Polak im Interview: Besser in Wien

Wien macht alles schöner, sagt Comedian und Autor Oliver Polak, der hoch flog und tief fiel – der WIENER traf einen geerdeten Spaßmacher

wiener-online.at: Ihr neues Buch „Der jüdische Patient“ handelt von Ihrem zweimonatigen Krankenhausaufenthalt wegen schwerer Depression. Wenn man das Buch gelesen hat, gibt es nur eine mögliche Einstiegsfrage: Wie geht es Ihnen?

Oliver Polak: Ha! Mir geht es gut, weil ich hier in Wien bin. Das ist einer meiner favorite places. Ich habe Orte hier, die ich sehr gerne mag, wie das Hotel Triest, den Fürstenhof. Ich mag auch das Rabenhoftheater. Ich hatte schon als Kind eine große Österreich-Affinität, weil ich zuerst die Erste Allgemeine Verunsicherung gehört habe, Falco, Peter Alexander, und dann natürlich Udo Jürgens. Mir geht es grundsätzlich gut, aber wenn ich in Wien lande, geht es mir noch besser. Und wenn der Weg vom Flugzeug zum Gepäckband nicht gefühlte drei Stunden dauern würde, ginge es mir noch mal besser. Man lügt ja gerne, wenn man in eine Stadt kommt: „Oh, ich liebe diese Stadt!“, aber im Fall von Wien kann ich es wirklich beweisen.

Wien kommt auch in Ihrem Buch immer wieder mal vor.

Ja, ich würde auch sofort eine Österreicherin heiraten. Allein die Sprache! Wenn du zu jemandem sagst: „Ey, ich fick’ deine Schwester, ich töte deine Familie und dann den Hund“, dann hat das so eine Härte. Aber wenn du es mit dem Wiener Schmäh sagst, kriegt es gleich was Smartes. Während der Kölner Dialekt an sich schon etwas sexuell Belästigendes hat. Wien macht alles schöner. Obwohl, wenn die Wienerin beim Sex stöhnt, klingt das etwas leidend. Da weißt du nie, ob es geil für sie ist oder ob ihr was wehtut.

Haben wir Österreicher also anders als die Deutschen Humor (Sie sagen ja, das Lustigste in Deutschland sei der ZDF-Fernsehgarten)?

Wien ist ja nicht Österreich, und die Wiener haben Humor. Hier habe ich immer das Gefühl, dass es ein Ironieverständnis gibt, das in Deutschland fehlt.

Ist die Entrüstung in Deutschland, einen jüdischen Komiker vor sich zu haben, wirklich so groß?

Anfangs schon. Ich kam auf die Bühne, und die dachten, gleich klettert Woody Allen aus meinem Bauch heraus mit dem Lachsbagel in der Hand, spielt begleitet von Georg Kreisler ein Klezmer-Lied auf der Klarinette und zitiert Salcia Landmann. Und dann kam ich, und so wie ich aussehe, war das für das Ü50-Kabarettpublikum schon eine Beleidigung. Das war ein einziges Missverständnis. In den Großstädten weniger, aber sobald es ländlicher wurde: los katastrophos. In meiner Heimatstadt Papenburg trete ich auch nie wieder auf.

Sie behandeln auch das Thema Männlichkeit ‒ eine längere Passage widmet sich dem Thema „Boys donʼt cry“. Ist Ihr Buch auf ein männliches Publikum hin geschrieben?

Nein, ich denke nie über so Geschlechtsdinge nach. Ohne Witz: Wenn sich zwanzig Erdmännchen Karten für meine Show kaufen würden, wäre das okay. Man erzählt das, was man erzählen will, und das finden Männer und Frauen gut. Meine neue Comedy-Show heißt „Krankes Schwein“, die ist schon recht derb, aber es kommen auch viele Frauen, die das geil finden. Auch das Buch berührt Frauen, bei denen erwacht oft so ein Beschützerinstinkt, wenn sie das Buch lesen.

Das wundert mich nicht: Ihr Zustand ist teilweise erschreckend geschildert. Ich habe mich gefragt, wie Sie nach diesen Erlebnissen je wieder Stand-up-Comedy machen können?

Das geht schon ganz gut, aber es findet halt anders statt als zu den Zeiten im Buch. Ich habe jetzt ein neues Management, das mich weniger im deutschen Ü50-Kabarettsektor unterbringt, sondern mehr im popkulturellen Kontext. Die vertreten auch K.I.Z., eine krasse deutsche Band, in deren Video ich als Adolf Hitler aufgetreten bin. Ich bin also eher in Popshows oder bei Lesereisen in richtigen Theatern wie dem Rabenhof in Wien oder der Volksbühne in Berlin.

Wird der Auftritt im Rabenhof eine simple Lesung, oder ist auch ein bisschen Comedy dabei?

Ich werde auch mit „Krankes Schwein“ nach Österreich kommen, das wird dann Stand-up pur. Die Lesung wird eine Lesung, in der ich die lustigen Komponenten des Buches hervorhebe. Am Ende gibt es erstmals ein Q&A, daraus ergeben sich sicher auch Stand-up-Elemente. Wenn ich nicht zu depressiv bin an dem Tag.

Kann das noch vorkommen?

