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Aus dem WIENER-Archiv: Sex am Computer

Christian Jandrisits

Ein Gerichtsverfahren, das die Speicherung von 58.000 kinderpornografischen Fotos auf digitalen Speichermedien aus sexuellem Antrieb zum Gegenstand hat, und vor allem die Bezeichnung der Tat als „rein digitales Delikt“ durch den Anwalt des geständigen Täters, was insinuiert, dass das Verbrechen „eh nur“ am Computer stattfand, beschäftigte in letzter Zeit in höchst aufgeregter Form Medien und Social Media. Obwohl zwischen Online-Pornos und Kinderpornographie ungefährt eine genauso große Schlucht klafft, wie zwischen Wladimir Putin und dem Friedensnobelpreis, war das Grund genug für den WIENER, in sein 44jähriges Archiv abzutauchen und nachzuforschen, wann die Begriffe „Sex“ und „Computer“ erstmals in Verbindung kamen. Archivar Christian Jandrisits wurde im Jahr 1993 fündig.

Original-Fotos: Andreas Herrman/Original-Text: Wiener Red. 1993/Fotobearbeitung: Christian Jandrisits

Die Geschichte des Computersex

  • von WC-Graffitis zu Pornofilmen

 

Am Anfang stand die Floppy-Disk. Die kleine biegsame Scheibe mit der geringen Speichermöglichkeit zauberten Computerfreaks Anfang der 80er Jahre erotische Zeichnungen in Schwarzweiß vergleichbar mit dem, was auch die Wände von Männertoiletten ziert. 1984 erschien dann für den Personal-Compu-
ter Commodore C 64 ein Spielchen, bei dem es darum ging, mit Hilfe des Joy-sticks einen gezeichneten Penis so gefühlvoll zu reiben, daß er nicht heißläuft – in den 80er Jahren ein beliebter Zeitvertreib alkoholgeschwängerter Bürofeste, an denen sich auch Damen heftig beteiligten. Pro Diskette konnte man damals etwa 360 Kilobyte abspeichern. Auf moderne Disketten, die viermal soviel Zeichen aufneh-men (1,4 Megabyte), passen heute schon interaktive farbige Spiele, wie etwa die Larry-Serie. Die Zukunft des Software-Porno gehört, so die Experten, aber der CD-ROM, die mit ungefähr 600 Mega-byte schon das Abspielen kleiner pikanter Farbfilmchen samt Tonuntermalung ermöglicht.


In Deutschland denkt die Pornofilm-Königin Teresa Orlowsky ernsthaft daran, in dieses Medium einzusteigen und ihre spritzigen Werke nach dem abflauenden Videoboom auf diesem Wege zu vermarkten. Geplant sind auch mit (Akt-) Fotos garnierte Partner-Börsen auf Diskette. Und auch private Mailboxen bieten heute schon den Freaks per Telefon ein reiches Angebot an Gratis-Pornomaterial, um den Appetit auf bezahlte Ware zu wecken.


Wenn nicht die Behörden einschreiten, dann kommen auf den Computermacho also rosige Zeiten zu.

… die digitale Lustwiese oder als die Bilder laufen lernten ….

Die digitale Lustwiese (SEX AM COMPUTER)

  • Was Computervoyeure erregt

Erotische Computerspiele gibt es viele auf dem Markt. Doch witzige Produkte mit Pfiff sind selten. Man kann das orientalische Brettspiel Mah Jong auch x-rated, also mit Sexspielsteinen angehen. Elektronisches Sexpoker, bei dem sich das Bildschirm-Mädchen entblättert, wenn der Spieler gewinnt, stammt schon aus der Anfangszeit der Computererotik. Das Pornomonopoly dreht sich statt um Häuser und Hotels um Bordelle und nackte Mädchen. Und statt dem Gefängnis droht den Mitspielern die Menopause, also das Unwohlsein.


