Design

Tecnomar for Lamborghini 63: Die Straße ist nicht genug

Franz J. Sauer

Als Ferrucio Lamborghini anno 1963 sein Traktor-Werk um eine Supersportwagen-Produktion erweiterte, ­hatte er der Legende nach hauptsächlich im Sinn, dem großen, aber arroganten Enzo Ferrari aus dem benachbarten Maranello eins oder mehrere auszuwischen. Dass seine wütenden Stiere nun 58 Jahre später auch das Element des Wassers erobern, hätte den alten Grantscherm gewiss ebenso erfreut.

Text: Franz J. Sauer / Fotos: Hersteller, Franz J. Sauer

Um die Eckdaten abzustecken und das Inertialsystem festzulegen: Bevor wir uns dem Tecnomar for Lamborghini 63 am Pier von Carrara nähern, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass ein Lamborghini Sián uns eher nicht aus der Ruhe bringen sollte. Er gilt sozusagen als Basismotorisierung in der marmornen Garage daheim. Als Vehikel für die zwar etwas exklusiveren Ausfahrten, allerdings nach wie vor mit Standgas-Puls unter der Panerai. Es schadet auch puncto Know How nicht, sich mit der Nomenklatur hinter dem Wahnsinns-Stier, der 2019 das Licht der Sportwagenwelt erblickte, auseinandergesetzt zu haben; Exakt 63 geschlossene Modelle des Sián wurden geschaffen, dazu kommen 19 Roadster und schon haben wir eine Hommage an das Geburtsjahr der Marke inszeniert. Zeitgemäß as Hell tritt der Sián selbstverständlich mit einem Hybrid-Antriebsstrang auf, allerdings wird der schnöde Akku durch einen Superkondensator ersetzt. 819 PS Systemleistung sorgen für 2,8 Sekunden von Null auf 100, 350 km/h gelten in diesen Kreisen als selbstverständliche Spitze. Und nein, um wieviel die NoVa für ein derartiges Geschoß seit 1. Juli in Österreich teurer geworden ist, rechnen wir uns jetzt nicht aus. Wir ärgern uns schon so genug über in Gesetze gegossene Sinnlosigkeiten.

Tecnomar ist eine der beiden Boots-Marken unter dem Label von „The Italian Seagroup“, 289 Yachten wurden bislang unter dem wohlklingenden Label zu Wasser gelassen, allesamt kosten sie mehr als teure Immobilien an guten Plätzen, allesamt gehören Sie in Geld-Kategorien eingeteilt eher weniger zur Abteilung „Gießhübl- oder Grinzing-Reich“, sondern mehr zur Fraktion „Isch kauf Dein Leben und übersiedle es nach Monaco“. Und jetzt lasst uns bitte nicht länger um den schnöden Mammon herumschwurbeln, ja?

Dass die Lamborghini-Designabteilung erst so spät auf die Idee gekommen ist, sich mal an einer Supersport-Yacht zu versuchen, ist eigentlich erstaunlich. Umso begeisterter gab sich Centro Stile Lamborghini Head of Design Mitja Borkert von der Idee, als sie dann schließlich im Raum stand. Tecnomar als passendster Partner war auch bald ausgesiebt, man verstand sich mit den Toskanern vorzüglich, was Anspruch und technologische Exzellenz eines solchen Projektes betraf. Und weil der Sián (der als Hommage an den 2019 verstorbenen Porsche-Tycoon Ferdinand Karl Piech übrigens den Namenszusatz „FKP37“ trägt) mit den gut verwobenen Design-Anleihen an den legendären Countach (sprich „Kuntasch“, nichts zu danken) aufwartet, stand er auch bald als Ideengeber, was das Aussehen betrifft, fest. Die Zahl 63 im Namen verschriftlichte die Verwandtschaft dann endgültig und frisch nach COVID lief nun die erste Ausgabe des „Lambo di Mare“ in Carrara vom Stapel.

