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Matthias Horx:Die Menschheit braucht Krisen

Alex Pisecker
Die Welt wird weiblicher, chinesischer, virtueller. Der renommierte Trendforscher Matthias Horx über unsere Zukunftsaussichten, eine mögliche nukleare Renaissance und die Besiedelung anderer Himmelskörper.

Als Trendforscher beschäftigen Sie sich mit Prozessen, die heute stattfinden. Daher eine Frage, die alle beschäftigt: Wird die Euroregion auseinanderbrechen? Wenn nicht, wohin steuert sie?

Horx: Die politisch-ökonomischen Systeme Europas müssen und werden sich neu erfinden. Wir brauchen ein neues Betriebssystem, das die Fehler und Abstürze, die bei „Euro 1.0″ entstanden sind, in Zukunft verhindert. „Euro 2.0″ wird uns ein Stück weiter an die Vereinigten Staaten von Europa bringen, aber dennoch unsere Vielfalt bewahren. Es wird Europa zu einer „strengen Transfer-Union“ machen, also gegenseitigen Garantien mit knallharten Bedingungen. Ein Staat, der sich zu sehr verschuldet, verliert sein Haushaltsrecht. Einige werden unter diesen Bedingungen vielleicht aussteigen. Aber auch das wäre Teil eines notwendigen Klärungsprozesses.

Kann ein Wirtschaftssystem, das ständig auf Wachstum aufbaut, auf Dauer funktionieren?
Hinter dieser Frage steckt ein altes, lineares, industrielles Wachstumsmodell. Man geht davon aus, dass es einen begrenzten Vorrat von Ressourcen gibt, und die sind irgendwann zu Ende – und dann ist Katastrophe. Aber die Welt ist ein dynamisches, kein statisches System. Der Rohstoffverbrauch hat sich längst vom Bruttosozialprodukt abgekoppelt, es gibt immer mehr Recycling, immer mehr technische Verfahren, die neue Materialien erschließen, die man nutzen kann. Wachsen kann eine Ökonomie im Prinzip auch durch Ideen, Komplexität, Kreativität. Wir werden demnächst in BGP rechnen, im Brutto-Glücks-Produkt.

Das Geschäft mit der Angst – vor dem Euro- Crash, dem Chinesen oder dem Maya-Weltuntergang 2012 – blüht. Was tun, um beim Ausblick auf die scheinbar düstere Zukunft nicht verrückt zu werden?
Ein bisschen gelassene Erfahrung hilft. Ich habe in meinem Leben schon so viele Weltuntergänge überlebt, vom Sittenzerfall über das Waldsterben bis zum Atomkrieg bis zum Krieg der Kulturen, nicht zu vergessen Rinderwahn und Vogelgrippe, so dass ich fürchte: wir werden auch den nächsten finalen Weltuntergang überleben.

Zitat aus einem Ihrer Zukunftskommentare: „Das Gute entsteht nicht durch das Angenehme, Gutgemeinte oder Gutgewollte.“ Braucht die Menschheit für ihre Weiterentwicklung Katastrophen?
Sie braucht zumindest Krisen, weil Krisen immer die Möglichkeit der Transformation bedeuten, und weil sich ohne Krise nichts verändern kann. Jeder weiß das im Privaten: Wenn man nicht ab und zu eine Beziehungskrise bewusst, schmerzhaft und bewältigend durchlebt, wird die Beziehung nicht wachsen. Was ich mit diesem Satz meinte, war jedoch eher, dass der ewige zeigefingrige Moralismus uns in die Irre führt. Wir bekämpfen die Armut nicht, indem wir ständig mit Empörungswut die Ungerechtigkeit anprangern. Reine Umverteilung verstärkt nur das Problem der Abhängigkeiten. Wir brauchen eine komplexere, systemische, klügere Politik. Moral-Politik führt nur in die nächste Enttäuschung.

Ein Kernbereich für die Evolution wird auch unser Umgang mit Energie. Sind Atomkraftwerke auf dem Weg zu einer sauberen Energiegewinnung nicht schon längst veraltet?
Die Technik der AKWs, wie wir sie heute kennen, ist in den 60er Jahren entstanden und entsprechend grob – verunglückt sind auch immer die alten, morschen Meiler. Die Entsorgungsfrage ist bis heute nicht gelöst. Ich bin mir aber sicher, dass es in 50, 100, 200 Jahren eine „nukleare Renaissance“ geben wird, mit dann ganz anderen Basis-Technologien, vielleicht sogar der Fusionsenergie. Für den grünen Fundamentalisten ist das natürlich eine Horrorvorstellung. Aber eine neue Hochenergie wird uns irgendwann den Sprung in eine neue Stufe der Zivilisation ermöglichen. Zum Beispiel die Besiedelung anderer Himmelskörper.

Info

MATTHIAS HORX, Jahrgang 1955, schrieb nicht nur viele Buchseiten, er probierte in seinem Berufsleben auch einiges durch. Nach dem Soziologie-Studium versuchte er sich in den 80er Jahren als Comic-Zeichner und Science-Fiction-Autor, war Autor und Redakteur bei den Zeitschriften „Pflasterstrand“, „Tempo“, „Zeit“ und „Merian“ in Hamburg. 1993 gründete er das Trendbüro in Hamburg, 1998 das Zukunftsinstitut mit Hauptsitz in Kelkheim bei Frankfurt. 1999: Umzug nach Wien, 2005-2010: Das Zukunftsinstitut entwickelt sich zu einem Prognose- und Beratungsunternehmen mit Filialen in London und Wien. Kernkompetenz: Trend-Innovations-Begleitung und Entwicklung von Frühwarn-Systemen. Seit 2010 bewohnt er mit seiner Familie das „Future Evolution House“ in Wien.