AKUT

Felix und sein schweres Gewissen am Freelancer-Tisch

Liebe Mutti!

Hier bei der DMLH&W New AdDigital Group überschlagen sich wieder mal die Ereignisse.

Heute half mein alter Freund Felix bei uns in der Agentur aus. Er verdingt sich ja, wie du vielleicht noch weißt, seit der elften großen Kündigungswelle bei BBLD&Partners New Media als freier Texter auf dem nationalen Werbemarkt. „Wiener Kreativen­strich“ nennt er das nicht ohne Selbstironie. Er war ja schon auf der Werbeakademie ein Original, der gute Felix!

In der ihm vertraglich zugesicherten Mittagspause kamen wir die vollen sieben Minuten zum Plaudern, und dabei schüttete er mir sein Herz aus, der Arme.

Felix leidet unter schweren Gewissensbissen, die ihm langsam, aber sicher die letzte Konzentration beim nächtlichen Fortnite-Spielen rauben.

Grund dafür ist ein Artikel in einer österreichischen Werbefachzeitschrift, der sich mit der Honorargebarung einer Wiener Agentur, deren Name hier nichts zur Sache tut, im Rahmen eines öffentlichen Auftrages auseinandersetzte. 123.467 Euro allein für die Kampagnenidee und deren Ausarbeitung seien da veranschlagt worden. Skandal! Und überhaupt, so der Redakteur, wie komme denn der Steuerzahler dazu, für die als Öffentlichkeitsarbeit ­getarnten Profilneurosen ­irgendwelcher Staatssekretäre in die Tasche zu greifen.

Diese Geschichte beschäftigte mittlerweile auch bereits den Rechnungshof, am allermeisten aber beschäftigte sie Felix. Denn er war es gewesen, der vor ein paar Monaten in der besagten Wiener Agentur, deren Namen hier immer noch nichts zur Sache tut, zusammen mit einem jetzt sicherlich auch von fürchterlichen Gewissensbissen geplagten Grafikpartner für die Idee und die Ausarbeitung der Kampagne verantwortlich gezeichnet hatte. Lächerliche zweieinhalb 70-Stunden-Wochen hatten sie dafür gebraucht und dafür stolze 2.250 Euro pro Mann und Nase lukriert.

Nie im Traum hätte er zu ­diesem Zeitpunkt daran gedacht, wer denn tatsächlich für seinen obszön hohen Unkostenbeitrag aufzukommen hatte! Wem er da wirklich die Butter vom Brot stahl.

Hundeelend fühlte sich Felix. Ich vermochte ihn kaum zu trösten. Da schoss mir eine meiner – ja, gelernt ist eben gelernt, Mutti – berühmten Ideen ein. Ich empfahl Felix, einfach den Chef der besagten Wiener Agentur, deren Namen hier sicher nichts zur Sache tut, anzurufen und ihn um Entschuldigung zu bitten, dass er damals bei der Rechnungsstellung nicht sensibler vorgegangen und damit das Säckel der Abertausenden braven Kleinverdiener so belastet worden war.

Felix fühlte sich schon beim Gedanken sofort besser und wählte die Handynummer des Agenturbosses, die er sogar unter dessen Vornamen hatte einspeichern dürfen. Am anderen Ende ließ ihn die Stimme der dritten persönlichen Assistentin des Agenturchefs wissen, dass der Chef selbst erst seit zwei Wochen auf der Karibikinsel Mustique weile und daher nicht vor nächsten Monat wieder zu sprechen sei. In dringenden Fällen könne man aber nach dem Piepton eine kurzgefasste und auf das Wesentliche beschränkte Nachricht hinterlassen.

Was der Felix auch tat. Stotternd vor Nervosität, aber dennoch demütig und reuevoll.

Wie gut es doch tun kann, sich auch mal die Last von der Seele zu sprechen, sieht man an Felix, der seit der erlösenden Beichte wie ein neuer Mensch an seinem Freelancer-Tisch sitzt und sich voller Inbrunst dem 90-seitigen Text einer Dämmstofffibel für ­einen großen Baumarkt widmet.

Jetzt wartet aber die acht­undzwanzigste Korrektur eines Leporello-Folders für ein regio­nales Gewinnspiel auf mich.

Gruß und Kuss, Dein Vinzenz


Alexander Rudan
Kreativdirektor von Havas Wien, ist seit mehr als 25 Jahren in der Werbung. Sein Alter Ego ­Vinzenz Birngruber gibt uns in Briefen/Mails an seine Mama daheim in Salzburg Einblicke in den ganz nor­malen Werbealltag.

Foto: Alexander Rudan, Illustration: Verlag