AKUT

Fuck off, Tyler!

Jakob Stantejsky

Die Verweiblichung der Massen bedeutet im selben Atemzug eine Vermenschlichung der Frau. In jedem Sinne. Denn wo Frauen bis vor wenigen Jahrzehnten in vielerlei Hinsicht wirklich noch Menschen zweiter Klasse waren und teilweise darüber schon froh sein mussten, treten sie uns Männern jetzt in den Arsch. Und das ist gut so.

Text: Maximilian Barcelli & Jakob Stantejsky / Fotos: Thomas Riess

„Man is such a fool, why are we saving him? Poisoning themselves now, begging for our help, wow!“, singt Billie Eilish, Provokateurin und prototypisch moderne junge Frau, heute. Alte weiße Männer würden der Amerikanerin auf solche Aussagen hin am liebsten ein Kruzifix oder zumindest einen Zopf Knoblauch entgegen­recken und wären sich wahrscheinlich nicht zu blöd, öffentlich flugs in die Opferrolle zu schlüpfen. Solch diskriminierende Hassbotschaften dürfen doch nicht verbreitet werden! Nur: Es handelt sich um keine Hassbotschaft, sondern um die bittere Wahrheit. Der Mann hat in den letzten paar Tausend ­Jahren eine Menge Bullshit veranstaltet, und jetzt wagt endlich jemand, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Dass es sich ­dabei um die bisher so unterdrückte und von den schlimmsten Männern mehr als Haustier betrachtete Frau handelt, bringt viele ganz besonders zur Weißglut. Denn darf die Weltordnung wirklich so über den Haufen geschmissen werden? Schließlich hat sie sich ja bewährt. Die Bilanz sind unzählige Kriege mit zahllosen Toten, ein Prozent, das die anderen 99 als Diener hält, und ein Planet am Rande des Kollaps. Diesen Weg sollte man ganz dringend weiterverfolgen.

Der moderne junge Mann ist sich der Rolle seiner Vorfahren bewusst und akzeptiert dementsprechend auch die neue Rolle der Frau deutlich bereitwilliger. Ja, die Verweiblichung schreitet mit großen Schritten voran, just in diesem Moment rüttelt die Frau an Grundfesten und beschreitet neue Wege. Und das ist auch besser so, denn wir Männer brauchen dringend Hilfe.

Aber ist Gleichberechtigung für uns Boys tatsächlich so selbstverständlich, wie immer getan wird – allen voran von uns selbst? Klar, wir sind nicht mit Kohl oder Schmidt, sondern ­Merkel aufgewachsen, und unsere Väter haben gekocht und geputzt. Gesetze, die eine Vergewaltigung innerhalb der Ehe nicht als Straftat ansehen oder das Einverständnis des Ehemanns voraussetzen, damit eine Frau arbeiten gehen darf, wirken für uns so absurd, dass wir sie instinktiv wohl eher dem 19. Jahrhundert als den 70ern zu­ordnen würden. Und anderseits: Millennials und Generation Z sorgen dafür, dass Künstler wie 187 Strassenbande und Co. mit Texten wie „Verbrenn Nutten, wenn sie mein’ Schwanz schlucken, wie Flaschen Tabasco“ oder „Knall sie in der Parklücke weg, wichs ihr in die Fresse und frag sie: ‚Wie schmeckt’s?‘“ die Charts stürmen. Frauen, die in der Weltgeschichte herumvögeln, sind für uns Sluts. Junge Männer, die das tun, Fuckboys. Wir reden abwertend über Frauen. Wir ­belästigen Frauen betrunken in Bars. Wir schicken ihnen ungefragt Dickpics. Wir sind noch lange nicht am Ziel.

Nur: Was ist dieses Ziel überhaupt? Das Matriarchat? Wäre zwar nur fair, aber nein. Ziel muss sein: Gleichberechtigung. Echte, universelle, selbstverständliche. Um das zu erreichen, muss die Verweiblichung der Welt weiter voranschreiten. Denn Tatsache ist: Noch ist sie zu männlich, auch wenn in den letzten Jahrzehnten zweifels­ohne schon einiges erreicht wurde. Wenn in Anbetracht dieser Verweiblichung dann manch Konservativer in Endzeitstimmung verfällt und dem Mann eine düstere Zukunft prophezeit: Für Frauen ist die Welt jetzt schon düster, zumindest düsterer als für uns. Warum soll dem anderen Geschlecht also nicht etwas mehr Sonne zuteil werden? Auch wenn’s für die Penis-Fraktion dann ein wenig ­dunkler wird.