Für US-Teens gibt es Fragespiele, deren gewagter Höhepunkt so lautet: ,,How long is your cock?“ Womit nicht das Mittagshähnchen gemeint ist. Schon witziger geben sich gezeichnete Bestseller, wie Leisure Suit Larry 5, bei denen man den leichtgeschürzten Bildschirm-Mädchen nur ganz nahe kommen kann, wenn man den Grundsatz „Use a Condom“ beherzigt. Harmlos herzig ist das Streichelspiel der französischen Computergarne-Schmiede Sexytel, bei dem es darum geht, durch geschickte Schachzüge mit dem Joystick zu erreichen, daß eine Nackte dem Spieler, dessen Figur symbolisch auf dem Bildschirm erscheint, nicht ·nur mit der Hand Gutes tut. Noch eindeutiger sind die Apple-Spiele MacPlaymate (Diskette) und Virtual Valerie (CD-ROM). Nicht nur daß die süße Playmate im genau richtigen Moment „Oh yes“ stöhnt, stehen dem Mann neben einer Computerhand (,,Helping Hand“) auch verschiedene andere Werkzeuge zur Verfügung, mit denen er der schweratmenden und augenklimpern-den Nackten zu Leibe rücken kann. Zudem kann man das Mädel entkleiden, fesseln, ihm eine Lederkluft anziehen oder es auch zur Selbstbefriedigung animieren.


Kein Wunder, daß bei der letzten Bostoner Apple-Messe im Herbst 1992 der Erotik-Software-Stand am meisten umlagert war, wie Österreichs Apple-Vertreter dort staunend registrierten.

WIENER/Februar 1993 um ÖS 40,-

SEX AM COMPUTER (die story)

  • Porno-Software und Erotikspiele sind, unbemerkt von Behörden und Öffentlichkeit, der große Hit auf dem österreichischen Computermarkt.
  • Alles, was elektronisch antörnt, ist der letzte Schrei.
  • Ob erlaubt oder nicht.

,,Schatz“, sagt der Jungunternehmer gleich nach dem Abendessen zu seiner Ehefrau, ,,ich muß noch einmal den PC anwerfen, du weißt,es gibt Probleme mit der Bilanz.“
Und dann, im nüchternen Ambiente seines Arbeitszimmers, läßt der Computerfreak die Puppen auf dem Bildschirm tanzen. Nackt.


„Chef“, sagt der Oberbuchhalter und schaut ganz dienstlich drein, ,,ich muß heute noch am Computer Überstunden machen. Sie wissen, die Lagerhaltung.“
Und dann, ganz allein im Halbdunkel seines Arbeitsplatzes, zaubert er nicht Tabellen und Warenlisten auf seinen Apple-Computer, sondern Larry der Held zieht Bikini-Schönheiten aus, und Virtual Valerie spreizt lüstern stöhnend die Schenkel, bis der Oberbuchhalter sich blitzenden Auges die Maus greift und die Bildschirm-Schöne elektronisch penetriert.


Fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit, aber von Österreichs Computerfreaks ebenso aufmerksam verfolgt wie genutzt, gibt es hierzulande ein explosionsartig wachsendes Angebot an Hardcore-Software, das von noch harmlosen elektronischen Strippoker-Spielchen bis zu härtester Pornografie in allen Spielarten reicht: vom primitiven Rein-raus-Spiel für schlichte Gemüter über Sadomaso-Variationen bis zu speziellen Computerordnern für Liebhaber lesbischer und homosexueller Szenen.

(c) 1988 Event Horizons


Spezialgeschäfte und Versandhäuser kommen kaum mit den Lieferungen nach, denn der Sexpartner Computer ist zum Renner der Saison geworden.


Die Technik entwickelt sich rapid, und so sind seit etwa einem halben Jahr Computer-CDs auf dem Markt, die an Kapazität Dutzende Pornohefte in den Schatten stellen. Doch damit nicht genug: mittlerweile können die harmlosen silbernen Scheiben auch farbige Kurzfilme eindeutiger Machart auf den Computerschirm zaubern.


