Buch
Bitte geht’s hin! (LOOSE TIE 2022)
Zum Prostatakrebs-Vorsorge Monat November präsentieren die Krebshilfe und die Österreichische Gesellschaft für Urologie das Buch „MUTMACHER. Den Krebs mutig zum Thema machen“. Darin erzählt Bestsellerautor Thomas Raab die Geschichten von zwölf Männern mit einer urologischen Krebserkrankung. Portraitiert werden sie von der Künstlerin Sabine Hauswirth. Daraus entstanden ist ein Buch, das Mut gibt und männliche Krebspatienten sichtbar macht. Wir bringen im Loose Tie-Monat Oktober Auszüge aus dem Buch und ein Interview mit dem Autor.
Redaktion: Franz J. Sauer FOTOS: Sabine Hauswirth
„Männer mit der Diagnose Krebs sprechen – anders als ihre weiblichen Leidensgenossinnen – nicht so laut, schonungslos und offen über ihre Diagnose,“ erklärt Krebshilfe-Geschäftsführerin Martina Löwe. „Und gerade, wenn die Krebserkrankung die intimste Körperregion des Mannes betrifft, ist häufig Schweigen angesagt. Auch beim Gegenüber.“
Mit dem Buch „Mutmacher. Den Krebs mutig zum Thema machen“ möchte die Österreichische Krebshilfe gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Urologie dieses Schweigen brechen. Dabei bekommen sie mit Bestseller Autor Thomas Raab (Texte) und Künstlerin Sabine Hauswirth (Fotos) hochkarätige Unterstützung. Für den WIENER sprach Manfred Rebhandl mit dem Autor des Buches.
WIENER: Herr Raab, unser beider Väter sind an Krebs gestorben …
RAAB: Meiner vor 17 Jahren, Prostata, Nieren, Darm, schließlich Knochen.
WIENER: Wie so viele hat auch er die Krankheit lange nicht erkannt.
RAAB: Er ging nie zum Arzt, außer zum Zahnarzt. Und als der ihm sagte, dass der immer wiederkehrende Eiterherd in seinem Gebiss von etwas anderem in seinem Körper herrühren müsse als von einer Zahnfleischentzündung, hat man ihn weitergeschickt. Die Diagnose war dann Krebs.
WIENER: Ihr Vater war ein Schweigender wie so viele seiner Generation?
RAAB: Richtig, wie viele Männer redete auch er nicht darüber. Und selbst wir, in unserer Generation, tun uns schwer, über Hoden, Prostata, Blase, Darm und damit eventuell verbundene Krankheiten zu reden, da brauchen wir ein paar Krügerl, bevor wir über den nächsten Urologentermin reden, den wir dann eh wieder nicht wahrnehmen, weil wir uns fürchten.
WIENER: Kennen Sie diese Furcht auch?
RAAB: Natürlich. Vorm letzten Termin heuer war ich wieder zwei Jahre nicht, weil ich es immer rausgeschoben habe. Wir tun uns auch schwer, uns überhaupt dort unten anzufassen, die Hoden abzutasten, uns die Prostata untersuchen zu lassen. All das ist nach wie vor mit sehr viel Scham behaftet. Selbst wenn der Hoden die Größe eines Apfels erreicht hat, gehen die meisten vermutlich nicht zum Arzt, sondern machen lieber Witze darüber.
WIENER: Gibt es den Krebstypen? Die Krebspersönlichkeit?
RAAB: Das ist absoluter Blödsinn, weder Wesen noch Charakter eines Menschen spielen für die Entstehung von Krebs eine Rolle, er kann den Redseligen wie den Schweigsamen treffen, den Jungen wie den Alten, den Erfolgreichen wie den Erfolglosen, den Fröhlichen wie den Deprimierten, den Dicken wie den weltberühmten Sportler. Es gibt keine Krebspersönlichkeit, wie immer wieder in den Raum gestellt wird.
