AKUT

Midlife. Sex & die 50-jährigen

Manfred Sax

Immer mehr 50-jährige Männer glauben unsichtbar zu sein, keine Frau sieht sie mehr an. Das ist sexuell gesehen nicht uninteressant, wenn auch vergleichsweise lächerlich, findet der nicht mehr ganz 50-jährige Manfred Sax.

Previously, beim Zahnarzt des Vertrauens vom Freund eines Freundes. Es ging um das obligate Problem. Ich bin ein Boomer, einer aus jener Generation, die nach dem letzten Weltkrieg so zahlreich ans Licht der Welt geriet, weil die Pille erst in den Sixties auf den Markt kam. Das heißt, erstens, dass ein Heranwachsen mit anfangs Zucker – und später mit diversen zeitgeistigen Ingredienzen – den Zähnen so einiges abverlangte. Zweitens hieß es bei den Boomers in der Blütezeit „Muschi rules“, du wolltest zu ihr, und sie hatte nichts dagegen. Daran hat sich nur quantitativ was geändert, daher das Problem, das ich bemüht subtil umriss:

Wann ist beim Cunnilingus eigentlich der richtige Zeitpunkt, fragte ich den Zahnarzt, sich das Gebiss rauszunehmen?

Der Zahnarzt war verdammt jung, gut erhaltene 40+, mit Haargel zurückgekampelte Falcofrisur, winterliche Sonnenstudiobräune, Fitnessstudiobody. Seine drei Assistentinnen trugen Uniform – oben weißes Minikleid-Etwas, darunter schwarze Leggins. Gewagt. Könnte ins Auge gehen, wenn an Figur oder Beinen was nicht „stimmt“. Aber bei den drei Assis stimmte alles. Der Zahnarzt war ein Glückspilz. Stell dir vor, du bist Zahnarzt und suchst drei tüchtige Fachkräfte, und herein schneien drei Göttinnen, also, optisch. Womit ich nicht andeuten will, dass der Zahnarzt ein Typ war, für den Frauenbewegung etwas ist, das hauptsächlich im Bett stattfindet. Mir war nur nicht klar, warum für eine simple Konsultation die Hilfe von drei Assis notwendig war. Aber da hatte ich die Rechnung noch nicht gesehen.

Unsichtbar? Was soll man dazu sagen, außer: Sei froh, du bist ja kein Jason Momoa.

Die Konsultation verlief wie üblich, am Ende hatte ich eine Röntgenaufnahme. Das zahnärztliche Bewusstsein für mein Problem verlor sich in der Übersetzung, zwanzig Jahre Altersunterschied sind kein Brösel. Später erfuhr ich vom Freund des Freundes von seinem Befund, ich hätte Angst, dass mir „beim Lecken das Gebiss rausfällt“. Verblüffend. Welcher sinnlich geeichte Mann begibt sich mit Zahnprothese in den Schoß der Frau? Eine Prothese ist tot, sie teilt dir nichts von den hochempfindlichen Kostbarkeiten da unten mit. Du kannst mit Prothese nicht anständig sexen. Außerdem kannst du auf den Zeitpunkt verzichten, an dem du die Prothese rausnimmst, das ist zwar ein Strip, aber wie sieht die Perverse aus, für die sowas Tease ist? Wie gesagt, ich hab mein Problem wohl zu subtil vermittelt. Eigentlich wollte ich Infos über die neuesten Implantate; dass mir der Zahnarzt erzählt, hey, vergiss das Gebiss, heutzutage gibt es Implantate, die dir ein Fühlen gestatten. Nur fehlte einem GenXer wie ihm beim Thema Cunnilingus ein Verständnis von Finetuning, das einem Boomer zweite Natur ist. Aber das nur nebenbei; um anzudeuten, dass unterschiedliche Generationen unterschiedlich ticken. Denn eigentlich geht es hier um die Generation zwischen Boomer und GenX. Es geht um die 50-jährigen.