Erotische Spiele, wie Spellcasting 301 oder das Apple-kompatible Virtual Valerie auf CD-ROM in Farbe und mit passendem Lustgestöhn, bieten einschlägige Unterhaltung für Elektronik-Machos, die nicht nur zuschauen, sondern mit Hilfe der Computermaus aktiv ins Geschehen eingreifen können. (Lesen Sie auch: Die digitale Lustwiese)

THE HARDCORE SHOW


Praktisch alle österreichischen Software-Händler und noch mehr die deutschen oder amerikanischen bieten in ihren Katalogen ein immer breiteres Erotikprogramm auf Disketten und Computer-CDs an. (Siehe auch: Wo man Erotik-Software kaufen kann). An diesem boomenden Geschäft mit heißer Software kann kein kühl rechnender Geschäftsmann vorbeigehen.


,,Was da alles nach Österreich kommt“, wundert sich Theodor Drexler vom Wiener Alpha Computer Book Shop und Software über diese Subkultur, ,,das geht an den Behörden völlig vorbei, keiner kümmert sich darum, und die Nachfrage wird immer größer.“ Die, Zensur jedenfalls hat diesen Pornoboom auf unauffälligen CDs und Disketten bisher verschlafen.


Angeboten wird die Ware, die vor allem aus den USA, aber auch aus Italien, Frankreich oder Japan kommt, äußerst vollmundig. Das mit nackten Schönheiten garnierte witzige Phantasyspiel Leisure Suit Larry 5 auf Diskette wird als die unglaublichste und zügelloseste Animation, die wir je realisiert haben, angepriesen, denn: Ein einfaches Befehlssystem erlaubt dir ein schnelles einhändiges Punktesammeln.
,,Das Erotikgeschäft rennt irrsinnig gut“, freut sich der Wiener Software-Händler Kurt Zechbauer, dessen Handelsunternehmen Computing auch den derzeitigen absoluten Computerporno-Renner, die FAO-(For adults only) Erotik-Serie aus den USA, auf drei CD-ROMs mit tausenden scharfen Fotos und kurzen, mehr als eindeutigen Filmen, führt. Natürlich in Farbe.

FOTOMONTAGE: Robert Mayr/Andreas Herrmann MODELS: Gamon & Lydia/Boys & Girls


Das Dreierpack für PCs kostet heiße 1690 Schilling und enthält so viel Stoff wie Dutzende Pornomagazine aller Richtungen. Männlein und Weiblein steif und spritzig, gespreizt und hitzig, • zur Gruppe gepaart oder lustvoll allein. Kostproben aus dem Best-of-Inhaltsverzeichnis der FAO-Silberscheiben:
Bi, 3-ways, Orgys, Gay men, Gay female, oriental. Fachleute wissen, was sie erwartet: Spielchen in allen Lebenslagen, vom bisexuellen Abenteuer bis zu digitalen Homo- und Lesbenszenarien. Viel herumgere-det wird bei Computerpornos also nicht, die Disketten und CD-ROMs kommen rasch zur Sache, denn Zeit ist Geld, und der Megabyte orientierte Freak will sich seine visuelle Befriedigung möglichst ohne viel Umwege holen – sexuelles Fast Food.


Die Verfügbarkeit der Frau als Lustobjekt gehört beim Computersex zum System: auf einen Klick ist sie für alle interaktiven Penetrationen des elektronischen Voyeurs zu haben. Und auf einen Knopfdruck verschwindet sie auch wieder gehorsam und macht der nächsten Bildschirm-Erregung Platz. (Siehe auch: Lichtblicke für die Computergeneration)


So mobil und rasch greifbar wie ein Pornoheft, so technisch perfekt wie die Pornovideos für den Fernsehapparat sind die Erotikdisketten und CD-ROMs aber noch lange nicht. Vor allem ältere Produkte bieten erbärmliche technische Schwarzweißqualität und sind ausgeprägt primitiv. Sie beschränken sich auf ruckartige, schemenhafte Darstellung der wesentlichen Organe.

Solche unscharfen SW-Pornos aus der Computersteinzeit Anfang der 80er Jahre können wohl nur noch die prüden Amerikaner provozieren, werden aber auch in Österreich nach wie vor an Newcomer fleißig verkauft.


