KULTUR

Kroatien – Heuer oder nie

Franz J. Sauer

Nach einem durchwachsenen und durch Corona stark beeinträchtigten Reisejahr 2020 geht es für Kroatien und seinen Tourismus heuer so ziemlich ums Ganze. Der dalmatinischen Gelassenheit geht diesbezüglich langsam der Sprit aus. Ein Lokal­augenschein vor Ort, wie sich Kroatien auf den vieles entscheidenden Sommer 2021 vorbereitet.

Text und Fotos: Franz J. Sauer

Klar, Covid mit seinen unsäglichen Lockdowns trifft uns alle. Auch in Österreich leiden die Hotellerie, die Gastronomie und alle daran hängenden Gewerbe. Allerdings hat man hierzulande das ganze Jahr über Zeit, seinen Schilling hereinzuholen. In ­Kroatien stellt sich das ein wenig anders dar.

„Stell dir vor, du hast nur vier Monate Saison. Insgesamt einen Monat Schlechtwetter musst du zusätzlich einkalkulieren. Aber wenn dann Mitte Juli Deutschland die Grenzen schließt, hast du ein Problem.“ Branko Stajer ist Gastronom an der Küste, irgendwo zwischen Crikvenica und Senj betreibt er ein malerisches Restaurant an der „Jadranska Magistrala“, der legendären Küstenstraße Kroatiens, die das Land sozusagen in der Mitte teilt, wenn man die über 1.246 Inseln, von denen 47 dauerhaft bewohnt werden, mit zur touristisch bewirtschafteten Zone zählt. ­Stajers Wirtsgeschäft ist im ­Vergleich zu „Konobas“ und „Café-Bars“ in unmittelbaren touristischen Zentren noch relativ krisensicher, was die saiso­nale Abhängigkeit betrifft. Die Küstenstraße wird schließlich ganzjährig befahren und ist vor allem für Transporter und Lkw nach wie vor kostengünstige ­Alternative zur mautpflichtigen Autobahn, die nach Kilometern abgerechnet wird und nicht wie etwa in Österreich oder Slowenien pauschal. Dennoch arbeitet auch Stajer bloß in den Sommermonaten, konkret von Mitte Mai bis Ende September richtig kostendeckend. Als Corona über Europa kam, also im März 2020, war man gerade mit den Vorbereitungen für die Sommersaison beschäftigt. Von März bis Mai putzt sich Kroatien alljährlich raus. Dann sind Baustellen allgegenwärtig, Häuser werden renoviert, Bootsstege repariert und die Gastrobetriebe auf Vordermann gebracht. Die Stimmung blieb im Vorjahr lange gut bis ruhig. Zum einen konnte man die Gefahr des Virus nicht richtig greifen, die Todeszahlen hielten sich in Grenzen, einzig aus Ballungszentren waren Cluster ­bekannt. Vor allem aber taten die vom Tourismus abhängigen Gastronomen und Hoteliers den Teufel, auch nur irgendwie geartete Panik zu verbreiten. Als es dann auch noch der Wettergott gut meinte und die wichtigen warmen Monate durchwegs ohne Regen oder längere Sturmperioden (Bootsverkehr!) auskamen, hatte man allseits große Hoffnung, das Gespenst Covid mehr oder minder ereignislos zu durchtauchen.

Ein wichtiger Teil des Tourismus-Geschäftes in Kroatien spielt sich auf Booten ab. Hier die Marina Kremik bei Sibenik

Dann kam der August. Vor allem in Süddalmatien hatten sich einige Corona-Hotspots gebildet, überall dort, wo vor allem Jugendliche ausgelassen gefeiert hatten und sich in Clubs und Bars zwar Open Air, aber eben doch viel zu dicht aneinander­gedrängt hatten. Als die Heimreisenden schließlich das Virus in ihre Heimatregionen einschleppten, setzte sich bald das unter anderem von Bundeskanzler Kurz ins Leben gerufene Narrativ „Das Virus kommt mit dem Auto“ in den Köpfen der Leute durch. Zusätzlich zu hastig eingesetzten Grenzkontrollen mit Testpflicht et cetera erreichte die Stimmungsmache auch die Köpfe der Daheimgebliebenen, als Kroatien-Urlauber war man in Wien bald als Terrorist oder ähnliches verschrien. Folgerichtig hagelte es Stornos. Und Mitte August, normalerweise eine der umsatzstärksten Zeiten in Kroatien, war plötzlich Flaute an der Adria.

Trotzdem überlebte Kroatien den Sommer 2020 sozusagen mit einem blauen Auge, der September zeigte sich außerdem sowieso nicht von seiner besten Wetter-Seite, also war die dann längst etablierte Testpflicht bei der Heimreise auch kein großer ­Gamechanger mehr. Und wie wir alle wähnte man sich auch in Kroatien im Herbst sicher, dass der Covid-Spuk nun vorbei sei und 2021 ein ganz normales Jahr werden würde. So sehr kann man sich täuschen, wie wir alle nun wissen.