WIENER: Gerade beim urologischen Krebs, von dem alle Männer betroffen sind, die Sie für Ihr Buch interviewt haben, gibt es immer wieder Sätze wie diesen: Er hat seine Sexualität unterdrückt.
RAAB: Absoluter Blödsinn, dass hier Zusammenhänge hergestellt werden, soviel habe ich mich mittlerweile damit beschäftigt, um das sagen zu können.
WIENER: Alleine in der neuen Fußballsaison sind vier bis fünf Spieler mit Hodenkrebs diagnostiziert worden, ebenso der Schistar Aksel Lund Svindal. Es heißt dann immer, sie würden „kämpfen“, der Krankheit wird damit etwas Besonderes unterstellt, nämlich, dass man gegen sie „gewinnen“ könne.
RAAB: Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass doch viele jüngere Männer freier und offensiver damit umgehen, dass man es nicht geheim hält und die Öffentlichkeit davon erfährt. Diese „Kampf“-Sprache beschwert die Diagnose natürlich. In meinen Gesprächen mit den Betroffen, die ich für das Buch interviewt habe bzw. mit denen ich gesprochen habe in einer Form, von der vor allem ich profitiert habe, waren ausnahmslos alle nach vorne gerichtet. Ich war überrascht, wie cool die meisten waren, wie selbstverständlich sie damit umgegangen sind, wie sie auch darüber lachen konnten, wie mutig und mutmachend sie alle waren. Sätze wie „Als ich dem Tod in die Eier trat“ von Hodenkrebspatienten zu hören, damit habe ich nicht gerechnet.
WIENER: Sie haben zusammen mit Martina Löwe, der Geschäftsführerin der Österreichischen Krebshilfe, einen Fragenkatalog zusammen gestellt, den Sie den Männern vorgelegt haben, z.B. „Drei Bücher, die mir Kraft geben“.
RAAB: Da kamen überraschende Antworten, von der Biografie von Niki Lauda über die Tagebücher der Anne Frank bis zum Anschlag von Stephen King. Jeder geht unterschiedlich damit um, aber eines habe ich bei allen gemerkt: Der Satz „Der Weg ist das Ziel“ ist der dümmste und falscheste, den es gibt. Denn was soll das heißen? Gerade bei so einer Diagnose formulieren alle konkrete Ziele, und das ist wichtig. Und ausnahmslos alle sprachen von den kleinen Freuden, die sie wieder lernten zu genießen, und den neuen Kontakten, die sie geschlossen haben.
WIENER: „Das Leben ist ein Geschenk“ ist auch so ein Satz, den man erst herauskramt, wenn etwas ist.
RAAB: Genau. Wir schlagen uns mit dem herum, was wir an Teurem oder an Luxus zu erreichen versuchen, aber was ist ein Bentley gegen das Leben?
WIENER: Das einzige, was wirklich hilft?
RAAB: Vorsorge. Vorsorge. Vorsorge. Bitte geht’s alle hin, es dauert fünf Minunten, und es können die entscheidenden fünf Minuten Deines Lebens sein. ——————–
LOOSE TIE
GERHARD, 64
Diagnose: Prostatakrebs
Gerhard ist eine Offenbarung. Wie ein Sir nimmt er Platz. Elegant, topfit, voll positiver Ausstrahlung, und überrascht. Denn er selbst gibt zu, überrascht gewesen zu sein über die positiven Formulierungen des Fragebogens. Den Positiven also überrascht das Positive! Warum? Weil sich die negativen Erfahrungen gehäuft haben. Darum ist er hier. Als Mutmacher. (…)
Er, ein schwuler Single-Mann, einst mit aktivem Sexualleben, und nun, seit seiner OP, tut sich gar nichts mehr. Tote Hose. Keine Erektion. Alles bisher Versuchte nütze nicht viel. Einzig der ihm über die Krebshilfe zur Seite gestellte Sexualtherapeut mache ihm nun Hoffnung. Und dieses „von Hundert auf Null“ ist besonders in seinem Fall ein schweres Schicksal. Die grandiose Unterstützung durch sein Umfeld, seine Freunde nach der OP streicht er zwar heraus. Die ihm entgegengebrachte Liebe. Trotzdem. „Es ist halt auch so schwierig, weil du als alter Schwuler deinen Mann stehen musst.“ (…)
CHRISTIAN, 65
Diagnose: Hodenkrebs, Prostatakrebs
Christian tritt auf, ist da. Im Hier. Breitbeinig. Wuchtig. Genauso war er auch beim Urologen, wegen eines Knotens – Hoden, da wär was – und wurde doch übersehen. Von Jänner bis August – das war 1989. Mit Antibiotika behandelt: „Ist ja nur eine Entzündung!“ Heute würde er eine zweite Meinung einholen oder eine dritte. Jeden der 86 durch seinen Körper fließenden Liter Chemogift hat er mitgeschrieben, akribisch, um den längst zwetschkengroßen Tumor in seinem Inneren zu bekämpfen. „Des Viech bring i um!“, so seine Devise (…).
