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Archiv 2004 – Einer geht. Porno bleibt.

Christian Jandrisits

Pornostar Darren James hat sich mit AIDS infiziert – und einige Kolleginnen gleich mit. Resultat: Drehstop einer millardenschweren Industrie, Agonie, Krise. Der WIENER erkundete in der Branche, warum trotzdem weiter gerammelt wird. Zum Beispiel in Barcelona …

Text: Janina Lebiszczak Fotos: Stefano de Luigi

Wir befinden uns im Jahre 2004 nach Christi. Ganz Pornoland ist in der Krise . . . Ganz Pornoland? Nein! Ein von unbeugsamen Produzenten, Regisseuren und Darstellern bevölkertes Dorf in Spanien hört nicht auf, Widerstand zu leisten. Das kleine Dorf in Spanien heißt San Cugat del Valles und liegt zwanzig Minuten von Barcelona-City entfernt. Von dem HIV-Skandal um Darren James und Co. trennen es allerdings Lichtjahre. Denn im kalifornischen Pendant San Fernando Valley, dem Mekka der internationalen Porno-Branche, herrscht seit Mitte März Ausnahmezustand. Rund 80 Prozent von Amerikas milliardenschwerer Sex-Industrie haben die Produktion bis dato eingestellt, statt nackter Haut steht nackte Angst auf der Tagesordnung.


Porno-Star James, bei einem gummifreien Dreh in Brasilien mit der Immunkrankheit infiziert, könnte laut Hochrechnungen der Adult Movie lndustry Healthcare Foundation mehr als 60 weitere Kollegen angesteckt haben, für zwei seiner Sparing-Partnerinnen – die 19-jährige Lara Roxx aus Kanada und die Tschechin Jessica Dee gab es den positiven Befund bereits. Das Gros der 1.200 Lust-Arbeiter hat seine Arbeit zwecks intensiver Untersuchungen mittlerweile freiwillig niedergelegt, für die einst florierende US-Branche, die täglich drei bis vier neue Filme produziert, bedeutet das Aids-Moratorium Verluste in Millionenhöhe. Dazu kommt, dass die Gesundheitsbehörde in Los Angeles eine Gesetzesinitiative vorantreibt, die nur mehr Produktionen mit Kondomen bei den Sexszenen vorschreibt. Eine Auflage, die die Betriebsklinik der Pornoindustrie ablehnt, weil sie, so der Tenor, nur zu mehr Underground Produktionen führe – und damit zu weiteren potenziellen Infizierungen mit letalem Ausgang. Fest steht: Porno-Arbeiter wie Beobachter in In- und Ausland – von der „Los Angeles Times“, bis zum britischen „Guardian“ – prognostizieren der milliardenschweren Pornobranche, die bisher mit jährlichen Umsätzen über denen Hollywoods aufwarten konnte, eine veritable Krise.

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Auf den ersten Blick herrscht derweilen in San Cugat Idylle pur. Und suf den zweiten auch. Im Gegensatz zur US-Schwesterstadt San Fernando Valley bestimmen kleine, efeu- und fliederumrankte Fincas das Straßenbild – nach Fertighäusern, die für wenig Geld pastellfarbeen Komfort bieten, sucht man hier vergeblich. Und während im Valley nicht einmal auftoupierte Haare oder chirurgisch verstärkte Körperpartien weiter auffallen, wirken die Einwohner von San Cugat einfach nur wie: Einwohner.
Am besten kann man sich davon im Akelarre überzeugen, dem Treffpunkt der hiesigen Sexwork-Community. Gleich hinter dem liebevoll-schmuddeligen Pub und seinen von der Hitze verbogenen Plastiksesseln thront das einzige mehrstöckige Gebäude der Ortschaft – der Firmensitz des spanischen Porno-Magnaten Private Media. Nach einer kurzen Umfrage unter den Gästen, die im Akelarre den Stress mit einem kühlen Stella bekämpfen, scheint es, dass bis auf den Barkeeper hier jeder in der Branche arbeitet.
Ganz so wie Arie van Dam, unser umtriebiger Reiseführer ins Land der inszenierten Fleischeslust. Seit sieben Jahren arbeitet der gebürtige Holländer im Porno-Biz, als Coverfotograf für die Private Penthouse Linie, als Supervisor und Produktionsleiter für Kult-Produktionen wie „Amanda’s Diaries“ oder „The Uranus Project“, als Regisseur, Caster und Programm-Entwickler. Ein Mädchen für alles, nur dass dieses „Mädchen“ seine roten Marlboro in Kette raucht, zwecks Entpannung am liebsten offroad durch die Schlammwüsten dieser Welt brettert und laut eigener Auskunft ein Faible für flotte Dreier hat.

