KULTUR

Martin Blumenau am FM4-Fest 2003

Exportschlager

Lange Zeit war auf den österreichischen Fußballplätzen genauso wenig Bewegung wie in der heimischen Popmusiklandschaft. Seit Wanda, Bilderbuch & Co ist jeder Schuss ein Tor.

Text: Martin Blumenau

Seit dem Vorjahr wird der Fußballfan aus Österreich, sofern er sich im Ausland als solcher zu erkennen gibt, als Gesprächspartner auf Augenhöhe wahrgenommen: egal ob in Dortmund, Liverpool oder Lissabon. Zuletzt war das nach dem Sommer 1978 der Fall – sofern man damals schon alt genug war, um im Ausland in Fußball-Gespräche verwickelt zu werden. Dazwischen lagen fast 35 Jahre Leere, 35 Jahre voll von mitleidigem „Wird-sicher-bald-besser“- Schultergeklopfe. Mit der österreichischen Popmusik ist das sehr ähnlich. Anfang der 80er begannen sich deutsche Gesprächspartner vor Demut auf den Rücken zu werfen, wenn man sich auch nur als Assoziierter der heimischen Szene zu erkennen gab: Ambros und dann vor allem Falco brachten genügend Imagepunkte. Zwischenzeitlich war die Flucht in die Nische, waren die Mitleids-Punkte angesagt: Kruder/Dorfmeister etwa kannte zumindest jeder, der Musik als mehr als nur das Gedüdel wahrnimmt, das aus dem Radio und in der Disse dröhnt.

Seit dem Vorjahr ist nun wieder alles anders: Die österreichische Popmusik wird in Deutschland so wie vor rund 35 Jahren als die bessere deutschsprachige Popmusik wahrgenommen, gilt als innovativ, aufregend und riskant – kontrapunktisch zur bundesdeutschen Bravheit, die selbst aus Rap-Beefs nur bessere Kindergarten-Tortenschlachten hervorbringt. Es gibt die nicht genügend gut gestillte Sehnsucht des deutschen Publikums, aber vor allem der deutschen Macher in der Unterhaltungsindustrie, die sich das Schlingelige, das Rau-Charmante, das Zubeißende, das strizzihaft Angeranzte wünscht, vom unsauber Gekochten und schludrig Servierten träumt, weil es trotzdem den Gaumen zerfetzt vor Lust, verbotenen Genuss bietet.

Diese Sehnsucht wird gern an den Österreicher, an das Österreichische ausgelagert und immer wieder bedient. Durch TV-Macher, Dokumentaristen oder Schauspieler beispielsweise, durchgehend seit vielen Jahren. Durch Schriftsteller, die auf Shortlists deutlich mehr Platz beanspruchen als das bevölkerungstechnisch zugestandene Zehntel. Und hin und wieder dann auch durch Popmusik. Popmusik, die sich schon im Mainstream-Bereich bewegt, aber dort ausfranst, aneckt und riskiert. Popmusik, die Barrieren oder Genregrenzen verächtlich übergeht. Im besten aller Fälle verursachen die Künstler, die das zustande bringen, kollektive bundesdeutsche Schnappatmung. Der daraus entstehende Rausch sorgt dann für einige Zuschreibungs-Kaskaden und die Lust, sich der österreichischen Unsauberkeit hinzugeben. Wie einem Latin Lover im Urlaub, nur ohne die Gefahren sprachlicher oder kultureller Missverständnisse – wovon nur die Deutschen ausgehen; gelernte Österreicher/innen wissen sofort um den Irrtum und nützen den entsprechenden Spielraum dann auch weidlich aus; aber das ist eine andere Geschichte.

