Stermann: Tränenmeer

WIENER-Kolumnist Dirk Stermann lässt es kullern – weil er in seiner Zukunft lauter junge Arschnasen sieht, die in geschätzten 40 Jahren auf ihm herumtanzen werden.

Quentin Tarantino weint bei Rosamunde Pilcher Verfilmungen, und Terence Hill hat sich blaues Botox in die Augen spritzen lassen, um die Augen auch farblich zu straffen. Ganz wässrig waren sie inzwischen geworden, ausgewaschen, weil ihm, wie so vielen älteren Herren, die Augen so oft tränen. Medizinisch bedingt, aber auch emotional. So oft sieht man alten Männern Tränen aus den geriatrischen Augen kullern, dass es niemandem mehr auffällt. Inkontinenzoptik ist unsexy, aber fact. Klitschnasse Iriden, Wimpern, zu nass, um sie auswringen zu können, Linsen, in denen Kaulquappen enstehen. Tümpel unter den Augenbrauen. Wenn ältere Herren spazieren gehen, schwappt’s bei jedem Schritt, aus dem Schritt und aus dem Blick.

Gerade noch legte man die Weiber reihenweise flach, schon flennt man bei jeder Merci-Werbung. Ein sentimentalistischer Höllenritt. Deshalb gibt es kaum Türsteher über 80. Ein heulendes Stückchen Elend vor der Tür würde keinen knallharten Kickboxer unter 20 beeindrucken. Folgenden Dialog hörte ich vor der „Schwabinger 7“ in München zwischen dem 84-jährigen Türsteher Louis Fillmooser und Ruud Rouge Ochsenknecht, dem Enkel von Uwe Ochsenknecht.

Fillmooser: Wie alt bist du?
Ruud Rouge: 12. Aber ich bin deutlich reifer.
Fillmooser (beginnt zu tränen): Dann geht’s nicht. 12 ist zu jung. Hier musst du 18 sein. Komm in 7 Jahren wieder.
Ruud Rouge: In 7 Jahren bin ich über 20. Mein Bruder Jeff Yellow war schon mit 11 hier drin.
Fillmooser (Tränen in der Größe von Golfbällen kullern ihm die Backe runter): Ihr Ochsenknechte müsst euch an die Regeln halten.
Ruud Rouge: Heul doch, Opi.
Fillmooser (Tränen in der Größe von Handbällen kullern ihm die Backe runter): Tu ich ja eh.
Ruud Rouge (zu einem deutlich jüngeren Burschen): Komm, Pjotr Pink. Gehen wir rein, bevor der Greis noch Basketbälle weint.
Fillmooser (Tränen in der Größe von Medizinbällen kullern ihm in Sturzbächen die Backe runter): Ich hasse meinen Beruf!

Die Ochsenknechte schubsten ihn zur Seite und verschwanden in der „Schwabinger 7“. Dort sangen sie laut Songs ihres Großvaters Uwe Ochsenknecht, sodass sich das Lokal schnell leerte. Die Münchner Freiheit stand fast zur Gänze unter Wasser, Fillmooser blickte entschuldigend. Ihm war so sentimental zu Mute. Er erinnerte sich, dass er früher den kleinen Ochsenrotzbengel windelweich geprügelt hätte. Vorbei die Zeiten, er fühlte sich wie ein Seelöwe, der von Pinguinen im Judo besiegt wird. Je mehr er weinte, desto mehr Tränen produzierte sein Körper, der früher problemlos während 2 Orgasmen 3 Motorradrocker verprügeln konnte. Fillmooser hatte früher mit dem Mund die Reifen eines LKW aufblasen können, aber heute? Ich selber bekam feuchte Augen. Ich hatte in der AZ einst Fotos gesehen, wie Fillmooser den jungen Ottfried Fischer und den ausgefressenen Franz Josef Strauß gemeinsam auf den Schultern zum Oktoberfest trug, im Arm 40 Maß Bier. Ein starker Bayer war jetzt Meier. Soll man da nicht eine Träne verdrücken? Als blickte man mit einem Fernglas in die eigene Zukunft. Ich war Fillmooser und die arschgesichtigen Ochsenknechte waren die jungen Arschnasen, die mir auf meiner herumtanzen würden in 40 Jahren.

So standen wir zu zweit vor der „Schwabinger 7“ in einem Meer aus Tränen. Tränen der Erinnerung bei ihm und Tränen der Vorrausschau bei mir. Aus der „Schwabinger 7“ hörten wir leise Ruud Rouge und Pjotr Pink weiter Uwe Ochsenknecht-Lieder singen. Das war noch mehr zum Heulen.