Arie ist ein alter Hengst im Porno-Geschäft. So einen Mann bringt nichts aus der Ruhe. Aber dass ein österreichisches Männermagazin zwecks Recherche eine Blondine nach San Cugat entsendet, findet sogar er prickelnd. Entsprechend auskunftsfreudig gibt sich Arie alias Dave Densen – auch in Spanien gehört es zum Porno-Chic, sich fürs Geschäft einen flotten Namen zu verpassen. ,,Das große Casting für die neuen Produktionen hast du leider verpasst. Aber versäumt hast du nichts. Auf zehn Männer kommt zur Zeit nur eine Frau, alle blutige Anfänger. Es ist mehr als frustrierend, den ganzen Tag in einem Büro zu hocken und darauf zu warten, dass irgendein Idiot endlich einen Harten bekommt“
Klar, der HIV-Skandal in Kalifornien zeige auch in Spanien Wirkung, sagt er. ,,Die Mädchen haben Angst, man findet kaum Nachwuchs. Die sauberen Girls bevorzugen jetzt Striptease oder Escortservice.“ Aries Problem ist, dass sich Filme mit Gummi schlecht verkaufen und Produktionsfirmen ungeschützte Drehs verlangen – seine Mädchen seit Darren James gerade darauf aber lieber verzichten. Schlechte Zeiten.

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Die guten Zeiten scheinen allerdings nicht allzu weit zurückzuliegen. In seinem Haus, wenige Minuten vom Private-Headquarter entfernt, offeriert Arie einen Cafe con cognac, als Dessert gibts ein Best-Of seiner letzten Produktionen. Bei „The Gladiator“ bekommt Arie fast feuchte Augen. Der Film von Antonio Adamo wurde vor zwei Jahren beim Filmfestival in Cannes vorgestellt, eine zwei Millionen Euro teure Trilogie, die teils an den Originalsets von Ridley Scotts gleichnamigem Sandalen-Schinken abgedreht wurde. „Wir haben in Ungarn, Italien und Spanien gearbeitet, mit über 45 Darstellern und Statisten. In Cannes habe ich dann eine gigantische Premierenparty auf einer Jacht organisiert, mit allem Drum und Dran, einfach großartig“, erinnert sich Arie. ,,Der Pressesprecher meinte noch, dass ,Gladiator‘ das Gesicht der Sexfilm-Industrie für immer verändern würde.“ Zumindest für Toni Ribas, der Kaiser Maximus gespielt hat, trifft das zu: Er hat während den Dreharbeiten in einer Kampfszene beinahe sein ganzes linkes Ohr verloren.

Laut Arie hat sich die Pornobranche schon vor Darren James verändert. Launige Anekdoten – wie die von Porno-Superstar David Perry, der von seinem Handy so besessen war, dass er sogar während dem Dreh eifrig SMS versendete sind Vergangenheit. Und selbst Vorzeige-Aktricen wie Sylvia Saint und Laura Angel weisen mittlerweile Abnützungserscheinungen auf. Glamour? Ruhm? Ehre? Alles vorbei. ,,Es fehlt an Geld, es fehlt an Innovationen und echten Stars“, sagt Arie. ,,Schnelles Geld, billiger Müll, das ist alles, worum es sich dreht Ich habe die Schnauze voll davon, bei voll ausgeleuchtetem Set Nahaufnahmen von Muschis zu schießen.“ Die Pornowelt hat sich in zwei Lager geteilt: in Feature und Gonzo. Feature bedeutet Handlung mit Sex (für den Pärchenmarkt und Männer ohne Erektionsprobleme), Gonzo zusammenhangloses Rammeln. Und egal ob in San Fernando Valley oder im lieblichen San Cugat: Feature ist Märchen, Gonzo Wahrheit, Zukunft und Wachstumsbranche. Hart, anal, auch doppelt und dreifach. Für Feature fehlt vielen der Atem – und Darren James hat nicht geradedazu beigetragen, dass die Luft wieder dicker wird.
Es ist Zeit, San Cugat zu verlassen und in Aries Landrover nach Barcelona-City zu rasen, um echten Porno-Pioniergeist zu erleben. In einem urbanen Downtown-Loft hat sich eine Hand voll schicker Youngsters versammelt, um der Premiere von „The Good Girl“ beizuwohnen – bei Pasteten, Rotwein, Dope und Musik von Beyonce. Die Gastgeberin und Produzentin heißt Erika Hallqvist, nennt sich Erika Lust, ist so vollbusig und blond wie clever und in jedem Fall auch eine intellektuelle Versuchung. Denn die schöne Schwedin möchte mit ihren Produktionen jenen Markt erobern, der von der weltweiten Porno-Krise noch unberührt scheint: den weiblichen. Was nicht heißt, dass ihr „gutes Mädchen“ darauf verzichtet, einen knackigen Pizzaboy in allen nur erdenklichen Stellungen zu vernaschen. Nur: Sie tut es auf einem Designerbett, während Bono Vox von einem „Beautiful Day“ trällert. Und beim Grande Finale wispert sie ihrem Lover ins Ohr: ,,Baby, machen wir es wie im Porno. Komm‘ in meinem Gesicht.“ Wie gesagt: Pioniergeist.
Erika weiß, dass ihr Zielpublikum – Frauen und metrosexuelle Männer – keine durchdachte Story braucht, um vor dem TV-Gerät scharf zu werden: ,,Die meisten Pornos, egal ob High Budget oder Trash, bieten uns keine Identifikationsmöglichkeiten mehr“, sagt sie. Aber die Generation der Zuseher habe sich verändert. Sie brauche neue Codes, neue Stilmittel und vor allem zeitgemäßen Lifestyle. ,,Sonst lockt man niemanden mehr in die Videotheken. Höchstens vor den Computer, um sich diese mickrigen 15-Sekunden Previews reinzuziehen. Und das bringt wohl beiden Seiten nichts.“


