Essen

Küchen-Weltreise

Jakob Stantejsky

Erst Seidenstraße, jetzt Containerschiff: Gewürze waren immer globalisierte Waren. Spitzenköche und ihre „spicy“ Investments suchen einen neuen Zugang – Curry in Zeiten des CO2-Fußabdrucks.

Text: Roland Graf / Foto Header: Spiceworld

Fehlt uns vielleicht die Würze im Leben? Wenn man in die Statistik schaut, drängt sich dieser Eindruck auf. „Als wir vor 20 Jahren begonnen haben, gab es in ganz Deutschland vielleicht 20 Gewürzhändler, aktuell sind es 420“, rechnet Kilian Holland bei seinem Wien-Besuch vor. 350 Artikel, so genannte Reingewürze, aber auch Mischungen hat die Manufaktur mit den kultigen grünen Dosen im Angebot. Vor allem Köche lieben sie, schließlich war Gründer Ingo Holland, bevor er 2001 das Alte Gewürzamt im Fränkisch aufgesperrt hat, selber einer von ihnen. „Es hat ihn einfach genervt, dass einige Gewürze, die er in Paris kennengelernt hatte, in Deutschland nirgends bekam“, erzählt sein Sohn.

Mit der arabischen Mischung „Ras el Hanout“ ergatterte er einen ersten 100-Kilo-Auftrag eines Delikatessenhändlers. Berühmt wurde aber vor allem die mit ­Hibiskus natürlich gefärbte, leicht säuerliche Mischung „Purple Curry“ von Ingo Holland. Aus einer Halbtagskraft wurden heute
20 Mitarbeiter, allein vier Personen arbeiten an der Produktentwicklung. Das Ergebnis sind dann Mischungen wie der „Mallorquinische Kräutergarten“; Ibiza hat noch keinen eigenen Würz-Mix (wäre eventuell ein interessanter „Streu-Artikel“ für den Wiener Wahlkampf). Doch bei aller Kreativität ist man seit den Tagen des Sternekochs a. D. selektiv im Ankauf, wie Kilian Holland beim Besuch seines Austro-Importeurs Sussitz am Karmelitermarkt dem WIENER erzählt.

Foto: Spiceworld

Denn letzten Endes stammt der Großteil der Gewürze, die in unsere Küchen kommen, aus einer einzigen Quelle: dem Container-Hafen Hamburg. Wenige Großhändler teilen ihre Ware aus Übersee hier auf. Historisch ist das nur eine Änderung des Labels auf dem Gewürzsäckchen. Einst war Venedig der Umschlagplatz für Europa, auch wenn die sprichwörtlichen „Pfeffersäcke“ davor auch in den Hansestädten saßen. Heute verteilen sich Spezialanbieter, die z. B. nur Pfeffer oder Curry vertreiben, über alle Bundesländer – und das gilt für österreichische wie auch deutsche. Denn die geänderten Kochgewohnheiten lassen auch die Nachfrage steigen. „Können Sie mehr Grillgewürz-Mischungen machen?“, hieß es vor ein paar ­Jahren in Anrufen beim Alten ­Gewürzamt ständig.

Aber auch teure Steak-Cuts schreien nach Edelpfeffer oder Raritäten wie Japanischem Pudersalz (heißt wegen seiner feinen Mahlung – wie Staubzucker – so und wegen nichts anderem!) als Gewürz. „Auch die kleineren Bäckereien interessieren sich wieder für die Brotgewürze“, profitiert man in Klingenberg beim Alten Gewürzamt von der Nachfrage nach Sauerteig wie anno dazumal. Fenchelsaat und Kümmel können schließlich auch aus heimischen Bedarf gedeckt werden. Doch wie verhält sich angesichts der kleinen Menge, die Hobbyköche und Haushalte benötigen, der Aufwand für den Transport von exotischeren Gewürzen quer über den Globus?

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Roland Trettl, der wie Ex-Spitzenkoch Ingo Holland nach seiner Küchenkarriere ebenfalls in den Gewürzhandel einstieg (siehe ­Interview-Kasten), hat eine klare Meinung: „Guten Pfeffer werde ich auch weiterhin nicht in den Alpen bekommen“. Allerdings liegt die Betonung für den neuen Miteigentümer der Spiceworld eben auf „gut“. Findet sich lokaler Ersatz, der aromatisch gleichwertig ist, wäre der auch beim Würzen na­türlich vorzuziehen. Trettl, der im Salzburger „Hangar 7“ so ziemlich allen kulinarischen Meistern dieses Planeten eine Bühne bereitet hat, empfiehlt etwa Salbei als „ziemlich unterschätztes Gewürz“.

Einen anderen Punkt gibt Kilian Holland zu bedenken: Der direkte Ankauf, bei dem man über einen ökologischen Transportweg entscheiden könnte, fällt auch ­einem Profi wie ihm nicht leicht: Vorgaben an Qualität und regelmäßige (!) Belieferungen sind für die kleinen Erzeuger in Asien und Afrika schwer zu garantieren. Doch ohne sichere Lieferkette wird es riskant für den Absatz der Händler in Europa. Mitunter aber kommt man zu einer Vereinbarung direkt mit den Herstellern; aktuell hat Holland etwa eine Quelle in Sri Lanka aufgetan: „Allein die Farbe dieser frischen Muskatblüte ist großartig“, euphorisiert ihn eine Dose Macis in sattem Rot. Handelsübliche Importware wäre ­dagegen blassbraun oder gelb.
Frische ist ein Kriterium auch bei den vermeintlich trockenen Kräutern, Schalen, Wurzeln und Co. „Länger als drei bis sechs Monate ist nichts bei uns im Lager“, so Holland, der momentan eine gestiegene Nachfrage nach lokalem Gewürzanbau sieht. Kümmel etwa, aber auch vermeintliche Exoten wie Bockshornklee und Safran lassen sich auch unseren Breiten anbauen – letzterer etwa im burgenländischen Klingenbach oder der Wachau. Doch ganz so einfach ist auch die Sache mit den lokalen Erzeugern nicht: „Durch ein Unwetter wurden bei unserem bäuerlichen Partner letztes Jahr auf einen Schlag acht Hektar Kümmel zerstört“. Bis auf weiteres wird es wohl weiter „Container-­Curry“ geben.

