Julia Koschitz – „Ich will nicht ewig leben“

Aller Anfang ist schwer, doch die österreichische Schauspielerin Julia Koschitz hat es mittlerweile geschafft: Der WIENER traf die 39-Jährige in Wien und sprach mit ihr über den Tod, das Leben als Schauspielerin und ihren neuen Film „Hin und weg“.

Ganze 300 Bewerbungen hat Julia Koschitz nach dem Ende ihres Schauspielstudiums schreiben müssen, nur eine einzige führte schließlich zum Erfolg in Form ihres ersten Engagements am Stadttheater in Coburg. Mittlerweile hat sich die 39-jährige Schauspielerin an die Seite deutscher Schauspielstars wie Jürgen Vogel gespielt – und scheint doch erst am Anfang ihrer Karriere. Im Film „Hin und weg“ (Regie: Christian Zübert) spielt Koschitz nun mit seltener Subtilität und gleichzeitigem Mut zu großen Emotionen die Freundin eines unheilbar an ALS Erkrankten, der sich entschieden hat, mittels Sterbehilfe dem grausamen Krankheitsverlauf vorzeitig ein Ende zu bereiten. Anlass genug für ein Gespräch über die Unvermeidlichkeit des Todes – und den Umgang damit zu Lebzeiten.

WIENER: Frau Koschitz, was halten Sie vom Tod?

(Lacht) Uff. Ja, was halte ich vom Tod? Der ist wohl unvermeidlich.

Und das ist in Ordnung so?

Mal mehr, mal weniger. (Lacht) Die Frage ist so gestellt, dass man lieber wortkarg drauf antworten will!  Naja … der Tod gehört zum Leben. Es ist schwer ertragbar und eigentlich unfassbar, dass wir in dieses Leben geworfen werden im Wissen, dass wir zu unbestimmter Zeit und ungefragt auch wieder gehen müssen. Und ich glaube, wir tun uns auch seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte schwer, diesen Widerspruch zu akzeptieren. Und wie bei allem ist es am schlimmsten, wenn man sich dagegen wehrt. Auch wenn es schmerzhaft ist, findet man wahrscheinlich am ehesten eine Lösung, wenn man diese Tatsache akzeptiert und sie in sein Leben integriert.

Kann einem die Kunst dabei helfen – ob als selbst Schaffender oder als Rezipient?

Für mich ist Kunst auf jeden Fall eine Möglichkeit, in diesem Widerspruch überleben zu können.

Ich frage normalerweise Schauspieler nicht, ob ihnen das Spielen einer Rolle nahegegangen ist, aber gerade bei dieser Rolle hab ich mir dann doch gedacht, dass man sich wohl sehr intensiv mit dem beschäftigen muss, was man da gerade spielt – in dem Fall dem Tod eines geliebten Menschen.

Die Grenzen verschwimmen da. Es fällt mir schwer zu sagen, wieviel mich davon nachhaltig bewegt oder nicht. Es handelt sich bei dem Film natürlich um einen erfundenen Fall, den ich mangels eigener Erfahrung auch nur aus der Vorstellung nachvollziehen konnte. Trotzdem generieren wir dabei Dinge aus uns, die sehr wohl mit unseren realen Ängsten zu tun haben. Und jede Auseinandersetzung mit dem Verlust eines geliebten Menschen von mir, rührt an eine meiner größten Ängste. Mit der habe ich mich sicherlich durch diesen Film wieder konfrontiert. Aber das ist ja das Spannende an unserem Beruf. Wenn man dann auch noch einem Spielpartner begegnet, mit dem man sich gemeinsam auf diese Reise einlassen kann, ist das ein zusätzliches Geschenk. So ging es mir zumindest mit Florian , mit dem ich bereits gespielt habe und auch befreundet bin: wir hatten keine großen Schwierigkeiten, die Selbstverständlichkeit dieses Paares herzustellen, konnten uns also auf andere Dinge konzentrieren und uns vor allem so vertrauen, dass man in manchen Szenen einfach losgelassen hat und dadurch auf Reaktionen gestoßen ist, die man so nicht hätte planen können.

Wie ging es Ihnen mit der Sterbeszene am Schluss des Films?