Rückblende in die frühen 1960er. Dass Lamborghini, der Traktorbauer aus Sant’ Agata Bolognese mit dem „Ingenerere“ aus Maranello weitläufig bekannt war, ist ebenso Gegenstand zahlreicher Legenden wie die wohlzelebrierte Verachtung, die letzterer für ersteren bei jedem Treffen zum Ausdruck brachte. Als nun der zu Geld gekommene Lamborghini vom arroganten Ferrari ein Auto kaufen wollte, konnte dieser ein weiteres Mal seine verbalen Spitzen nicht stecken lassen, weigerte sich darüberhinaus aber entschieden, irgendwelche Modifikationen an den Ferrari-Motoren oder –Getrieben auf Sonderwunsch Lamborghinis vorzunehmen. Also schüttelte Ferruccio grollend seine Fäuste gen Maranello, schickte mit dem 350 GTV einen ersten Prototypen ins Rennen um die Sportwagenvorherrschaft rund um Bologna, und wenn all diese G’schichterln nie so stattgefunden haben, so wurden sie dennoch zur genialen PR. Im Zeichen des Stieres entstanden automobile Wunderwerke wie der Miura (von zwölf Zylindern quergelegt befeuert) oder der Espada, ab 1974 begeisterte vor allem der Countach für fast zwei Jahrzehnte das internationale Sportwagen-Geschehen. Es war dies der erste Lambo mit Scherentüren, die zerfurchte und gleichzeitig stimmige Linienführung aus der Feder von Bertone (der dort tätige und jüngst verstorbene Marcello Gandini hatte sie zuvor bei einem Prototypen für Alfa ausprobiert und beim Countach endlich zum Einsatz gebracht) gibt sich bis heute stilbildend für Lamborghinis, egal welchem Eigentümer die Marke im Lauf der Zeiten gehörte. Die schnellen Furchen zeichnen quasi einen Bogen über die Form des Murcielago, Gallardo und Aventador bis zum heutigen Huracan oder aber dem jüngsten Super-Wurf der Schmiede, dem oben genannten Siàn. Kein Designer der letzten drei Jahrzehnte wollte daran etwas ändern, es wäre ebenso ein unnützer Stilbruch gewesen, wie dem Porsche 911 Klappaugen oder ein Stufenheck zu verpassen. Und speziell als es daran ging, das Design einer Luxus-Sportyacht maßgeblich mit zu bestimmen, war einer wie Mitja Borkert ganz froh darüber, die legendären Countach-Furchen im aktuellen Designbaukasten parat zu haben.

Stuhlgang leicht: Das Klo ist aus Carbon

„Aerodynamik auf dem Wasser ist ganz was anderes wie Aerodynamik auf der Straße. Es gibt so viel mehr Komponenten zu beachten, als wir überhaupt ahnen konnten“, gibt Borkert, ebenso wie wir, unter dem Eindruck der Erstsichtung des Bootes schwer euphorisiert, zu Protokoll. Auch technologisch stellt einen das Element Wasser vor unerwartete Herausforderungen; wenn ein Auto sehr wasserdicht zu sein hat, so muss ein Boot wasserdicht zur Potenz sein, Spritzwasser und sonstige Unbill mit eingerechnet. Ein Diffusor am Heck macht einiges her, allerdings bringt er beim Boot im Luftverschub rein gar nichts. Tail-Lights spielen bei einem Schiff dagegen eine wichtige Rolle, da war es schon mehr eine Fügung des Schicksals, dass diejenigen des Sián hier ganz gut ans Heck passten. Die Frontleuchten zitieren ebenfalls das Lichtdesign des tollen FKP37, leiten den Blick des Betrachters gekonnt auf die großen, seitlichen Fensterflächen weiter. Und spätestens bei deren Form finden wir die unverkennbare DNA des Lambo-Designs seit anfang der 1970er Jahre wieder.

Der Name „Countach“ soll einem begeisterten Ausruf eines Lamborghini-Arbeiters bei der ersten Ansicht des Sportwagens zufolge zum Schriftzug am Heck geworden sein. „Countach“ heißt im Bologneser ­Dialekt sowas Ähnliches wie „Donnerwetter“ bedeuten und kann somit ohne viel Umschweife in ein wienerisches „Bistu Deppat!“ übersetzt werden, das dem Schreiber dieser Zeilen bei der ersten Ansicht der Tecnomar für Lamborghini 63 entfahren ist. Mitja Borkert konnte sich dieser Sichtweise nur anschließen und so entstand eine gewissermaßen euphorisierende, gemeinsame Begeisterung für den ersten Ausflug auf dem tollen neuen Boot.

Zuerst bekam der Journalist von Welt allerdings noch schnell einen (viel zu engen) Hurracan Spyder unter den senisiblen Hintern geschoben, um auf den Straßen von Carrara bis Massa und Viareggio und wieder retour ein wenig vom Lambo-Lebensgefühl zu inhalieren, das man im Preis inbegriffen mitgeliefert bekommt. Und es ist zu vermelden: Tatsächlich kann sich auch noch bei Supersportwagen entwicklungstechnisch einiges tun. Während der Gallardo dem Chronisten noch als ungehobelter, viel zu schwer wirkender, kapriziöser Unhold in Erinnerung blieb (vom Murcielago und seiner stets präsenten, schwellenden Gefahr ganz zu schweigen), fühlt sich der Hurracan (auch das könnte ein erstaunter Ausruf gewesen sein, allerdings nur auf gut wienerisch) vergleichsweise an wie eine Lotus Elise mit viel zu viel Motor. Leichtfüßig wird um Kurven gesteppt, übermütig wirft das Heck mit dem imaginären Reifrock umher, wenn auf Sport geschaltet, natürlich nie übertreibend, es spielt sich alles immer in einer Art Safe Space ab. Wie Balsam auf die Motoristen-Seele wirkt die auch 2021 noch ungebrochen vorhandene Begeisterung der Italiener am Wegesrand, wenn ihnen ein Supersportler inländischer Provenienz unterkommt. Alle fordern Dich auf, Lärm zu machen, Gas zu geben. Und wo Dir in Wien 7 längst der vieles besser wissende Dachgeschoß-Bewohner die Pest oder bestenfalls Corona an den Hals wünscht, wenn Du das Zehnzylinder-Teil auch nur anstartest, erntest Du hier nichts als frenetischen Jubel, wenn Du halb im Tunnel per Doppelzug an den Schalt­wippen das Getriebe neutralisierst und ordentlich ins Gas trittst.