Der Computersex hat aber, anders als Sexmagazine und Pornofilme im Kino oder Fernsehen, seinen eigenen Reiz: ,,Solche Ware kauft sich eine ganz bestimmte Gruppe, die den Personal-Computer als privates Hobby verwendet“, glaubt Dr. Walter Wallner, Mitbesitzer der Klagenfurter Software-Handelsfirma Starcom, die auch ein breites Angebot an Hardcore-Computerfutter bietet. Der Geschäftsführer der Pearl Agency, Peter Kaiblinger im oberösterreichischen Bad Hall, der ebenfalls auf Erotik-Software nicht ganz verzichten kann, glaubt, daß das ungestörte Betrachten im privaten Arbeitszimmer abseits der Familie die Voyeure ’93 ganz besonders reizt. Und natürlich auch, daß Pornodisketten oder CD-ROMs ohne auffälligen Cover so harmlos wirken wie die ganz normale Software, mit deren Hilfe man eine Buchhaltungstabelle aufbauen kann.


Ein besonderer Reiz ist es gewiß auch, auf dem Computerbildschirm des Arbeitsplatze statt endloser Zahlentabellen einmal Fotos vollbusiger Haserln zu betrachten und so zu einer neuen Definition des Joysticks zu finden. Oder selber interaktiv bei einem Strippoker ein Bildschirm-Girl zu entblößen. Kommt überraschend der Chef zur Tür herein, dann genügt es, die oft schon vorsorglich eingeblendete Panic-Taste anzuklicken, und die 92er Warenwirtschaftskontrolle erscheint blitzartig wieder auf dem Schirm.
Martin Schnabel vom Wiener Apple Center Point weiß, was seine Kunden wünschen: ,,Sich so etwas am Arbeitsplatz zu betrachten, ist natürlich viel unauffälliger und auch weniger peinlich, als sich ein Por-noheft am Kiosk zu kaufen. Und außerdem kann man mit Hardcore am Computerbildschirm auch die Kolleginnen schockieren.“


Womit sich für Johanna Dohnal und ihren Kreuzzug gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ein ganz neues zukunftsträchtiges Betätigungsfeld auftut.

WIENER/Februar 1993 um ÖS 40,-/Faksimile

Lichtblicke für die Computergeneration (SEX AM COMPUTER)

  • Seelenforscher über Computerporno

„Was früher die Pin-ups im Spind der Arbeiter waren, das sind jetzt die Sexspiele und Pornofotos im Computer am Arbeitsplatz“, konstatiert Erotikspezialistin Dr. Rotraud Perner, die eben ihr neues einschlägiges Buch „Menschenjagd“ auf den Markt gebracht hat.


Und wie bei den Spind-Girls sieht die Sexologin auch bei der Computererotik „Gewalt- und Dominanz-Phantasien“ der Männer, die sich von den zunehmend emanzipierten Frauen frustriert fühlen. Es handle sich um „entpersonalisierten Sex“ von auch im Beruf Enttäuschten, die Entspannung suchen, aber nicht finden. Verletzte Männer, so die Diagnose von Rotraud Perner, die unter Kontaktstörungen leiden und denen es beim Sexkonsum vor allem um schnellen Zugriff und Bequemlichkeit geht. ,,Das Schauen wird überforciert, das Fühlen abgestumpft. Was man da zu sehen bekommt, ist jedenfalls nie so schön wie die Phantasie.“ Und als ernüchterndes Resümee: ,,Diese Art von Pornografie ist gezielte Anleitung zum Frauenhaß.“


Nicht viel besser beurteilt Pornoforscher Prof. Emest Bornemann Sex aus dem Computer: ,,Solche Spiele mögen ein kleiner Lichtblick für den grauen Alltag der Computergeneration sein, aber es handelt sich nur um ärmlichen Sexersatz. Jedenfalls ist es kein Zeichen der Befreiung, wenn nun nach Buch, Zeichnung, Foto, Film, Fernsehen und Telefon auch der Computer Sex bietet. Ein besonderer Anreiz ist sicher das Verbot, am Arbeitsplatz Erotikspiele einzulegen oder gar Pornofotos anzusehen. Jedenfalls kann man sagen, daß die gegenwärtige Ära der Sexsubstitute dazu führt, daß sich das Geschlechtsleben in verheerender Weise verschlechtert.“ .