Was „Big in Germany“ ist, hat auch international Chancen. Wie Falco (oder auch Supermax, Opus und Bilgeri; alles zumindest teilweise Englisch singende Künstler) in den 80ern. Was zur Spitzenplatzierung in den US-Charts, also einem nicht wiederholbaren Erfolg von vor genau 30 Jahren führte. Für Wanda und Bilderbuch, die Speerspitze der „neuen Österreicher“, die nicht nur das deutsche Feuilleton, sondern auch die Preislisten beeindrucken und sich massiv in den privat abgespeichertes Musik-Files der Konsumenten-Basis tummeln, ist derzeit der deutschsprachige Raum noch die gläserne Decke. Der nachdrückende Act Seiler und Speer wird es schon nördlich von Nürnberg schwer haben – es sei denn, sie erreichen die breite Palette und die komödiantische Wucht der EAV. Der Rest teilt sich in die Acts auf, die schon vorher Wahrnehmung erfahren haben (vor allem die in Berlin residierenden Ja, Panik oder Kreisky, aber auch Der Nino aus Wien) und in solche, die durch die Wanda/Bilderbuch-Wegbereitung in den Fokus geraten, gerade weil sie Österreicher/innen sind. Und irgendwie merkt man den Medien (weniger dem Publikum) an, dass sie sich einen überbordenden Jesus-Act wünschen würden, der Wanda und Bilderbuch retrospektiv aussehen lassen wird wie Johannes den Täufer. Wie im Fall von Falco, der – in der oberflächlichen Betrachtung aus dem Ausland – als Nachfolgeprodukt von Ambros/Danzer oder Fendrich galt.

Martin Blumenau isst schon wieder
Martin Blumenau wurde nicht so gerne fotografiert. Conny De Beauclair erwischte ihn auf den legendären FM4-Festen in der Arena dennoch zweimal. Einmal 2003 in Ruhe (oben), einmal 2010 auf der Flucht und meckernd.

Wirft man die möglichen, aktuell als potenzielle Durchstarter gehandelten Acts unters Brennglas, dann eint sie eine Gemeinsamkeit, die auch Wanda/ Bilderbuch zuzuschreiben ist: Sowohl optisch als auch musikalisch orientieren sie sich an der 80ern. Egal ob Fijuka oder Schmieds Puls, Crack Ignaz oder HVOB – bleiche Gesichter, melancholische Elektronik, Lenny-Kravitz-Hairstyle, Disco-Anklänge, Mut zur Mode noch ein wenig vor dem Puls der Zeit. Popmusik ist die erste (vormalige) Leitkultur, die sich bewusst wurde, dass Wiederholung, Rückgriffe in die eigene Geschichte, Cut-up und die Kunst des Zitats keinen Rückschritt darstellen, sondern der Dauerzustand populärer Künste sind. Nur das mangelnde Wissen um die Vorbilder der Beatles/Stones- Generation ermöglichte es dieser Generation, sich für erleuchtete Erneuerer zu halten, obwohl man auch nicht mehr tat, als Bestehendes zu bearbeiten, im Optimalfall zu verbessern. „Man braucht immer eine Vorlage. Wenn man sich nicht dem Zwang, nicht-epigonal sein zu müssen, unterwirft, dann kann man ja ruhig nach Vorlagen arbeiten“, sagte Michael M. Fitzthum, der Mann, den sie nach seiner Band der Einfachheit halber Wanda nennen, in einem Gespräch mit dem deutschen Musikexpress. Das ist ein Satz, den Maurice Ernst von Bilderbuch genauso sagen könnte. Das ist das Rückgrat der neuen Selbstsicherheit, mit der diese Bands arbeiten. Sie greifen dabei ohne falsche Scham in einen popmusikalischen Fundus, sie nutzen die digitale Verfügbarkeit von Musik aller Alter und Arten, sie baden in einer Gleichzeitigkeit. Und zwar als erste Generation.

