Meinung

Die gefährlichen Tränen meiner Freundin und der Sound von acht Zylindern

Ich habe so eine Wut. Ich habe so einen Hals. Also einen Hals hatte ich immer schon. Nur jetzt ist er wutrot. Der Kopf, nicht der Hals. Der Hals ist wie immer nur wütend halt. Ständig will ich mich prügeln, oder zumindest randalieren. Nie bin ich der, der anfängt und es gibt immer einen Grund. Einen guten Grund zumeist. Falls ich es nicht erwähnt habe, dabei erwähne ich es ständig, ich bin sechzig Jahre alt. Ein Alter, in dem man sich benehmen sollte und keinesfalls prügeln. Schon wegen der Lebensbilanz und die ist ohnedies nicht so prickelnd. Nach dem Motto, niemals davon gelaufen, aber mitunter am Boden gelegen. Mehr als mehrmals.

Mein Leben ist geplant. War es immer schon. Das habe ich von meiner Mutter. Die hat aufgehört mit den Zigaretten. Da war sie 50 Jahre alt. Ich höre jetzt auf, hat sie gesagt und dann hat sie noch gesagt, mit 75 fange ich wieder an. Dann habe ich was, auf das ich mich freuen kann. Jetzt raucht sie wieder seit acht Jahren und ist – schlaue Leser könnten das im Kopf ausrechnen – 83 Jahre alt. Die 25 Jahre Nichtrauchen hat sie durchgehalten und jetzt pofelt sie wieder. Wunderbar. Ich habe auch Pläne und ich hatte immer schon Pläne. Mit 60 wollte ich mir wieder eine Waffe besorgen und mit 66 einen Maserati kaufen (gebraucht!). Den Maserati gebraucht meine ich und die Waffe möglichst auch.

Ich mach mir aktuell um mich eher Sorgen. Es wäre wegen meinem Hals. Also wegen meiner Wut. Ich werde mir keine Waffe kaufen vorerst, dafür habe ich mir einen Cadillac gekauft. Ein Eldorado Touring Coupe aus den 90ern. Den hat damals mein Intimfeind gefahren, der meine Kinder beleidigt hatte und mich sowieso. Ich stand damals mit ihm auf dem dunklen Parkplatz mit meinen dünnen Ärmchen und dem Löwenherz und er eher so trainiert und so. Und ich habe ihm gesagt, wenn er nochmals meine Kinder beleidigt, schleife ich ihn an den Ohren durch seine eigene Blutspur und verstaue ihn unter dem Scheißcadillac. Ja ich schäme mich, ich habe Scheißcadillac gesagt, aber er hat mir geglaubt immerhin und war ab dann respektvoll. Und genau diesen Wagen habe ich mir jetzt gekauft, glaube sogar in der selben ­Farbe. Schon aus therapeutischen Gründen war das wichtig. Wichtig für uns beide. Also für Cadillac und für mich.

Doch zurück zu meiner Wut. Ich habe so eine tolle Freundin. Die mag so was nicht. Die hält mich zurück. Die legt beruhigend die Hand auf meinen Arm, wenn ich knapp davor bin aus dem Auto zu springen, weil mich irgendwer angehupt hat oder so. Vor kurzem waren wir gemeinsam in einem schicken Lokal in Bobotown. Sehr schickes Styling, überteuertes Essen und schlechter Service, so wie es den Hipstern gefällt und sie es auch verdienen. Meine Freundin hat ein kaltes Steak bekommen und man hat behauptet, es gehöre kalt und es sei auch nicht kalt und wenn es kalt sei, dann weil es so gehöre eben. Und meine Freundin war freundlich und man war aber nicht freundlich zu ihr. Ich habe sie angesehen und habe das alles um mich herum ignoriert. Ich habe nur in ihre Augen gesehen und wäre da nur eine Träne gewesen, wäre ich marschiert ohne Waffe. Einfach nur so und dann wäre die Funkstreife gekommen so wie früher. Aber es war da keine Träne und so sind wir einfach gegangen. Besser so.

Meine Mutter ist im Spital. Nicht wegen den ­Zigaretten. Wegen überhaupt. Der Sache mit dem alt werden. Mich macht das nervös, noch nervöser als sonst, weil meine Mutter ist immer schon da. Die kenne ich seitdem ich ein Kind bin. Was neu ist sind die Securities, die jetzt überall sind. Auch im Spital und vor dem Spital und am Parkplatz vom Spital. Junge Burschen, die gerne Türsteher wären vor irgendeiner schicken Koks-Disco und stattdessen durch die Eichhörnchenscheiße stapfen müssen. Ich weiß nicht mal, was ich falsch gemacht habe. Ich wollte da nur parken und da war das nicht verboten und ich bin dreifach geimpft und getestet und alles. Aber irgendwas ist immer nicht in Ordnung. Jedenfalls hatte der den falschen Ton. Den völlig falschen Ton. Ich habe ihm das gesagt, dass er sich vor eine Scheißdisco stellen soll und nicht so mit mir reden. Und er hat gesagt, dass auf dem „verfickten Gelände“ diese und diese Regeln gelten. Ich habe dann auch was gesagt und er hat mich ­gefragt, ob ich ihn denn jetzt ­bedroht habe und in sein Mini­funkgerät gesprochen. Angstvoll gesprochen. Jedenfalls habe ich jetzt Platzverbot. Ich glaube für immer und meine Daten und meine Nummerntafel wurden notiert. Mir ist das egal. Meine Mutter ist draußen. Das war ihr letzter Tag. Happy End quasi für alle.

Ich vermisse einfach den Respekt. Daher meine Wut. Ich hatte mich so auf die weißen Haare gefreut. Ich dachte wenn ich weiße Haare habe ist das so wie bei den Tschetschenen. Man sagt was und alle nicken, nicht, weil ich was Gescheites gesagt habe, sondern weil ich eben alt bin. So ist es aber ganz und gar nicht, wie ich merke. Die Haare sind einfach nur weiß und niemanden interessiert es. Und wegen dem Plan mit der Waffe das lasse ich lieber sein, weil meine Freundin ja nicht immer bei mir sein kann, um auf mich aufzupassen. Ich habe mir den Cadillac gekauft und ich habe es nicht nur für mich getan. Ich habe es für die Welt getan, weil nichts kann einen Mann mehr beruhigen als der Sound aus acht Zylindern. Keiner von uns braucht ein Radio und auch im Winter werde ich das Fenster offen haben, um nichts zu versäumen, was mir der Motor erzählt. Keiner von den unverschämten Jungen wird bekommen, was er verdient. Jedenfalls nicht von mir. Ich hab ein Rendezvous in meiner Garage. Jeden Tag aufs Neue und da will ich wegen einem dieser Idioten nichts versäumen. Alle sind ­sicher, niemandem wird etwas passieren. Zumindest solange, solange meine Freundin keine Tränen in den Augen hat.


Götz Schrage
war bis vor Kurzem exklusiv am Zweirad unterwegs. Nach einem Unfall, bei dem er bewusstlos auf der Gumpendorfer Straße gefunden wurde, hat er als Spätberufener den B-Schein gemacht. Die Ärzte meinen, es gäbe keinerlei Folgeschäden nach dem Unfall. Wir von der Redaktion sind uns da nicht so sicher.