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„Weniger ist beim Würzen mehr“
Roland Trettl über elegante und sinnlose Gewürze
Roland Trettl (48) hat sich dieses Jahr mit 20 Prozent am Salzburger Gewürzhändler Spiceworld (www.spiceworld.at) beteiligt. Der TV-bekannte Südtiroler, der als Küchenchef im „Hangar 7“ zehn Jahre lang monatlich Spitzenköche aus aller Welt vorstellte, weiß also genau, welche Gewürze überschätzt sind – und womit man möglicherweise jemanden „einbraten“ kann.

wiener: Warum beteiligt man sich als gut gebuchter Koch an einer Gewürz-Firma?
trettl: In erster Linie aus Idealismus. Weil es um ein unerlässliches Lebensmittel geht. Ich koche jetzt seit 30 Jahren, aber das hätte ich überhaupt nicht machen können ohne Gewürze. Salz etwa ist das notwendigste überhaupt. Allerdings muss es gut eingesetzt werden.

Abgesehen vom Salz, gibt es auch überschätzte ­Gewürze?
Alle Gewürze, die nach nichts schmecken, finde ich ziemlich sinnlos. Ich denke da an getrocknete Blüten oder Chilifäden. Das wird verwendet, damit ein Gericht gut ausschaut. Aber ehrlich, mir ist doch wichtiger, dass ein Gewürz die Aromen des Grundprodukts auf eine andere Ebene hebt. Rosmarin wäre auch so was, das zu oft eingesetzt wird.

Und womit würzen wir zu selten?
Ich finde, Salbei wird viel zu selten verwendet. Man denkt da gerade mal an die Saltimbocca, dabei ist das etwa auch in Kombination mit Nussbutter toll oder zu einer Pasta. Dem Rosmarin fehlt für mich die Eleganz, der Salbei hat sie aber!

In Ihrer TV-Show „First Dates“ (VOX) versuchen Sie, Pärchen beim Essen zu verkuppeln. Daher die Frage: Gibt es aphrodisierende Gewürze?
Puh, das ist eine schwierige Frage, weil auch so viel persönliche Geschmacksvorlieben mitspielen. Ich würde sonst sagen: Chili. Aber wenn das Gegenüber eine Allergie darauf hat, dann war’s das. ­Vanille könnte eventuell wirken. Aber eines sollte klar sein: Kein Gewürz kann so gut sein, wenn du nicht selbst ihr Herz öffnen kannst!

Gibt es schon einen „Trettl-Effekt“, bzw. was wird sich ändern in Salzburg?
Ich bin ja eher der Typ, der schaut, was wir weglassen können. Nach dem Motto: Braucht es wirklich zehn Gewürzmischungen für Fleisch? Beim Würzen gilt der Minimalismus, also ist weniger mehr. Früher war es doch so: Je schlechter das Fleisch, desto mehr Gewürz musste man verwenden.

Das WIENER-Heft-Special ist Mobilität, wie geht es einem da mit Gewürzen, die oft echte „Weltreisende“ mit beträchtlichem ökologischem Fußabdruck sind?
Guten Pfeffer werde ich auch weiterhin nicht in den Alpen bekommen, der muss von irgendwo weiter her kommen. Ich sage, wenn man Regionalität bei den Zutaten pflegt, dann muss auch die Qualität auf Augenhöhe sein, mit dem, was von weit her eingeflogen wird. Sonst ist es Augenauswischerei.

Würzig bleiben!
Profi-Tipps zu Einkauf und Lagerung

Mit 350 Gewürzen aus seiner Produktionsstätte in Franken weiß Kilian Holland auch, wie man die Würzkraft erhält. Exklusiv für den WIENER verriet der Geschäftsführer des „Alten Gewürzamts“ seine fünf Tipps.

Foto: Altes Gewürzamt
  1. „Wenn irgendwie möglich, probieren Sie Gewürze“: Farbe, Geruch und Geschmack geben gleichermaßen Aufschluss über die Frische.
  2. Der Lichtschutz ist unerlässlich – Gewürze in Gläsern verlieren schnell an Farbe und Aroma: „Besonders anfällig dafür ist z. B. Paprika.“
  3. Rieselhilfen, Trennmittel und Hefeextrakt sind Zusatzstoffe, ausgewiesen wird in der Regel aber nur Letzteres – „fragen Sie daher beim Kauf immer nach!“
  4. Kühle (= nicht beim Herd, nicht am Dunstabzug!), dunkle und trockene Lagerung ist wichtig zum Qualitätserhalt.
  5. Beherzigt man die ersten vier Punkte, ist auch ein überschrittenes Haltbarkeitsdatum kein Problem: Im Zweifel zählt der Geschmack. „Ist der noch gut, vergessen Sie das Datum auf der Verpackung!“

    www.altesgewuerzamt.de