Kaum. Auf vorherigen Touren habe ich den Fehler gemacht, alleine unterwegs zu sein. Jetzt habe ich einen Tourbegleiter, da ist alles easier.

Wann fiel die Entscheidung, Ihren Krankenhausaufenthalt literarisch zu verwerten?

Viele fragen mich, ob mir das Schreiben geholfen hat, die Krankheit zu verarbeiten. Das eine hat aber mit dem anderen nichts zu tun. Ich habe das ganze Buch bei Starbucks am Hackeschen Markt in Berlin geschrieben. Zuerst hatte ich eine Idee für ein Stand-up-Programm, aber dann entwickelte es sich zu einer Geschichte, die ich aufschreiben wollte.

Wie stellt man sich das vor?

Man ist wochenlang im Spital, kommt dann raus und muss am nächsten Tag weiter seiner Arbeit als Autor und Comedian nachgehen? Ganz so schnell geht es nicht. Man muss erst einmal entschleunigt auf sich achten und schauen: Was kann ich? Welche Kräfte habe ich? Dieser Prozess kann mindestens ein, zwei Jahre dauern.

Im Anhang ist die Playlist zum Buch angeführt. Soll man die bei der Lektüre mithören?

Nein, aber man kann! Es kommt so viel Musik vor, dass meine Lektorin die Idee hatte, alle Songs von Udo Jürgens über Tocotronic und The Notwist bis Blumfeld und James Blake aufzulisten. Das deutsche Musikportal Vevo hat dann sogar eine eigene Playlist daraus zusammengestellt.

Besteht die Gefahr, beim Schreiben über Depression wieder in diese abzurutschen?

Manchmal macht man durch die intensive Beschäftigung noch mal eine Mülltonne auf und kramt wie eine Katze in den Resten ’rum, aber grundsätzlich besteht keine Gefahr. Meine Sorge war eher, dass mich die Interviews dazu wieder runterziehen. Die machen aber total Spaß, weil: gute Leute und gute Fragen. Es ist jetzt halt eine Geschichte, die aufgeschrieben ist.

Wie konnten Sie sich so gut erinnern, wie Sie sich während der Depression fühlten?

Das war überhaupt kein Problem. Auch die Wut, die in dem Buch ist, habe ich heute teilweise gar nicht mehr. Und trotzdem konnte ich sie gut heraufbeschwören. Zum Beispiel, als sich im Quatsch Comedy Club der Moderator nach meinem Auftritt für mich entschuldigt, der ersten Reihe Getränke ausgegeben und auch noch Witze über mich gemacht hat, um sich selbst auf meine Kosten größer zu machen ‒ dass ich den töten wollte, daran habe ich mich einfach gut erinnert.

Das Buch endet eine Sekunde vor dem vermeintlichen Happy-End. Warum diese Entscheidung?

Was ich durch die Liebesgeschichte mit Sunny erzählen wollte: Wenn du depressiv bist, fühlst du nichts mehr. Gegenüber Dingen, die dir Freude gemacht haben, empfindest du nichts. Wenn du dann gesund wirst, schwindet diese Gefühlslosigkeit allmählich, und du fängst wieder an zu fühlen. Mir ging es gar nicht darum, eine Liebesgeschichte zu erzählen, sondern zu zeigen, dass dieser Panzer weg ist. Dafür war es nicht wichtig zu sagen: „Ich liebe dich“, oder wie es weitergeht.

Überraschenderweise offenbaren Sie sich im Buch auch als großer Fan von Udo Jürgens.

Mit ihm fühle ich mich verbunden, weil wir beide oft missverstanden wurden. In meinem Fall haben die Leute nicht geschnallt, dass ich ein Stand-up-Comedian bin, sondern dachten, ich sei nur ein Jude. Bei ihm denken Sie, er sei ein Schlagerstar, obwohl er ein Chansonnier ist.

Und „Twin Peaks“-Fan sind Sie auch. Was sagen Sie zu den Plänen von David Lynch, die Serie fortzusetzen?

Ich glaube, „Twin Peaks“ ist für meine Depression mitverantwortlich. Ich habe die Serie erst vor zwei Jahren gefunden, mich zwei Wochen zu Hause eingeschlossen und alles durchgeguckt. Das war echt psycho, aber ich freue mich trotzdem. Alle haben immer Angst vor Remakes, ich finde es okay.

Michael Mittermeier ist nach Amerika gegangen, um neu durchzustarten. Bei aller Frustration gegenüber deutschem Humor, wäre das nicht auch was für Sie?

Das ist auf jeden Fall eine Option. Wenn ich noch einmal depressiv wäre, ziehe ich nach Wien, denn hier komme ich mir völlig normal vor. Und wenn ich gesund bleibe, gehe ich nach Amerika und werde da „the only German Jewish comedian“.

 

Buch: Der jüdische Patient von Oliver Polak
10,30 Euro; www.kiwi-verlag.de

Termine

02.12.2014, 20:00 Uhr, Innsbruck, Treibhaus

03.12.2014, 20:15 Uhr, Feldkirch, Theater am Saumarkt

04.12.2014, 20:00 Uhr, Wien, Rabenhof Theater

05.12.2014, 20:00 Uhr, Klagenfurt / Celovec, Universität

06.12.2014, 20:00 Uhr, Graz, Orpheum