Film & Serie

Füße, Fahrten, Family


Quentin Tarantino, der wohl jüngste Altmeister seines Fachs, kehrte fast auf den Tag genau 25 Jahre nach seinem wegweisenden Triumph mit Pulp Fiction an die Croisette zurück – und holte sich mit seinem neunten Spielfilm Once Upon a Time in … Hollywood – keine Goldene Palme. Trotzdem: Der Hype an den heimischen Kinokassen ist jedenfalls eine Woche nach dem Start vergleichbar mit jenem vor einem Vierteljahrhundert.

Markus Höller / Franz J. Sauer

Lange wurde gerätselt, wie der schon zu Lebzeiten legendäre Filmemacher seine neunte Gesamtarbeit (Drehbuch und Regie) anlegen wird. Schließlich war ja eine Hommage an die ausklingenden 60er-Jahre in Hollywood unter Einbeziehung der leider realen Geschichte rund um die Morde der Manson-Family an Sharon Tate und anderen geplant – kein leichtes Unterfangen, auch für einen so raffinierten Geschichtenerzähler wie Tarantino. Zudem ist Tarantino mit seiner filmischen Aufarbeitung des „Helter Skelter“ ziemlich spät dran – nach „Aquarius“ und Konsorten.

Geworden ist der Dreistünder letztlich beides, sowohl Historienstreifen als auch Kriminalgeschichte. Anders als sonst beim Meister gibt es hier eigentlich nur zwei große Storyplots, die sich wie gewöhnlich erst gegen Ende miteinander verweben. Der Hauptplot: eine klassische Bromance zwischen einem auf das Abstellgleis zusteuernden Fernsehschauspieler mit Alkoholproblemen und seinem besten Freund/Stuntman/Fahrer (großartig: Leonardo DiCaprio und Brad Pitt, der in diesem Streifen erstmals endgültig die Rolle des Elder Statesman gibt, womit die Metamorphose vom jugendlichen Sexerl zum Vertreter der Granden-Liga eines Pacino, De Niro oder, ja, gar, Brando abgeschlossen scheint).

Mit der gewohnt extremen Akribie und Kameraverliebtheit, unterstützt von einem leidenschaftlichen Soundtrack aus der eigenen, höchst privaten Playlist, entführt Quentin Tarantino die Zuseher auf eine Art filmischen Themenpark zur Zeit des großen Umbruchs in Hollywood, zitiert dabei unzählige andere Filme und hält sich wohltuend intensiv damit auf, Totems und Designmerkmale dieser Zeit plakativ ins Bild zu rücken.

An anderen Stellen wiederum walkt der einstige Großmeister der Dialogregie Szenen eine Spur zu lange aus, was bekanntlich deren Überflüssigkeit besiegelt. Konnten tausende Wortwiederholungen dereinst in der legendären „Uhr-im-Arsch-Szene“ von Pulp Fiction endlos verzücken, so geraten ähnliche Begebenheiten diesfalls zu behäbig. Geschickt strickt Tarantino hingegen subtile Statments zu aktuellen Gesellschafts-Topics (#metoo und Konsorten) in den Plot, sie sorgen für subkutanes Verständnis, können aber auch, bei Bedarf, überhört werden. Völlig hemmungslos frönt Tarantino, quasi als selbstbewußtes Bekenntnis zu eigenen, sexuellen „Unzulänglichkeiten“, seinem aktenkundigen Fußfetisch. Wenn Schotter-Streifen wie „50 Shades of Grey“ Fesselbooms in Spießer-Schlafzimmern auslösen und für Umsatzzuwächse in Baumärkten sorgen können, so darf ein Quentin Tarantino anno 2019 wohl auch die Fußliebe salonfähig machen. Minutenweise werden Szenen, die der Handlung null dienen, demselben gewidmet. Und auch die wirklich schönen Füße der bezaubernden Margot Robbie dürften beim Casting keine untergeordnete Rolle gespielt haben.

In der Zielgerade des Films aber laufen die locker aufgebauten Handlungsstränge schließlich doch zusammen und erfüllen eine gewisse Erwartungshaltung, weil man ja weiß, was in jener grausamen Augustnacht am Cielo Drive im echten Leben geschah. Wie mit einem Turbolader zündet Tarantino eine filmische Rapidviertelstunde, die final die eingangs erwähnte Manson-Mordstory einbezieht. Kein Spoiler. Jedenfalls sei so viel verraten: Das explosive Finale des Films erwischt den Zuseher eiskalt und gehört mit zum besten, was der 56-jährige Regisseur in seiner beispiellosen Karriere hervorgebracht hat. Wie bei anderen einschlägigen Szenen (etwa in „Ingloriuos Basterds“), die durch bloßes Zusehen beim Aggressinosabbau helfen, wird auch diese Szene aus dem Film exzerpiert wohl am öftersten abgespielt werden. Nicht zuletzt durfte Tarantino dafür in Cannes sechsminütige Standing Ovations entgegennehmen, auch wenn es letztlich nicht für die Goldene Palme gereicht hat. Einen Tag nach dem Kinogenuß weiß man jedenfalls, was man beim unmittelbaren Verlassen des Kinos noch nicht wußte: Der neunte Tarantino-Film ist ein Hammer.

Once Upon a Time in … Hollywood;
Produzent: Quentin Tarantino, David Heyman, Shannon McIntosh; Regie: Quentin Tarantino; Drehbuch: Quentin Tarantino; Hauptdarsteller: Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie; Verleih: Sony Pictures, Start: 15.8.2019

Foto: Sony Pictures