GENUSS

Glendalough

Grüne Geschichte – Irlands antiker Osten

Markus Höller

Irland, das verbinden Reisende oft nur mit Dublin, den schroffen Klippen im Westen oder ruhigen Hausbootfahrten im Landesinneren. Eine Region, die dabei oft übersehen wird, ist der Osten der Insel, südlich von Dublin. Stabiles Wetter, reizvolle Orte und vor allem die Ursprünge der reichen irischen Kultur findet man hier zuhauf.

Text: Markus Höller / Foto Header: Chris Hill/Failte Ireland

Wenn man sich aufmacht, einen weniger von (Pauschal)Touristen frequentierten Teil der grünen Insel zu erkunden, ist wie so oft der Mietwagen die lohnendste Option. Linksverkehr ist für den autophilen WIENER-Leser ja kein Thema, also steigen wir am freundlichen Flughafen in Dublin ins Fahrzeug ein und los geht es! Doch halt, bevor wir uns auf den Weg gen Süden machen, noch ein kleiner Abstecher in die andere Richtung, und zwar nach Brú na Bóinne (die korrekte Aussprache ist Glückssache, so wie alles Gälische). Dieser sogar offiziell als Weltkulturerbe ausgezeichnete Ort, ein gutes Stündchen nördlich von Dublin, ist eine Ansammlung prähistorischer Kultstätten, die zwischen 3500 und 2500 v. Chr. entstanden. Besonders der gewaltige Grabhügel ist ein beeindruckendes Zeugnis der frühesten Besiedlung Irlands und daher auch ein idealer Startpunkt für die Reise.

Nun aber weiter in die eigentliche Zielregion, Ireland’s Ancient East. Der pittoreske Ort Kilkenny, vielen auch als Marke des beliebten Red Ale bekannt, strotzt nur so vor Fotomotiven. Und Pubs natürlich. Bevor aber am Abend ein hochverdientes Pint die Kehle hinabgleiten darf, erstmal Kultur. Das Kilkenny Castle, dessen Fundamente schon aus dem 12. Jahrhundert datieren, ist vor allem für Geschichts- und Architekturinteressierte eine Tour wert. Zahlreiche Epochen der europäischen Geschichte manifestieren sich hier im Gemäuer, Highlight ist die Galerie mit ihrem elaborierten Dach. Unweit des Kilkenny Castle entdeckt der aufmerksame Besucher auch ein Denkmal für den irischen Uralt-Nationalsport Hurling, ein rustikales Spiel keltischen Ursprungs mit Ball und Schlägern, gegen das sich Landhockey oder Lacrosse wie eine Runde Minigolf ausnimmt. Ein wenig außerhalb von Kilkenny findet sich für Freunde feiner Destillate ein echter Geheimtipp, die Ballykeefe Distillery. Farmbetreiber Martin Ging stellt hier nicht nur Whiskey aus seiner eigenen Gerste, sondern auch ganz famosen Gin und Vodka her. Gut versteckt, daher Navi einschalten!

Eine besonders schöne Strecke führt weiter nach Süden zu einem der beliebtesten Ausflugsziele der Iren, dem Hook Head Lighthouse. Dieser wuchtige Leuchtturm am Südzipfel der Halbinsel Hook ist seit knapp 850 Jahren durchgehend in Betrieb und somit nach dem Torre de Hercules in La Coruña der älteste seiner Art. Wobei: es handelt sich hier im Gegensatz zum Spanier um die Originalsubstanz, keinen Wiederaufbau, also ist streng genommen er der älteste. Eine hoch interessante Führung durch den Turm mit lebendig erklärter Geschichte der ältesten historischen Region ­Irlands wird am Ende mit einem Blick auf den Atlantik von der Aussichtsplattform belohnt.

