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DIRK STERMANN – Der Anwalt der Holzwürmer

Christian Jandrisits

Dirk Stermann kolumniert seit ­Jahren im WIENER, heißt wöchentlich Österreich ­willkom-
men und ist erfolgreicher Autor.

Exklusiv im WIENER – DIRK STERMANN!

Es regnete in Strömen. Der Wärter öffnete die Zellentür des Delinquenten und führte ihn in den Hof zum Schafott. Durch den prasselnden Regen gingen sie und der Wärter sagte zum Delinquenten: „Sie haben Glück. Ich muss den ganzen Weg wieder zurückgehen!“ 

Ob der zum Tod Verurteilte da lachen musste? 

So wie ich, als ich von Bartholomé de Chassenée las, einem französischen Rechtsgelehrten, der sich auf die Verteidigung von Ratten und Käfern spezialisiert hatte? Im Mittelalter wurde immer wieder Tieren der Prozess gemacht. Bei Missernten, Unfällen oder Bissen. Heuschrecken, Schnecken, Mäuse wurden oft unter Androhung der Exkommunikation dazu verurteilt, mit ihrem schädlichen Verhalten aufzuhören. Ungefähr so, wie Angela Merkel es mit Putin versucht hat. Wobei der Vergleich jetzt den Heuschrecken, Schnecken und Mäusen gegenüber sehr ungerecht ist.

… der sehr dicke Bischof

1520 kam der sehr dicke Bischof Hugo von Besançon zu Besuch in die Kirche des kleinen Dorfes Mamirolle. Er nahm Platz auf einem thronartigen Sessel, brach sofort ein und fiel, historischen Quellen zufolge, sofort „in die Finsternis der Blödigkeit“, weil er mit dem Kopf auf den harten Steinboden krachte. Die schockierten Mamiroller fanden schnell heraus, dass alle Beine des Sessels von Holzwürmern zernagt worden waren und nicht nur die, sondern auch sämtliches Gebälk im Dachstuhl. 

Man machte ihnen sogleich den Prozess und weil Angeklagte schon damals das Recht auf einen Pflichtverteidiger hatten, entschied man sich für de Chassenée, der schon zuvor Ratten verteidigt hatte, die eine Gerstenernte zerstört hatten. Im Rattenprozess hatte er glaubhaft ver­sichern können, dass es unmenschlich sei, die Ratten dazu zu zwingen, beim Prozess anwesend zu sein, weil „aufgrund der Länge und Schwierigkeit der Reise und der damit verbundenen Gefahr“ (Katzen!) ihr Erscheinen unmöglich sei. Das wurde eingesehen und die Ratten wurden freigesprochen, weil laut Chassenée niemand in Abwesenheit verurteilt werden dürfe. 

… der blödgewordene Bischof

Der blödgewordene Bischof konnte vor Gericht nur Unzusammenhängendes lallen, aber der Ankläger bestand auf einen Prozess. Man ließ den Holzwürmern die Anklage und die Ladung zustellen, wusste aber verständlicherweise nicht, wie. Und da kam Bartholomé ins Spiel. Man habe seinen Mandanten eben nicht wirklich die offiziellen Schriften zugestellt und also verwehrte er sich dagegen, vom Fehlen der Würmer bei der Verhandlung auf deren Schuld zu schließen. Außerdem sei die Kirche völlig zerwurmt, aber man wisse nicht, ob jeder Wurm auch an dem Bischofsstuhl genagt habe und kollektiv alle Würmer zu verurteilen, sei ungerecht.

… der sabbernde Bischof

Der Bischof sabberte still vor sich hin. Der Ankläger ergriff das Wort und warf den Würmern vor, keine Geschöpfe Gottes zu sein, da der Holzwurm wohl kaum von Noah auf der Arche aus Holz mitgenommen wurde. Er hätte ja sonst die schöne Arche angefressen. Also wurden die Angeklagten nicht nach zivilem Recht, sondern nach Kirchenrecht angeklagt und schließlich exkommuniziert. Außerdem wurden sie, in Abwesenheit, da­zu verurteilt, aus dem Bischofsstuhl aus- und in einen Baum ­ihrer Wahl zu ziehen.

Die exkommunizierten Holzwürmer wollte man allerdings nicht als Ketzer verbrennen, denn dann hätte man, nach reiflicher Überlegung, die ganze Kirche abfackeln müssen. 

Aber den Holzwürmern war es wurscht. Sie waren ja gar nicht getauft. Nichtgetaufte aus der Kirche zu werfen ist nicht wirklich abschreckend. Und in einen Baum zogen sie auch nicht. Die Kirche war einfach zu lecker. 

… aber den Holzwürmern war es wurscht.

Dirk Stermann

Chassenée hatte einen Teilerfolg gefeiert und seinen Ruhm in der Welt der Heuschrecken, Schnecken und Mäuse vermehrt. Einen guten Anwalt kann man immer brauchen. Das wissen Schnecken so gut wie Wolfgang Sobotka, der ja am liebsten auch sein eigener Richter wäre. Aber sein Sessel wirkt auch irgendwie morsch. Und falls Putin einmal auf der Anklagebank sitzen sollte, dann kann ihm auch kein Chassenée mehr helfen. Zumindest wird bei Putin, dem es ja am liebsten wäre, wenn jeder, der sich ihm widersetzt aufs Schafott kommt, kein Wärter den Witz mit dem Regen machen. 

Bei Putin übrigens hat man das Gefühl, dass Holzwürmer sein Herz aufgefressen haben.
Es hat ihnen sicher nicht geschmeckt und sie haben es vor dem Kreml wieder ausgekotzt.