Previously, im Netzwerk, schaltete ein später 50-jähriger einen Status, der zum denkwürdigen Thread anwuchs. Seine Sorge war, dass Männer mit 50 „unsichtbar“ werden, soll heißen, es gebe immer mehr Frauen, die sich „verächtlich“ abwenden, oder nicht einmal merken, wenn ein entsprechendes Alterskaliber sie ansieht. Dem Thread zufolge dürfte es sich um ein aktuelles Phänomen handeln. „Willkommen in der Homowelt“, meinte einer, „probiert es halt in eurer Altersklasse“, die andere. Und so weiter. Der Talk wurde schnell hitzig, an Stelle von den abgelutschten „Rassismus“- und „Sexismus“-Aufregern machte sich hier endlich auch eine satte Dosis „Ageismus“ breit, wenn auch einseitig, klar, Frauen im Alter von 50+ sind attraktiv, check Pornoland, dort gehören „Cougars“ zu den meistgesuchten, Männer gleichen Alters laufen unter ”dirty old men“ und „ferner liefen“. Verständlich, aber für o.a. späten 50-jährigen zu anonym. „Niemals lese ich darüber im WIENER“, klagte er allenthalben.

Tja, was soll man dazu sagen, außer: unsichtbar? Sei froh, du bist ja kein Jason Momoa. Andererseits war seine Meldung verständlich, schließlich wurde der WIENER von Männern gemacht, die heute 50+ sind. Nur sind es andere 50-jährige als die Generation vor ihnen. Es ist noch keine Dekade her, da waren 50-jährige im Trend, Männer wie Colin Firth und Hugh Laurie (Dr House) und Denzel Washington so angesagt, dass sie ganz auf die obligaten Midlife-Krisen-Toys wie Harley und junge Feger vergaßen. What happened?

Die heute 50-jährigen waren die erste sexuell ramponierte Generation seit langem. Ihre horizontalen Themen waren „Aids“ und „Risikogruppe“ und „Kondom“ und – logisch – „Impotenz“. Der Schiss fuhr immer mit.

Der WIENER wurde Anfang der 80er Jahre erfunden. Zur Wendezeit; von der analogen in die digitale Epoche. Die WIENERmacher kamen mit der Yuppie-Welle dahergeschwommen und verstanden es, sich an den wirtschaftlichen Boom zu hängen. Sie hatten den PC und allerhand Toys. Was Yuppies nicht (mehr) hatten, war die – heute unerklärliche – Freiheit der Boomers; dieses kurzfristige, knapp zwei Dekaden währende „Fenster“ zwischen Erfindung der Pille (1961) und Aufkommen von Aids (1), als Sex das war, was das Handy heute ist. Das hatten die Yuppies nicht, die heute 50-jährigen waren die erste sexuell ramponierte Generation seit langem. Ihre horizontalen Themen waren „Aids“ und „Risikogruppe“ und „Kondom“ und „Retortenbaby“ und – logisch – „Impotenz“. Der Schiss fuhr immer mit. Sex war nicht mehr ein befreiendes Gesamtkunstwerk, er kam nun in Portiönchen wie „One Night Stand“ und „Quicky“ und „Telefonsex“ und Details wie „G-Punkt“ daher, für mehr war ohnehin keine Zeit. Und während sich die Filmwelt der Boomers mit dem Brechen von sexuellen Tabus beschäftigt hatte, wurden Yuppies mit Neuneinhalb Wochen abgespeist, wurde eine Erdbeere in Kim Basingers Nabel als erotischer Höhepunkt gefeiert. Yuppies waren unter anderem auch die neuen Klemmis, fuhren aber immerhin tolle Hobel, die sich Männer früher erst ab der Midlife-Krise zulegten.

Wo war ich? Richtig, bei den „unsichtbaren“ 50-jährigen von heute. Ausgerechnet jetzt, im Alter des „finalen Re-Brandings“ (Midlife-Crisis), sieht sie keine an, von Sugar-Daddys abgesehen, die haben immer Saison; haben sie außerdem wenig Tau, wie die Lebensmitte zu feiern wäre, die traditionellen Toys zogen sie sich schon in jungen Jahren rein. Und dann ist da noch das Image-Problem der Generation 50+. Die #metoo-Sache. Unglaublich viele Fünfziger unter den geouteten Heinis, nicht wahr? Nenne es Zufall, aber richtig ist auch, dass sexueller Missbrauch mit Verklemmtheit in Zusammenhang steht, mit der mangelnden Fähigkeit, sinnlich zu kommunizieren. Mit dem, was für die Yuppies von damals eine halbsteife Sache war.

Anyway, was solls, meinte eine kluge Frau in o.a. Thread, „im realen Leben hat eh jedeR nur Blicke fürs eigene Handy“. Unsichtbar? Schick halt ein nettes Foto. Das sollte reichen, um dich sichtbar zu machen …

 

(1) Der WIENER berichtete als erstes österreichisches Medium über Aids.

Fotos: Getty Images