Von einer Krise möchte Mrs. Lust jedoch nichts wissen, und schon gar nicht von einer viralen: ,,Bei uns in Spanien gibt es nur einen kleinen, intimen Kreis an Darstellern. Jeder kennt jeden. Und wir zwingen niemanden zur Arbeit, wenn die Chemie nicht stimmt. Pornos zu drehen ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Und es ist ein Irrglaube, dass die Schauspieler auch privat wie wild durch die Gegend vögeln. Im Gegenteil: Sie trinken kaum, nehmen keine Drogen, machen viel Sport. Und sie gehen alle drei Wochen zum AIDS-Test. Außerdem stecken die meisten von ihnen soundso in einer festen Beziehung.“
Ein solches Pärchen treffen wir bei unserer letzten Station, einem kleinen Appartement nahe Castelldefels, mit Blick auf Beach und Bikinis. Hier lebt Claudia Claire (die eigentlich Martha heißt, aus einem kleinen Dorf bei Prag kommt und Model werden wollte) mit ihrem Lover, dem Holländer Robby Blake, der vor seiner Laufbahn im Liegen schon eine Peepshow in Wien-Margareten gemanagt hat. Kennen gelernt haben die beiden sich an jenem Ort, wo schon die meisten Pornokarrieren hecho en barcelona begonnen haben: Im Cafe Bagdad, in dem man nebst Champagner und mehrgängigem Dinner auch in den Genuss der angeblich besten Sex-Shows der Stadt kommen soll.
„Wie sagt man hier so schön: Wenn du es im Bagdad schaffst, schaffst du es überall“, sagt Bobby stolz und nippt diskret am Alkoholfreien. ,,Live vor Publikum gibts keinen Regisseur, der Cut schreit, falls es peinlich wird.“
Die besten Voraussetzungen für eine Karriere ohne Grenzen? Claudia und Bobby wechseln einen bedeutungsvollen Blick. ,,Wir haben bis vor kurzem intensiv darüber nachgedacht, gemeinsam nach Kalifornien zu gehen. Man ist dort versorgt, krankenversichert und es gibt genügend Jobs. Nur: In Spanien sind wir heiße Ware, dort austauschbar. Und wer möchte schon die große Familie hier gegen Anonymität und AIDS-Angst tauschen?“

Und selbst wenn man von Pornos nicht viel mehr weiß, als dass sie Menschen beim übereifrigen Koitus zeigen, möchte man dem Mann Recht geben. Die Sonne versinkt hinter dem Platja, Arie steht am Balkon, raucht Kette und erteilt Erika via Handy letzte Tipps für ihren neuen Film. Claudia betrachtet versonnen ihre frühere Setkarte, Bobby hängt seinen Taucheranzug zum Trocknen auf, während drei fette Siamkatzen hungrig um seine Waden streichen. In dieser Idylle ·betrachtet, kann diesen Menschen weder die übermächtige Porno-Industrie aus USA noch Darren James gefährlich werden. Sofern sie nicht ungeschützt mit ihnen verkehren.