Meinung

Von Löwen und Gazellen – Steigen Sie nicht aus dem Wagen – Die goldene Rolex

Ich habe nicht das geringste Problem mit dem Älterwerden. Für mich dermaßen ohne Problem, dass ich diese Problemlosigkeit in jeder zweiten Kolumne erwähnen muss. Sie werden mich sicherlich auch noch irgendwann verstehen. Als junger Mensch meint man, die Älteren hätten irgendetwas falsch gemacht, aber man selber wäre gefeit vor diesem Prozess. Nun da kann ich Sie wiederum nur beunruhigen. Lebend lässt sich das Älterwerden nicht verhindern.

Mit meinen sechzig Jahren fühle ich mich noch ziemlich löwenmäßig. Nicht so wie die verschlafenen Löwenmännchen aus den Tierfilmen, sondern mehr so metaphorisch oder allegorisch, jedenfalls wahrscheinlich im übertrageneren Sinne. Leider scheinen mich die Haie da draußen (die metaphorischen Haie meine ich wahrscheinlich) für eine marode Gazelle zu halten. Kürzlich wollten mir welche von den Haien mein Geld wegnehmen, oder meine Uhr und mein Auto und eventuell mein Leben und darüber würde ich heute gerne schreiben. Zur Warnung, es wird leider keine Heldengeschichte. Ich musste fliehen, also quasi wie eine marode Gazelle, aber immerhin mit mehr als 300PS und Ledersitzen.

Beim Schreiben muss ich jetzt sehr vorsichtig sein. Eigentlich hätte ich lieber damals auf dem verlassenen Parkplatz sehr vorsichtig sein sollen, aber da wusste ich wenigstens dann, was zu tun war. Hier in der Kolumne kann ein falsches Wort fatal sein. So zukunftsmäßig meine ich. Natürlich möchte ich die Geschichte erzählen, schon um Sie zu warnen und für diese Warnung wäre es doch angebracht so exakt wie möglich zu sein in der Beschreibung. Die politische Korrektheit allerdings verbietet mir jede Exaktheit. Ich meine, für die langfristige Zukunft habe ich ja große Pläne. In spätestens hundert Jahren wird eine Straße nach mir benannt sein. Irgendwo da draußen im 27. Bezirk ganz in der Nähe einer U25-Station. Und wenn dann irgendwelche aufgebrachten Historiker diesen WIENER durchforsten, werden sie mich auf eine Liste der problematischen Personen mit eigenen Straßen setzen. Eine fünfsprachige Bürgerinitiative aller 38 Geschlechter wird sich bilden mit dem Ziel: „Die Schrage-Straße muss weg!“ Halten Sie mich bitte nicht für übertrieben ­eitel, aber mir ist meine Zukunft wichtig und das mit der Straße sowieso. Deswegen bleibe ich lieber etwas kryptisch.

Also wenn Sie von dem Döner-Shop in der Quellenstraße exakt 318 Kilometer fahren – egal ob nach Süd, Südost, Nord oder Nordwest – und dort auf ­einem leeren Parkplatz stehen bleiben, um ihr Navigationsgerät zu verfluchen, kann Ihnen passieren, was mir passiert ist. Ein Mann wird an Ihr Fenster klopfen, eventuell auch eine Frau oder was auch immer. Man (oder Frau) wird Sie dazu bringen Ihre Seitenscheibe zu öffnen und nach ein paar belanglosen Floskeln, wird man Ihnen durch das geöffnete Seitenfenster erst ein originalverpacktes Parfüm (Ferrari Scuderia Black) in den Fußraum werfen und wenn Sie das dann aufheben, um es zurück zu geben fliegt eine gefälschte, goldene Rolex hinterher. Wenn Sie sich jetzt verwirrt nach vorne beugen, sind Sie angreifbar. Ihr Nacken ist frei und man sieht sie nicht da unten. Eventuell sieht man Sie dann überhaupt nie wieder. Parallel dazu hören Sie ein Geräusch, wie wenn jemand Ihr Auto zerkratzt. Wenn Sie jetzt aufgebracht aus dem Auto steigen, sind hinter den Büschen weitere Männer (oder Frauen oder was weiß ich) und dann haben Sie ein wirkliches Problem.

Ich möchte ausdrücklich betonen, dass Ihnen das wirklich überall passieren kann und dass der Parkplatz nichts dafür kann. Ethnisch möchte ich auch nur so viel sagen, es handelte sich eindeutig um Vertreter einer der 1300 bekannten Ethnien und für mich wirkte die Gruppe uniform. Also keine Rede von Diversität und der Mangel an Diversität erregte mich (fast) noch mehr, als die vermeintlichen Absichten dieser Gruppe. Man mag anmerken, warum ich denn so naiv gewesen sei, das Seitenfenster überhaupt zu öffnen, aber da sind wir wieder bei dem Missverhältnis zwischen meiner Wahrnehmung (Löwe) und dem altersbedingten Klischee (marode Gazelle), das ich offensichtlich ausstrahle. In meinem Kopf muss jeder froh sein, wenn ich ihm (oder ihr) nichts wegnehme, aber diese Eigen­wahr­nehmung als Täter korreliert nicht unbedingt mit der Wahrnehmung der jungen, bösen Löwen und es waren zweifelsfrei böse Löwen.

Und sollte ich hier in dem Text über die politische Korrektheit ­stolpern, war es eben genau diese Korrektheit, die mich erst dazu bewogen hat, das Fenster zu öffnen. Ich wollte eben ganz besonders nicht zu denen gehören, die sich Sorgen machen, wenn jemand 318 Kilometer südlich, nördlich, westlich, östlich an die Scheibe klopft, ganz egal wie ich den Betreffenden ethnisch verortet hatte, jeder kann eine Panne haben. Natürlich kann auch jeder beraubt werde, da ist die Welt wieder deutlich gerechter, wenn auch deutlich unerfreulicher. ­Zusammenfassend durfte ich wieder einiges lernen. Unter anderem, dass Unbedarftheit wenig Schutz vor Gefahren bietet. Dass man manchmal besser ein wenig zu vorsichtig sein sollte, statt ein wenig zu vertrauensselig und, dass das Ausland schon ziemlich ausländisch sein kann. Besonders wenn man sich wenig auskennt dort und noch ­weniger versteht.
PS: Ich bin in sicherer Distanz stehengeblieben und habe Parfüm und Rolex auf den Parkplatz gelegt. Die drei sind winkend auf mich zugelaufen mit freundlichen Gesichtern. Vielleicht habe ich ihnen ja unrecht getan, aber nur ganz, ganz vielleicht.


Götz Schrage
war bis vor Kurzem exklusiv am Zweirad unterwegs. Nach einem Unfall, bei dem er bewusstlos auf der Gumpendorfer Straße gefunden wurde, hat er als Spätberufener den B-Schein gemacht. Die Ärzte meinen, es gäbe keinerlei Folgeschäden nach dem Unfall. Wir von der Redaktion sind uns da nicht so sicher.