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Lust for Life – Der Triumph der alten Männer – The Passenger

Wer die Gegenwart nicht mag, wird es mit der Vergangenheit in Zukunft schwer haben.

Die Gegenwart ist nun mal da, wie sie ist. Mit der muss man sich arrangieren, weil das Leben lässt sich nur im Jetzt bewahren. Weinerliche Erkenntnisse über gute alte Zeiten interessieren niemanden. Die Bejahung des Lebens zählt nur im Heute. Ein Stück Nussschokolade muss man sich schon in den Mund stecken, sonst gilt es nicht, und wer Vorfreude für die schönste Freude hält, hat wenig verstanden von der Flüchtigkeit des Seins. Iggy Pop pinkelt gerne in seinen Garten. Das hat er zumindest so erzählt. Dabei hat Iggy eine Villa mit mehreren Innenklos und fließend Wasser. Geheizte Innenklos, wohlgemerkt, aber trotzdem geht er bei jedem Wetter raus, weil sein Besitz ist sein Besitz, und der gehört immer aufs Neue markiert irgendwie. Trotzdem braucht es die geheizten Innenklos, sonst macht das keinen Spaß. Wer einfach klolos in die Kälte strullert, ist ein Clochard und kein Weltstar. Wir lernen daraus, dass Verzicht auf Komfort den optionalen Komfort zwingend voraussetzt, weil Not einfach niemals sexy sein kann, sondern einfach nur scheiße.

Ich hatte schon mal richtig Geld und oft genug auch keines bis ­weniger als keines. Jedenfalls, die Jagd macht glücklich. Das Krabbeln aus dem Loch kostet Kraft, aber bringt auch ganz viel Spaß. Sich dann zu erinnern, wie man gar nichts hatte, und den Stolz zu fühlen, es mal wieder geschafft zu haben, macht süchtig. Geld alleine macht nicht glücklich, außer, man ist doof und ein Angeber. Ich war immer das Gegenteil von einem Angeber. Je mehr ich hatte, desto weniger ließ ich die Welt wissen. Beim Billa gab es eine serbische Feinkostverkäuferin, die hielt mich für dermaßen mittellos, dass sie mir bei der Wurst einen ­illegalen Zuschlag gab. Boniert wurden die bestellten fünf Deka Kantwurst, und dann hobelt sie stets noch ein paar Scheiben drauf. Einfach so, und ich freute mich über diese Freundlichkeit, gerade weil ich damals so gar nicht auf Freundlichkeiten angewiesen war. Doch bevor ich jetzt in die Falle der Vergangenheitsverklärung tappe, vor der ich ein paar Zeilen vorher noch ausdrücklich gewarnt habe, hüpfe ich schnell ins Hier und Heute.

Ohne Taschen voll Geld, aber mit der Weisheit und Umsicht des Alters gesegnet. Kürzlich hatte ich keine Schlägerei, und das war wohl auch besser so. Der Thrill war da und nicht gone, aber mehr war dann auch nicht, aber fast. Bei einer der wenigen Tankstellen, bei der ich kein Stammgast bin, stellte ich mich brav in die Schlange der Maskenmänner. Hinter mir ein schnaufender Hüne ohne Distanzgefühl. Ein Gesicht wie Iggy Pop nach einer wirklich langen Welttournee, die Schuhe teuer, die Cordhose gepflegt, der Burberry fleckenlos und deutlich zu klein. Kein Hemd, kein Shirt, die Brust nackt, sehnig und haarlos. Keine Maske, dafür einen Sechserpack Stiegl und eine große Tafel Nussschokolade. Ein nettes Menu, und mir gefiel die Kombination aus allem inklusive der nackten Brust, und deswegen starrte ich den Mann an wie ein Bauernbub, der zur Musterung erstmals in der großen Stadt sein darf.


Götz Schrage
war bis vor Kurzem exklusiv am Zweirad unterwegs. Nach einem Unfall, bei dem er bewusstlos auf der Gumpendorfer Straße gefunden wurde, hat er als Spätberufener den B-Schein gemacht. Die Ärzte meinen, es gäbe keinerlei Folgeschäden nach dem Unfall. Wir von der Redaktion sind uns da nicht so sicher.