Heute ist es erledigt, des Viech, ausgemerzt. „Sich dabei in Arbeit zu stürzen, Ablenkung zu suchen, damit bringst den Krebs ned um! Nein, du musst dich auf deinen Körper konzentrieren. Mit Ehrgeiz!“ Der Prostatakrebs dann 19 Jahre später? Gefreut hat er sich natürlich nicht. Aber gewusst, wie’s geht. Zack, zack, und weg. Ja, er könnt gesünder leben jetzt, dafür geht er alle zwei Monate zur Kontrolle, freiwillig.
PETER, 43
Diagnose: Hodenkrebs
Durchtrainiert, Läufer, zielstrebig, macht kurzen Prozess. Wie ein Adler hoch in den Lüften, alles im Auge, und gibt es ein Problem, dann Sturzflug darauf zu. Krebs spielt für ihn keine Rolle mehr. 2010 passiert. 2022 längst Geschichte. „Und genau dieser Umstand ist das Beste, was mir passieren konnte!“ Vorbei und weiter.
32 Jahre war er damals alt, zwei Jobs gleichzeitig, höchst erfolgreich, das Gefühl der Unverwundbarkeit, der Checker. Wenig schlafen, viel vom Leben. Und dann ein Hoden größer. Schnell ging das. Plötzlich war es da. Das Schlimmste daran: „Hoden hart wie Stein“ zu googeln. Der Befund des Urologen eindeutig. Sofort ins Spital. Hodenkrebs strahlt ungemein schnell. Bei Peter war aber noch kein Organ betroffen. Er ruft umgehend in der Arbeit an: „Ich habe Krebs und weiß nicht, wann ich wieder komme.“ (…)
ROBERT, 44
Diagnose: Hodenkrebs
Er lacht. Viel. Ansteckend. Verbreitet Leichtigkeit. Zeigt auf dem Foto zwar sein zweites Ich, den Business-Man, das erste aber beschreibt er so: „Ich bin ein Kasperl, der im Körper eines Controllers steckt!“ In seiner Gegenwart verliert das Schwere an Gewicht. Gibt es keine Tabus. Nur die spürbare Lebensfreude. „Ich habe ja auch nichts falsch gemacht. Eben Krebs bekommen. Jeder, der mich fragt, dem sag’ ich’s! Und auch jedem, der mich nicht fragt.“
Robert ist ein offenes Buch und das Hörbuch zugleich. Erzählt. Alles. Eindringlich, mitreißend, humorvoll. Und erzählt er von dem Verlust seines zweiten Hodens, ein Jahr nach dem des ersten, ist da keine Tragik, sondern er beginnt zu lachen, schildert, wie ihm die Frage gestellt wurde: „Welche Größe hätten S’ denn gern?“ Gemeint war die Größe der Hoden-Prothesen, denn ohne Eier herumlaufen wollte er nicht. In der Sauna niemanden erschrecken, sich dennoch „normal“ fühlen. (…)