Wird es nämlich bestimmt, da muss man Antifeministen schon Recht geben. Mann hat’s schon nicht ganz unlässig gehabt. Natürlich nicht in allen Belangen und allen Epochen, aber unterm Strich war das Leben mit Eiern ein einfacheres. Und ist es auch heute noch. Denn wir Männer verdienen immer noch mehr Geld für die gleiche Arbeit, sind viel seltener sexueller Gewalt aus­gesetzt und können im Stehen pinkeln. Klar, dass ein egoistischer Mann solch Privilegien ­ungern aufgibt.

Den müssen wir loswerden. Also nicht den egoistischen Mann, das wäre etwas sehr radikal. Aber diesen Egoismus, dieses „so ist es halt“, das muss sich endgültig verabschieden. Mehr noch: Die Damenwelt für ihre Rechte kämpfen zu lassen, mag zwar dem einen oder anderen schon überaus gönnerhaft erscheinen, geht aber nicht weit genug. Wenn wir wirklich so aufgeklärt sind, wie gerade wir junge Menschen oft gerne sein wollen, dann sollten wir Seite an Seite mit den Frauen für ihre Sache eintreten. Bis es im großen Stil soweit ist, wird es sicher noch eine Weile dauern. Aber es wird. Denn das Mannsein hat sich gewandelt und wandelt sich immer noch. Es ist nicht mehr der der Männlichste, der seine Umgebung am unerschütterlichsten unter Kontrolle hat. Die Mädchen- und Frauenzeitschriften mit ihren Schlagworten wie „einfühlsam“, „verletzlich“ und „liebevoll“ werden von uns zwar gern durch den Kakao gezogen, sie haben aber nicht unrecht. Denn Frauen schätzen diese Eigenschaften tatsächlich immer mehr an Männern. Wer ihnen entspricht, ist auch nicht schwanzlos oder so. Stärke und Zuverlässigkeit sind immer noch sexy. Doch ebenso wie wir die Frauen nicht mehr als Untermenschen wahrnehmen dürfen, sollten sie uns nicht mehr als ­abgehobene Herrscherfiguren sehen. Denn man darf nicht vergessen: In dunkleren Zeiten war diese „gottgegebene“ Ordnung sicher auch von zahllosen Frauen akzeptiert. Heute ist sie das nicht mehr oder zumindest immer weniger. Ein echter Mann kann empathisch und gleichgestellt sein, ohne sich bedroht zu fühlen. Er muss nicht mehr um seine Machtstellung kämpfen, weil er sie gerne aufgibt. Denn ein männlicher Mann hat diese Sexismus-Scheiße nicht mehr nötig. Das heißt nicht, dass wir Frauen nicht mehr schön oder auch geil finden dürfen. Wir müssen aber akzeptieren, dass die Frau entscheidet, ob ihr das etwas bedeutet.

Wer sich strikt weigert, für die Gleichstellung der Frau einzustehen, der sollte zumindest die Klappe halten. Wenn’s ums Gendern geht, um Quoten oder die verdammte Bundeshymne. Klar, es gibt auch rationale Argumente, die gegen diese Behelfe sprechen, in puncto Gendern aus redaktioneller Sicht beispielsweise Platzmangel und Textfluss. Man(n) sollte trotzdem akzeptieren, dass sie notwendig sind, was ja schon ein Armutszeugnis an sich ist. Außerdem klingt der, der bei „Töchter und Söhne“ den Untergang des Mannes heraushört, wahnsinnig weinerlich – und das ist gar nicht sexy. Tyler Durden wirft in „Fight Club“ die Frage auf: „Wir sind eine Generation von Männern, die von Frauen großgezogen wurden. Ich frage mich, ob noch eine Frau wirklich die Antwort auf unsere Fragen ist.“ Aber Tyler Durden war auch nur die Projektion eines dis­soziativ Identitätsgestörten. Und schlussendlich ist der ihn ja auch losgeworden.