Die Brücke von Komarna (Festland) nach Brijesta auf der Halbinsel Peljesac ist ein Prestigeprojekt der kroatischen Regierung. Sie wird das kroatische Kernland mit dem südlichen Teil Dalmatiens verbinden, wohin bislang keine durchgehende Straßenverbindung besteht. Die Fertigstellung ist bis Juni 2022 geplant. Die Projektkosten von 550 Mio. Euro werden mit 357 Mio. Euro von der EU finanziert. Der Bauträger ist aus China.

Nun ist es also März 2021. Der WIENER macht den Lokalaugenschein an der kroatischen Küste. Und vom Optimismus des Vorjahres ist hier plötzlich nicht mehr viel zu spüren. Branko ­Stajer hat die Küche nebst Personal aus Einsparungsgründen vorerst geschlossen, es gibt bloß Kaffee und Snacks. Wann er in den Vollbetrieb übergeht, weiß er noch nicht. Seit 1. März darf man zwar in den Gastgärten wieder normal ausschenken, allerdings reicht die Frequenz noch lange nicht für den für diese Jahreszeit normalen Umsatz. Auch auf den Inseln, beispielsweise auf Rab, herrscht zu Ostern keineswegs der sonst übliche Vollbetrieb. ­Gerade mal in zwei, drei Restaurants glühen die Herde, es herrscht abwartende Vorsicht. Alexander Bravaric betreibt mit dem Strandrestaurant „Frkanj“ auf der Südwestseite der Insel einen der schönsten Strände des gesamten Landes. Längst hat sich sein malerisches Resort vom ­Geheimtipp zum vielbesuchten Hotspot der Insel gewandelt. Aber auch Alexander, im Vorjahr noch recht unbesorgt bezüglich der Krise, ist mittlerweile mit seinen Prognosen vorsichtig ­geworden. Zumal sein Geschäft tatsächlich in insgesamt vier ­Monaten einspielen muss, wozu manch Pension in Österreich, Italien oder Frankreich das ganze Jahr Zeit hat. Üblicherweise eröffnet der „Frkanj“ zu Pfingsten und schließt je nach Wetterlage Ende September. „Aber heuer wollen wir vielleicht verlängern“, gibt sich Alexander vorsichtig innovativ. Schon im Vorjahr wollte er sein Restaurant um ein paar Gasträume erweitern, um Gästen ein Rundum-Naturerlebnis bieten zu können. Aber wie viele ­andere hat auch Bravaric vorerst sämtliche Pläne, die größere Investitionen bedeuten, auf Eis gelegt. Bloß sein normales Restaurantangebot hat er um ein paar Innovationen erweitert, etwa Ausgabe von Picknickkörben für Wanderwillige, die das wunderbare Pinienwäldchen rund um sein Restaurant kulinarisch wohlausgestattet erkunden wollen, oder aber einen Barbetrieb auch abends, mit Musikunter­malung und kleiner Karte für Nachtschwärmer und Romantiker. Von überschäumendem Optimismus ist aber auch beim sonst sehr entspannten „Sascha“ nicht mehr viel zu spüren. „Die Gesamtstimmung ist bedrückend, alle kennen mittlerweile Menschen, die schwer an Corona erkrankt sind. Auf der Insel hält sich die Gesamtzahl gottlob sehr niedrig, wir hatten niemals mehr als 20 Fälle gleichzeitig. Aber wir alle wissen nicht wie es weitergeht.“

Szenenwechsel: Dubrovnik, Süddalmatien, der Luxus-Hotspot an der kroatischen Küste, zuletzt durch „Game of Thrones“ berühmt geworden, von Kreuzfahrtschiffen und deren Inhalt regelmäßig überrollt. Der Flughafen wurde erst 2019 üppig ausgebaut, schließlich ist Dubrovnik einer der wenigen Orte Kroatiens, die man direkt anfliegen kann. Über den Straßenweg ist der einstige Stadtstaat „Ragusa“ dementgegen eher mühselig zu erreichen. 9,3 Kilometer Bosnien sind zu passieren, will man über die „Magistrale“ nach Dubrovnik vorstoßen – und damit zwei EU-Außengrenzen. Wie viel Reisezeit man an jenen zubringt, hängt eine Spur zu sehr vom Goodwill der jeweils diensthabenden Zöllnerinnen und Zöllner ab. Weshalb auch die schon seit über 15 Jahren geplante, mit fetten EU-Geldern unterstützte und auch bautechnisch nicht unheikel zu verwirklichende Brücke von der Küste rüber auf die Halbinsel Peljesac endlich Gestalt annimmt. So kann man künftig auch auf dem Landweg das Stückchen Bosnien umfahren.

