
Augenlid von Phettberg und perlt nicht ab, sie bleibt stundenlang
dort liegen. „Ich bin bei mirst“, sagt er. „Dritte Steigerungsstufe.“
Das liege vor allem am Film. „Der Palm hat erst über den Stifter,
dann über den Mozart und dann über mich einen Film gedreht.
Diese Reihenfolge! Eine unglaubliche Freude!“ Immer wieder
spricht Phettberg den Palm auf die Premiere an. Wann sie sein
wird? Ob es eine Party gibt? Er hat das Rampenlicht vermisst.
Und er hat Angst davor.
PHETTBERG Da wird eine unglaubliche Depression auf mich zu-kommen.
PALM Was meinst jetzt genau?
PHETTBERG Nach dem Film! Eine Depression werd’ ich kriegen. Denn: Was wird nach dem Film kommen? Ich will nicht einfach so ins Grab geliefert werden.
PALM Geh, so weit ist es ja noch nicht. Jetzt wart einmal, bis der Film überhaupt draußen ist, Hermes.
PHETTBERG Dann werden wir ausgepfiffen werden.
PALM Nein, nein, nein. Was redst denn da?
PHETTBERG Was, wenn danach nix mehr kommt?

Palm steht auf, er muss weiter. Vielleicht schaut er nächste
Woche wieder vorbei. „Ich bin ein Staubsauger“, sagt Phett-berg. Und Palm sagt: „So wie der Hermes sein Leben gestaltet, das kann schon einen Sog entwickeln und einen vampirmäßig aussaugen.“ In der Küche, beim Hinausgehen, sieht Palm einen Abreißkalender. Die Zahl 28 steht am obersten Blatt. Palm will es abreißen, der Achtundzwanzigste ist seit längerem vorbei. Phettberg entrüstet: „Lass das! Was machst da? Das hängt seit Jahren hier.“ „Das wusste ich nicht“, sagt Palm.
„Siehst du!“, sagt Phettberg. Und macht die Tür hinter sich zu.