Zurück am Pier trittst Du am ausgestellten Sián vorbei einmal um die Ecke und bleibst wie angewurzelt stehen, wenn Du der Tecnomar for Lamborghini 63 erstmals ansichtig wirst. Es ist kaum vorstellbar, wie beeindruckend dieses Boot hier im Wasser schaukelt, mit all der Wucht seiner designmäßigen Exzellenz und der wohldosierten Gewalt, die hier zwar unter Deck versteckt, aber doch irgendwie stets präsent zu sein scheint. Die Form ist klar jene eines Supersportautos, das Hardtop ist jenes der Lambo-Roadster, irgendwie. Die Sitzgruppen und Liegeflächen sind weitläufig und mit teuersten Materialien bestückt. Und unter Deck wird das kantige Lamborghini-Waben-Design bis ins letzte Detail weiterzitiert, bis Du Dich vor lauter Waben gar nicht mehr auskennst und im schlimmsten Fall, vom Schwindel geplagt, eine kurze Auszeit auf dem Karbon-Häusl im Designer-Bad nehmen musst.

Der Führerstand ist einem Lambo-Cockpit nachempfunden, ebenso wie Lenkrad und Schalensitz für den Kapitän. Die Armaturentafel tritt rein digital auf, hat alle Infos auf den ersten Blick parat. Zwei Gashebel für zwei Motoren (zwei MAN Zwölfzylinder mit j.e.w.e.i.l.s. 2000 PS), darüber die zwei Trimmhebel, links vom Lenker der Joystick fürs Bugstrahlruder und irgendwo zwei Startknöpfe wie in den Autos, mit dem legendären, roten Klapphebel darüber, jenen in irgendwelchen Jetfightern nachempfunden. Die Motoren machen, wenn sie zum Leben erwecken, nicht gleich Ärger, eher dumpf und zurückhaltend klingen sie in ihrem gut 20 Quadratmeter großen Motorraum. Als die Yacht auf den recht rauhen Atlantik hinaussteuert, beeindruckt zunächst, wie wenig Drehzahl die beiden benötigen, um doch schon beachtliche 30 Knoten zu fahren, die man kaum spürt, außer man steht direkt im Wind. Als Spitze werden für die 63-Fuß-Yacht (und da war sie wieder, die 63 …) 60 Knoten oder umgerechnet 111 km/h angegeben, die einen dann ganz ordentlich über die Wellen reiten lassen. Nichts spielt sich hier in Marginalien ab, alles bewegt gehörig Masse. Wenn es Dich an Deck aushebt, dann richtig, es hat schon seinen Grund, warum sich der alte Seebär von Kapitän in seinem Schalensitz ordentlich festgeschnallt hat. Bei 47 Knoten ist bei unserer Ausfahrt Schluß, auch schon eine ganze Menge. Mit beeindruckender Nonchalance lässt sich das Ungetüm von Sportboot wieder an seinen Steg manövrieren, die Muskeln entspannen sich, ob die beiden Antriebsmonster bei unserer kurzen Ausfahrt überhaupt richtig warmgelaufen sind, bleibt zu bezweifeln.

Vorerst bleibt die Tecnomar for Lamborghini 63 ein Einzelstück, das allerdings nicht für lange. 14 weitere sind bereits beauftragt, wenn man der FAZ glauben darf, 63 werden’s insgesamt, wir hatten es uns schon gedacht. Dass sich der Käufer das Interieur bis ins kleinste Detail kustomisieren kann, ist sowieso klar. Er wird zu diesem Zwecke am Areal der Italian Seagroup bewirtet und umsorgt wie anderswo nur im Luxushotel. Man will sich schließlich wohlfühlen, bevor man 3 Millionen Euro überweisen soll – eine Zahl, die ebenfalls die FAZ vermeldete. Hier vor Ort schwieg man sich beharrlich über den Kaufpreis aus. Viel geringer hätten wir ihn uns aber eh kaum ausgemalt.