AKUT
Slow Sex im Waldviertel – Dirk Stermanns Kolumne im WIENER W432
Was unterscheidet die Waldviertler von den Wienern, die im Waldviertel ein Wochenendhaus bewohnen? Welche Rolle spielt dabei die Internetverbindung? Und was hat das alles mit Slow Sex zu tun? Dirk Stermann klärt uns auf.
Ein Bekannter von mir, der in Österreich sehr bekannt ist, hat ein Wochenendhaus im Waldviertel. In der Nähe der braunen Thaya, die aussieht, als sei sie gerostet. Vielleicht liegen auch einfach nur sehr viele Autos und Waschminen am Grund des Grenzflusses zu Tschechien. Früher, als es noch den Eisernen Vorhang gab, schoss die örtliche Fußballmannschaft immer wieder einmal einen Ball über die Grenze. Aus dem Nichts wurde der Ball dann zurückgekickt. Man sah keinen Tschechen, aber irgendwann den Ball zurückfliegen. So hielt man irgendwie freundschaftlichen Kontakt zu denen da drüben. Man kann auch in freundschaftlicher Absicht aufeinanderschießen. Fußballer eher als Soldaten.
Mein Bekannter wohnt dort in einem der zahlreichen Schlösser. Fast jeder Wiener hat ein Schloss im Waldviertel. Wieso es dort wohl so viele Schlösser gibt? Kreisverkehre und Schlösser, in denen Wiener leben, das ist Niederösterreich. Die wenigen echten Waldviertler leben nicht in Schlössern und stehen missmutig an den Kreisverkehren. Jede Abzweigung führt zu einem Schloss, in dem ein Wiener sitzt, während sie selbst in baufälligen Bauernhäusern leben, die ihnen andere Wiener abkaufen wollen, weil die Wiener es, anders als die Waldviertler, lieben, wenn es romantisch durchs morsche Gebälk zieht und das Haus windschief auf dem kargen Waldviertler Boden steht. Alle Waldviertler Bauern träumen von einem Blaue-Lagune-Haus in Kotzgrün oder Pissgelb, während die Wiener ästhetische Orgasmen bekommen, wenn ein Haus aussieht, als wäre es schon immer eine bäuerliche Ruine. Es sind unterschiedliche Menschen, die da aufeinanderprallen. Die Wiener wollen ihre Ruhe von der Großstadt, und die Waldviertler wollen ihre Ruhe vor den ländlichen Ruhe suchenden Wienern.
„Was aber alle im Waldviertel vereint, ist eine Internetverbindung, die schlechter ist als die in der Tschechoslowakei zu kommunistischen
Zeiten.“
Was aber alle im Waldviertel vereint, ist eine Internetverbindung, die schlechter ist als die in der Tschechoslowakei zu kommunistischen Zeiten. Bill Gates würde die Internetverbindung des Waldviertels nicht als Internetverbindung erkennen. Es ist so eine Art Internetverbindung, die wirkt, als hätte man sie aus Steinen und Ästen hergestellt. Die Internetverbindung ist nicht viel besser als zu den Zeiten, als die zahlreichen Schlösser erbaut wurden. Das macht die Wiener verrückt. Weil Landleben, schön und gut, aber so abgeschnitten von der Welt, dass man die Bücher und Artikel, die man gerade geschrieben hat, nicht nach Wien senden kann? Da wird oft geflucht von den Burgherren und Schlossfräuleins mit dem Autokennzeichen W.
Über dieses Schicksal der gemeinsamen digitalen Diaspora ist mein Bekannter mit seinem bäuerlichen Nachbarn nach Jahren der gegenseitigen Ignoranz ins Gespräch gekommen. Sie trafen sich, wo sonst, am örtlichen Kreisverkehr zwischen zwei Waldstücken im Herbst. Der Wiener warm eingepackt mit Schal und Mantel, der Eingeborene im offenen Sommerhemd ohne Jacke, weil der Eingeborene von Geburt an kälteunempfindlicher ist als der verweichlichte Städter.
„Sagen Sie mal, haben Sie auch so eine zähe Internetverbindung?“, fragte mein Bekannter.
„Nein, es ist so wie immer“, sagte der resignative Bauer.
„Es ist ja praktisch unmöglich, eine Seite im Netz aufzurufen“, schimpfte mein Bekannter.
Der Bauer schaute ihn nachdenklich an. Was hatte der Städter nur? Er kannte es nur so. Noch nie hatte er schnellere Internetverbindung erlebt. Er wusste nicht, dass man in der Stadt eine Seite anklickt, und die erscheint dann auch sofort. Der Waldviertler war es gewohnt, auf Bildschirme zu starren wie andere auf Ziegen.
„Aber wie machen Sie das denn?“, fragte mein Bekannter.
„Ich warte, dass was kommt. Ich sitze und warte. Da dreht sich immer so ein Kreis, dann geht’s kurz weiter, dann kommt der Kreis, dann geht’s wieder weiter. Ich sitze und warte.“
Mein Bekannter glaubt seit diesem Gespräch, dass sich die Sexualität im Waldviertel verändern wird. Wenn der Bauer Youporn schaut, sieht er entschleunigten Sex mit unendlich langen Pausen und abgehackten Vögeleien. Er wird glauben, dass so Sex funktioniert. Langsam, mit Pausen, kurzen, abgehackten Bewegungen des Unterleibs, dann wieder Pause. Eine Art Waldviertler Kamasutra. Wo man sich Zeit nimmt. Eigentlich eine schöne Vorstellung. Slow Sex im Waldviertel.
Foto: © Udo Leitner
Dirk Stermann
kolumniert seit Jahren im WIENER, heißt wöchentlich Österreich willkommen und ist erfolgreicher Autor.