Ich hatte Respekt vor dieser Szene, weil sie bereits so gut geschrieben war, dass man eigentlich nur Angst haben konnte, sie mit seinem Spiel kaputt zu machen. Dann hab ich mir wie üblich dafür was Konkretes vorgenommen, hab aber dann beim Proben gemerkt, dass das überhaupt nichts bringt. In dem Moment nämlich, in dem ich mich wirklich auf die Situation und auf Florian eingelassen habe, war´s eh um mich geschehen. Das ist ein Geschenk, das kann passieren, muss aber nicht und in diesem Fall hat es eben „funktioniert“. Und um auf die ursprüngliche Frage zurück zu kommen – das ist ja auch ein Beweis dafür, dass dieses Thema eine große Resonanz in mir hat.

Ich war positiv überrascht, dass der Film trotz des großen Themas „Tod“ nicht ins Rührselige kippt. Ist das schwer gewesen beim Dreh? Gab’s da auch manchmal die Ansage: „Das war jetzt zu viel, das drückt zu stark auf die Tränendrüse“?

Ich hab jetzt kein konkretes Beispiel vor Augen, aber klar. Es war eine Art Drahtseilakt, es so hinzubekommen, dass man berührt wird, aber trotzdem genug Raum für die eigene Fantasie bleibt.

Der Film klammert auch religiöse Vorstellungen von einem Leben nach dem Tod weitgehend aus. Das ist auf der einen Seite spannend, hat aber für mich zeitgleich auch etwas Unversöhnliches.

So habe ich das persönlich gar nicht empfunden. Für mich ist das Versöhnliche an dem Film, dass dieser Mensch, der in seiner Entscheidung zwar einsam ist, der natürlich auch alleine in den Tod gehen muss, trotzdem von seinen Freunden und seiner Familie dabei begleitet wird. Sie können ihm nicht die Angst davor nehmen, aber sie können sie mit ihm teilen – ich finde, dass das ein Trost ist.  Und dementsprechend ist er dann doch nicht so alleine.  Ist das nicht eine Möglichkeit, dieser Isolation etwas entgegenzuhalten, indem man seine größte Angst mit Freunden und Menschen, die man liebt teilt? Ich würde sagen: Ja!

Das bringt zumindest etwas Versöhnliches ins Unversöhnliche. Ich fand es übrigens schön, dass das ganze Sterbehilfethema erfrischend wenig moralisierend daherkam. Da wird keine Moraldiskussion innerhalb des Films eröffnet.

Sagen wir mal so: Grundsätzlich finde ich, dass über das Thema Sterbehilfe auf einer öffentlich-politisch-sozialen Ebene sehr wohl auch moralisch diskutiert werden muss, das ist mir ganz wichtig. In diesem Film aber geht es um einen speziellen Fall, nämlich einen ALS-Kranken, der sein Ableben in naher Zukunft sehr genau vor Augen hat und der erlebt hat, wie sein eigener Vater an derselben Krankheit elendig zugrunde gegangen ist. Wir wissen über Gespräche mit Ärzten, dass sie sich mit ALS Patienten oft mit Sterbehilfe konfrontiert sehen, weil diese Krankheit einen schrecklichen Verlauf hat. Aber wir machen keine grundsätzliche Aussage über Sterbehilfe und ich fühle mich persönlich auch nicht qualifiziert dazu. Dafür ist es ein zu komplexes Thema. Trotzdem finde ich, dass es unbedingt öffentlich diskutiert werden sollte. Die Rufe nach selbstbestimmten Sterben häufen sich zu sehr, als dass man sie übergehen könnte.

Aber klar, diese Diskussion kann ein Film allein nicht führen, er kann allenfalls einen künstlerischen Beitrag dazu leisten.

Er kann neue Fragen in die Diskussion bringen, er muss keine Antworten geben.

Die Szene, in der der Protagonist Hannes mittels Sterbehilfe stirbt, ist sehr extrem, schonungslos – was ich bemerkenswert für einen deutschen Film halte.

Der Regisseur hat gesagt, dass diese Szene der Grund dafür war, warum er den Film machen wollte. Ich glaube, ihm war auch von Anfang an klar, dass er die Szene in dieser Nacktheit und Klarheit zeigen wollte. Auch rein ästhetisch macht der Film in dieser Szene noch einmal etwas anderes auf.