Vom Hook Head Lighthouse ist es dann nur ein Katzensprung (optional via Mini-Fähre über die Ballyhack-Passage) nach Waterford, der ältesten und immerhin fünftgrößten Stadt Irlands. Hier haben aufgrund der günstigen Lage schon um 900 die Wikinger eine dauerhafte Siedlung etabliert, der Hafen ist bis heute einer der wichtigsten Umschlagplätze Irlands. Zeugnis der turbulenten Geschichte der Stadt ist der prominente und hervorragend erhaltene Reginald’s Tower, der mit seinen rund 800 Jahren auf dem Buckel immerhin das älteste zivile Gebäude Irlands ist. Dieses und viele weitere Details zur Stadt erfährt man am besten bei einer geführten Walking Tour durch die Altstadt von Waterford. Fun fact: mit der Flugverbindung Waterford-Gatwick startete 1984 ein gewisser Michael O‘Leary eine Lowcost-Fluglinie, die heute als Ryanair bekannt und umstritten ist. Die Stadt ist außerdem der Sitz von Waterford Crystal, einer der renommiertesten Kristallschleifereien der Welt. Die hohe Handwerkskunst findet sich beispielsweise in den Kronleuchtern der Londoner Westminster Abbey oder in Windsor Castle, aber auch in Übersee, zum Beispiel in der berühmten Kristallkugel, die jedes Jahr zu Silvester die Menschen am New Yorker Times Square verzaubert. Wer ein Mitbringsel aus Irland für Nicht-Whiskeytrinker sucht, findet in der Boutique im Zentrum von Waterford ganz sicher eine funkelnde Alternative.

Waterford ist auch der Ausgangs- bzw. Endpunkt zu einer der schönsten Routen der Region, die aber den Umstieg von Auto auf Drahtesel erfordert. Der Waterford Greenway ist ein rund 46 Kilometer langer, perfekt asphaltierter und ausgebauter Rad- und Wanderweg, der entlang einer ehemaligen Eisenbahnlinie bis an die Küste von Dungarvan führt. Dabei geht es nicht nur durch die grüne Landschaft, sondern auch über elf Brücken, drei Viadukte und sogar durch einen 400 Meter langen ehemaligen Eisenbahntunnel. Dank der geringen Niveauunterschiede und der Möglichkeit, E-Bikes zu mieten, ist der wundervolle Greenway auch für wenig sportliche Besucher locker zu bewältigen. Als Ansporn winken nicht nur ein wildromantischer Sandstrand, sondern auch hervorragende Fish and Chips in Dungarvan.

Auf dem Rückweg von Waterford nach Dublin ist noch ein Pflichthalt nötig, der den idealen Ausklang für die Tour durch Irlands Osten bildet: Glendalough, das Tal der zwei Seen. Eingebettet in einen Nationalpark rund eine Stunde südlich von Dublin, gibt es hier unzählige traumhafte Wanderwege in zauberhafter Natur und eben zwei idyllische Seen. Vor allem aber eine mittelalterliche Klostersiedlung, die ob ihrer Lage und hervorragend erhaltener diverser Bauwerke zu den meistbesuchten Orten Irlands zählt. Ein rund 30 Meter hoher, weithin sichtbarer Steinturm dominiert das Ensemble aus Häusern, Kreuzen, einem Friedhof und einer Kapelle. Hier geht nicht nur Mittelalterbegeisterten, sondern auch Naturfreunden das Herz auf!

Wer klug ist, hat sich natürlich vor der Heimreise noch ein, zwei Nächte in Dublin selbst eingeplant, das ist unverzichtbar. Das Auto also im durchaus lebhaften Verkehr der irischen Hauptstadt schnell retournieren, denn hier lässt sich alles zu Fuß erledigen. Egal ob das angesehene Trinity College mit der Dauerausstellung des faszinierenden Book of Kells, das irische Migrationsmuseum EPIC oder das Amüsierviertel Temple Bar – hier gibt es, auch auf den Spuren von James Joyce, jede Menge zu erkunden. Und natürlich zu trinken, wir sind ja schließlich in Irland. Das Guinness Storehouse sollte man auch als Nicht-Biertrinker keinesfalls auslassen, handelt es sich doch um den Exportartikel schlechthin und außerdem um eine beeindruckende Tour für alle Sinne. Ebenso wie die Jameson Experience, die in unnachahmlicher Art die Herstellung von Whiskey in allen Einzelheiten perfekt aufbereitet. Für Auskenner freilich ist aber die Teeling Distillery, im hippen Viertel The Liberties, das wahre irische Whiskeymekka. Die private Brennerei gehört zu den angesehensten Marken Irlands und hat den größten Anteil an der Wiederbelebung des irischen Goldes. So, und jetzt ist es Zeit, nochmal auf die Insel und ihre gastfreundlichen, wenn auch schwer zu verstehenden Leute anzustoßen: Slainthè!