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Boda forever – Heidi Lists Kolumne im WIENER #W429

„We better stand by our Boda now. Weil schiach, weil Graffiti, weil viele Erinnerungen.“ Heidi List über das mittlerweile abgerockte Familienauto namens „Bodi“, das ihre Kinder jedoch nur noch peinlich finden.

Ich stelle fest, wir haben ein gestörtes Verhältnis zu unserem Auto. Uralt, dunkelgrün, scheußlich. Ich nenne keine Marke, sagen wir, es ist ein Boda Boktavia Kombi. Es war so eine erste Anschaffung. Vor dem Hund. Vor den Kindern. Vor den Katzen und den Fischen. Vor den Wohnungen. Boda war immer da. Er fuhr uns in den Urlaub, wie die Horrorreise nach Bulgarien, die ein echter Beziehungscrashtest war und die Erkenntnis brachte: Solange man was zu lesen und Schnaps hat, hält man alles aus. Oder die schöne Reise nach Apulien. Holland. Deutschland. Schweiz. Und Äonen von Autobahnkilometern durch Österreich aus beruflichen Gründen. Er fuhr uns auf Hochzeiten und Begräbnisse. Oh, er bockte oft, wie alles, was wir uns anschaffen (ich erwähne noch mal den Hund, die Kinder, die Katzen, die Fische und die Wohnungen). Wir steckten mehrere Autos an Reparaturkosten in ihn hinein. Weil: unser Bodi.

Nein, man sieht ihm unsere Liebe für ihn nicht an. Weil für uns ein Auto ja eigentlich nur ein Objekt ist, das uns von A nach B bringt, haben wir nie viel Sorgfalt betrieben, was die Pflege betrifft. Der, der fährt, ärgert sich, dass der andere so einen Saustall hinterlassen hat. Doch es stört schon. Aber. Alle halben Jahre bekommt einer einen Rappel und entkärchert einen widerlichen ­Bodensatz an Plastikflaschen, Kapperl und pickigen Zuckerlpapieren. Alle zwei Jahre werden Gelder in eine professionelle Reinigung investiert, nach der mit der Reinigungsfirma immer der Preis nachverhandelt werden muss, denn so etwas habe noch keiner erlebt. Und ob wir in dem Ding hausen würden. Irgendwann kam noch unsere Überlegung dazu, dass die Kinder eigentlich auch mal zusammenräumen könnten, diesen Test sitzen wir seitdem zu viert aus.

Dazu kommt eine eigenartige Neigung eines der Fahrer, Dellen hineinzufabrizieren. Die bleiben unausgebessert, weil charakter­stärkend. Eines Tages schlussendlich haben Graffitisprayer noch über den Lack gesprüht, nicht einmal was Cooles, Einfallsreiches, einen kleinen Banksy oder wenigstens den vertrottelten Puber. Es war einfach nur ein riesiges silbernes Viereck vorne rechts. Armer schiacher Boda. Er knarzt und stinkt, steht da mit seinen Beulen und seiner missglückten Verzierung. Wie so ein alternder Drummer aus der Grungezeit, der halt dann auch irgendwann Familie bekommen hat und nun einen 9-to-5-Job absitzt. Er hat alles miterlebt. Alles, was wir aufgebaut haben, und alles, was wieder vergangen ist.

„Hoffentlich bekommt er kein Nierenversagen oder wie das bei einem Auto heißen kann.“

Nun ist es aber so, dass ich neuerdings nicht mehr vor unserem Haus parken darf. Und auch nicht vor der Schule. Eine, besser zwei Gassen weiter, das sei nicht peinlich. Und nein, andere Leute dürfen nie wieder mitfahren. Sagen die Kinder. Jetzt würde ich ja mit viel Empörung entgegenwirken, dass Statussymbole noch nie viel für den Charakter getan hätten und ein Auto einfach ein Auto sei, wenn das nicht von Kindern käme, denen Marken wirklich von Herzen blunzen wären. Wenn sie sich irgendwas wünschen dürften, dann ein anderes Auto. Kein tolles. Nur ein unauffälliges, vielleicht sogar sauberes. Aber, so argumentieren wir, wir wollten es doch schaffen, dass er 300.000 km draufhat. Gut, dann sollen wir alleine damit fahren, sagen sie. Das Auto sei einfach peinlich, innen wie außen. Sie wollen nicht die Kinder sein mit dem grausamen Familienauto, wir würden sie schlecht prägen damit. Sie wollen lieber Öffi fahren, da lacht keiner. Das sitzt.

Murrend habe ich begonnen, mich um Leasingvarianten für ein neues Gefährt zu kümmern. Aber, wie schon beim Hund, der auch schiach war, kommen mir diese ­makellosen Schönheiten unpassend vor. Ein Auto ohne Depscher und Graffiti links vorne ist einfach nicht unser Auto. Noch nicht. Wir sind noch nicht so weit.

Hoffentlich bekommt er kein ­Nierenversagen oder wie das bei einem Auto heißen kann. Und weil wir so schlecht beim Loslassen sind: Der Hund wurde eingeäschert und steht jetzt staubig in einer Vase am Kasten. Das heißt, wir brauchen eines Tages ein eigenes Zimmer für das grüne Schrottviereck, dass wir als Erin­nerung aufheben werden wollen. Mit dem Graffiti außen dran. ­Morgen wird er professionell ­gereinigt. Because, frei nach Lenny Kravitz: We better stand by our Boda now. Weil schiach, weil Graffiti, weil viele Erinnerungen. Heutiger Stand: 292.500 km.

Fotos – Header: (c) Pamela Russmann