Würden Sie die Schlussszene, die ein Jahr nach dem Tod des Protagonisten spielt, als eine Art Happy End bezeichnen?

Florian hat sich immer über mich lustig gemacht, weil ich bei der angesprochenen Sterbeszene überhaupt nicht mehr aufhören konnte zu weinen, obwohl ich eigentlich das komplette Gegenteil spielen wollte. Als wir dann den Film zum ersten Mal gesehen haben, sagte Florian noch, er schaue mir jetzt dabei zu, wie ich 90 Minuten zerfließe. Aber irgendwie kam es aber anders. Ich habe mir den Film ganz nüchtern angeschaut. Und dann kam diese Schlussszene und da hat’s mich plötzlich total gerissen. Als ich den Schriftzug im Sand – „Hannes was here“ – gelesen habe, war das für mich überhaupt nicht versöhnlich, ich hab in dem Moment gedacht, mir dreht’s den Magen um, weil mir erst hier richtig klar geworden ist, dass er einfach nicht mehr da ist. Es ist unendlich traurig und gleichzeitig auch wahnsinnig schön, zu sehen, dass seine nächststehenden Menschen die Tradition dieser Radtour aufrecht erhalten und er, der Gestorbene, irgendwie wieder dabei ist und vielleicht auch ganz lange noch dabei sein wird.

Ich dachte mir auch, dass es zeitgleich schön, aber auch schrecklich ist. So beruhigend es ist, es hat ja auch etwas Furchtbares, dass das Leben um einen herum einfach weitergeht, nachdem man gestorben ist.

Ja, es geht weiter und – ach, nichts „und“, Sie haben’s genau gesagt, es ist schrecklich und es ist schön.

Sprechen wir mal über etwas anderes – ich habe in zwei verschiedenen Interviews zwei verschiedene Aussagen gelesen: Im einen steht, Sie hätten 300 Bewerbungen schreiben müssen, bis Sie Ihr erstes Engagement bekamen und im anderen steht, Sie seien gleich nach der Schauspielschule an ein Theater gekommen. Was stimmt denn nun?

Beides!

Gleich genommen – und trotzdem 300 Bewerbungen?

Genau so!

Da haben Sie aber viele Bewerbungen in kurzer Zeit geschrieben.

Das ist vielleicht eine gute Beschreibung davon, wie ich meinen Weg gehe oder zumindest gegangen bin (lacht). Ich habe 300 Bewerbungen geschrieben und dann drei Vorsprechen aus diesen 300 Bewerbungen bekommen – und nach den drei Vorsprechen hat dann ein Theater gesagt, dass es mich nimmt. Ich formulier’s mal so: Ich hatte zumindest am Ende nicht die Qual der Wahl (lacht). Es war ein etwas mühseliger Anfang.

Sie haben am Franz-Schubert-Konservatorium in Wien Schauspiel studiert. War es von Nachteil, dass Sie nicht an einer der „großen“ deutschsprachigen Schauspielschulen studiert haben?

Es ist eine Art „natürliche Selektion“, die findet dann nicht erst bei den Vorsprechen statt, sondern schon da, wenn im Lebenslauf „Franz-Schubert-Konservatorium“ anstelle von  „Max-Reinhardt-Seminar“ steht.

Doof.

Doof, ja, aber ich hab’s ja doch irgendwie geschafft, mich von diesem Beruf zu ernähren.

Also sollte man einfach viele Bewerbungen schreiben?

Ich weiß nicht, was man sollte, ich weiß auch gar nicht, ob mein Weg so wahnsinnig empfehlenswert ist – er lief eben so und ich gebe zu, dass ich damit nicht  immer glücklich war. Ich hätt’s ehrlich gesagt gern zeitweise leichter gehabt, aber was soll ich mich beschweren, ich hab auch ganz viel Glück gehabt.

Zum Schluss dann noch einmal eine große Frage: Lieber ewig leben oder früh sterben?

Whoa! (Lacht) Ich will nicht ewig leben. Kann ich’s so beantworten? (Lacht)

Gern. Vielen Dank für das Gespräch!