Zu Ostern 2021 erlebt Dubrovnik einen Total-Lockdown. Bloß eine Handvoll Hotels ist für Geschäftsreisende geöffnet, die dazugehörigen Restaurants dürfen ebenfalls arbeiten. Sonst ist alles zu, wirklich alles. Nicht mal Take-aways oder Schanigärten dürfen bewirten, der (Souvenir-)Handel dürfte zwar aufsperren, aber hier stellt sich die Frage: für wen? Bloß einige wenige Internationale sind in der Stadt, die die gespenstische Ruhe in der historischen Altstadt genießen – der Stadtmauern-Rundgang um das UNESCO-Weltkulturerbe ist ­Covid-konform gestattet. Die Gas­tronomen der Stadt sind allerdings einigermaßen desperat. Ersparnisse sind aufgebraucht, Rücklagen gibt es selten. Zwar gehören die Immobilien, in denen sich die Konobas, Bars und Take-aways befinden, zumeist der Stadt, und die erlässt, wenn Lockdown ist, die Mieten. Aber Personal will bezahlt werden und erwartet sich eine Perspektive für den Sommer – die die Betreiber noch lange nicht geben können. Der Total-Lockdown ab Ston südwärts ist jedenfalls eine Vorsichtsmaßnahme der Regierung. Ab 1. Juni müssen sämt­liche Virus-Indikatoren von ­Inzidenzen bis Neuinfektionen schließlich so weit unter den ­jeweiligen Messwerten liegen, dass das restliche Europa guten Gewissens die Grenzen öffnet. Sonst ist man auf gut Qualtin­gerisch hierzulande „im Oasch daham“.
Split liegt ziemlich in der Mitte von Dalmatien, südlich von Zadar und den malerischen Inselgebilden des Paklenica-Nationalparks, aber im Gegensatz zu Dubrovnik und den anderen Südregionen des Landes auch per Autobahn noch gut erreichbar, auch einen Flughafen gibt es. Und noch einen Weg gibt es ab Juli 2021, um die dalmatinische Küste von Österreich aus zu erreichen. Die ÖBB erwecken die Zugverbindung nach Split nach über 30 Jahren wieder zum Leben und bieten somit die Möglichkeit, per Nachtfahrt im Schlafwagen die kroatische Küste zu erreichen – mit Wohnwagen, Auto oder Motorrad als Gepäck, sozusagen. Speziell für Zweirad-Freunde wird diese Bahnlinie voraussichtlich zur gern gebuchten Option, weil es wenig reizvolleres für Biker gibt, als die Jadranska Magistrala abzusurfen. Bloß die Anreise über fade, endlose Autobahnstreifen hielt bislang viele nachhaltig davon ab

Split ist außerdem der größte Fährhafen des Landes, die meisten Inseln von Solta bis Brac, von Mljet bis Hvar sind von hier aus bequem zu erreichen, eine hohe Besucherfrequenz ist also auch dann gegeben, wenn Split nicht als Enddestination oder Reiseziel ausgewählt wurde. Irgendwie müssen hier alle irgendwann vorbei. Dementsprechend optimistisch geben sich die Wirte der zahlreichen Bars und Restaurants am Vorplatz des mächtigen Dioklecijan-Palastes im Zen­trum. So hat etwa Toni Batinic, Geschäftsführer der „Olive Tree“ Loungebar mit angeschlossenem Restaurant, wenig Grund zur Sorge für die Saison. „Es wird schon alles gut gehen. Wir sind vorbereitet, haben genug Platz zwischen den Tischen, und Partys feiern wir sowieso nur im Freien. Wir haben hier eine der schönsten Freiluftlocations der Welt in Split. Wozu sollen wir uns drinnen drängen?“

Während ab 19. Mai zahlreiche Grenzregimes in Europa (etwa zu Italien) gelockert werden und ein europaweiter „Grüner Pass“ für Geimpfte, Genesene oder Getestete vorbereitet wird, besteht für Kroatien-Rückkehrende zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch immer eine zehntägige Quarantänepflicht mit der Möglichkeit, sich nach fünf Tagen freizutesten. Wer seinen Sommerurlaub langfristig und mit Familie plant, kann diese Regelungen gut und komfortabel einpreisen. Bloß die vor allem für die nördlichen Regionen von Istrien bis etwa Zadar so wichtigen Kurzurlauber wird die Aussicht auf zehn Tage „Hausarrest“ eher davon abhalten, spontan ans Meer aufzubrechen. Es bleibt zu hoffen, dass die stetig wachsenden Impfquoten und die damit in Korrelation ­stehenden sinkenden Inzidenzen die Quarantänepflicht für Kroatienreisende bald obsolet machen werden. Denn fest steht jedenfalls: Sollte die Urlaubssaison in Kroatien heuer ins Wasser fallen, geht hier unten vielerorts das Licht aus. Vermutlich nicht nur über den Winter.