„Früher“, also auch in den 80ern, „hätt’s das nicht gegeben“. Früher wäre der Hinweis auf den Verdacht des Epigonentums zumindest für ein naserümpfendes Feuilleton Grund für Minderschätzung gewesen. Ambros/ Danzer/Fendrich/EAV kamen (bis nach Deutschland) durch, weil sie etwas Originäres boten – nicht so sehr musi­kalisch, aber sprachlich und vor allem wegen ihres unverkrampften Zugangs. Bilgeri segelte auf der Kurzzeit-­Welle des gewagten Schrill-Disco-­Sounds noch weiter (bis nach Brasilien und Argentinien). Und Falco konnte mit seiner auf allen drei Ebenen basierenden Einzigartigkeit sogar global punkten: Da kam zu seiner hochindividuellen Version von Rap und Prä­-Elektro und seiner dichterisch entwickelten und lässig zweisprachig hingefetzten Wort­malerei auch noch eine Pop-­Persona, die internationalen Star-­Ansprüchen mehr als genügte.

Das ist heute weder möglich noch nötig. Noch ein Zitat, wieder von Michael Marco Wanda: „Ich habe das Gefühl, österreichische Musiker verzichten auf Skandale. Und wer Drogen nimmt, nimmt sie zu Hause.“ Das Bild des Stars hat sich also gewandelt, die Exzessivität wird über die Persona und ihr Image, nicht mehr über die Menschen dahinter ausgelebt. Miley, Kanye oder Beyonce sind ur­arg, aber nur in ihren Außen­auftritten, nicht (mehr) im privaten Selbstzerstörerbereich. „Es ist ein Privileg in dieser Gesellschaft, mit einem Ich­Entwurf zu spielen“, so der Wanda­-Frontmann in einem Standard­ Interview für die Modebeilage Rondo.

Die Helden, auf die sich sowohl Wanda als auch Bilderbuch beziehen, der kürz­lich verstorbene Gigant David Bowie und das österreichische All­-Time­-Idol Falco, haben das noch auf beiden Ebe­nen ausgelebt. Ein anderer, extrem wichtiger gemeinsamer Angel­punkt der beiden Acts, nämlich Nirvana/Kurt Cobain, beendete diesen Zugang. Zumindest für die später Geborenen, die diese Zeit (und wieder: die 80er) nicht live erlebten, sondern sich später erarbeiteten; Also das Wissen um das Scheitern in ihre musikalische Rezeption einarbeiten konnten. Das macht dann auch den entscheiden­den Unterschied zwischen den Genera­tionen aus: das Wissen um die gläserne Decke, die die Popmusik in ihren Ent­wicklungsmöglichkeiten limitiert; das Wissen um das Scheitern der Vorbilder, sofern sie sich zu stark mit ihren Figu­ren identifizierten, was wiederum die Künstlichkeit von Pop betont.

Die Balance zwischen der Präsentation der eigenen (überhöhten) Pop-­Figur und der schweißtreibenden Authentizi­tät, mit der sich Wanda oder Bilderbuch den direkten Zugang in die Emotionen ihrer Fanscharen erarbeiten, diese Balance macht es aus. Und da docken die beiden Top-­Seller direkt an den Österreicher­-Peak in den 80ern an; und kriegen wegen der kollektiven Erinne­ rung an das „Leiwande“, das da immer wieder mal aus Österreich rüberlappt, auch die entsprechenden Bonuspunkte. Auch weil man nicht wirklich hören kann, dass ihr Zugang ein deutlich pragmatischerer ist als der ihrer Vor­gänger; wohl weil sie die zwischenzeit­liche Notwendigkeit, „Pop“ vermehrt als Produkt zu begreifen, verstanden haben.

Die 80er stehen ästhetisch und optisch Pate für viele und vieles. Die Beachtung von Nachhaltigkeit und Wirkung unter­ scheidet den pragmatischen Ansatz der Künstler im Hier und Jetzt aber radikal von ihren Vorläufern: „Ich finde, wir müssen jetzt schon nach gewissen Re­geln weitermachen“, sagt M. M. Wanda; und muss sein Rock’n’Roll-­Image keinesfalls ablegen, wenn er diese Konventionalität herausstreicht, die Pop 2016 eben in sich trägt.