STIL

Horologische Bastelstunde

Dass Uhrwerke wahre Wunderwerke der Handwerkskunst sind, hat sich wohl allgemein herumgesprochen. Wie groß die Meisterleistung tatsächlich ist, all die viele, feine Mechanik auf engstem Raum unterzubringen, lernt man erst am Gerät.

Text: Franz J. Sauer / Foto: Maks Richter

Ich betrachte mich als mitteltalentierten Grobmotoriker, was Handwerkliches betrifft. Immerhin, ich kann mit Schraubenziehern, Zangen, Schlüsseln (mit oder ohne Ratsche) und sogar Imbusschlüsseln etwas anfangen, das bisweilen am Ende Erfolge zeitigt. Sogar mit Stromkabeln kenn ich mich aus, so ungefähr. Und beim Auto habe ich früher hobbymäßig Stereoanlagen ­verbaut, bei deren Trägern manchmal zusätzlich elektrische Fensterheber installiert werden mussten – ganz einfach, weil für Fensterkurbeln kein Platz mehr war vor lauter Boxen. Und letztens hab ich ganz alleine bei ­einem iPhone 7 plus den Akku gewechselt und zwar so, dass es nachher noch eine ziemliche Weile lang funktioniert hätte, hätte ich es nicht nur einen Tag später am Autodach liegen gelassen. Aber das ist eine andere Geschichte …

Ganz wichtig für den Erfolg meiner Ausflüge ins Handwerkertum ist das Wienerische an der deutschen Sprache. In, sagen wir mal, Hamburg wäre ich ein nur halb so guter Mechaniker; Dort weiß man nämlich nicht, was der urwienerische Ausdruck „Quaan“ bedeutet. Und ohne „Quaan“ würde ich so gut wie nichts zu Ende bringen.

Die einzelnen ­Gewerke finden sogar noch auf kleinstem Raum Platz für Spiel rundherum, auf dass man sich nicht in die Quere kommt.

Womit gleichzeitig feststeht: Als Uhrmacher wäre ich völlig ungeeignet. Zwar hab ich ein ruhiges Händchen, aber mir fehlt die Geduld, wenn ein Stiftchen einfach nicht und nicht in die vorgesehene Führung will, die noch dazu ungefähr halb so groß ist wie der kleine dunkle Fleck auf dem Mittelfingernagel meiner rechten Hand, den ich seit einem kleinen Missgeschick vor auch schon 26 Jahren nicht und nicht wegkriege (man sieht ihn ganz gut auf dem Bild rechts, und nein er stinkt nicht und ist auch sonst nicht grauslich). Dazu kommt dann neuerdings noch eine Art Altersweitsichtigkeit, die man ­allerdings ganz gut mit dem Vergrößerungs-Okular kompensiert, das man sich als geübter Uhr­macher vors Auge spannt. Allerdings muss man dann auch dafür sorgen, das Werkstück auf ein paar hohe Unterlagen zu platzieren, weil einem beim ganz tief Runterbeugen hin zum Objekt rechtschaffen die Wampe im Wege sein kann. Und in meinem Fall ist.

Zwei Absatzspalten hier sind nun also verbraucht, und ich bin noch nicht einmal beim Zerlegen des bemitleidenswerten IWC-Kalibers angekommen, das wir hier unter Aufsicht von Uhrmachermeister Wolfgang Wimmer aus­einandernehmen und wieder zusammenbauen sollen. Wimmer gibt sich diesen Ausflug auf das Grazer Airbase-One-Gelände, wo Mercedes-Benz rund um die legendäre G-Klasse ein Experience-Center aufgebaut hat, quasi als Extra, er müsste nicht hier sein, tritt er doch just am Tage unseres Zusammentreffens seinen wohlverdienten Ruhestand an. Aber Wimmer ist Uhrmacher durch und durch, erklärt gerne, zeigt noch lieber und genießt sichtlich seine Berufung, die ein Leben im Dienste der Horologie und ihrer Instandhaltung zeitigte. Mit kundigem Blick erkennt er von der Weite, ob man gerade Mist baut und Zahnräder verdreht oder eh am richtigen Wege unterwegs ist. Besonders mag er die Eifrigen der Watchmaking-­Experience, die schon ein paar Schritte voraus sein wollen, dann etwas grundverkehrt wieder einbauen und letztlich von vorne anfangen müssen mit der ganzen Übung. Auch ich markiere gerne den Superschnellen, nur um zu lernen, dass wirklich jeder Millimeter innerhalb eines Armbanduhrwerks eine Rolle spielt und es sehr wohl einen großen Unterschied macht, ob man das eine, kleine Zahnrad richtig oder verkehrt herum wieder einbaut. Die Werke, die uns für unsere Übungen zur Verfügung stehen, sind freilich arme Säue. Zerkratzt wie nur und, an jeder Ecke einfallsreich gemartert, funktionieren sie trotzdem nach wie vor, ticken präzise und anstandslos vor sich hin, obwohl sie sich angesichts manch Möchtegern-Uhrmachers und seines Werkzeug-Handlings eher einen schnellen Tod durch Sprengung oder sonst wie ohne Verzögerung wünschen sollten.

Ein Handshake mit IWC-Marketingmann Alexander Schwenck. Im Hintergrund gut erkennbar: eine in Bernstein gegossene G-Klasse von Mercedes. Wehe, wenn sie losgelassen …

Der Zusammenhang zwischen IWC und Mercedes-AMG ist schnell hergestellt und liegt sicherlich nicht nur in der Person von Alexander Schwenck, dessen Karriere als einfallsreicher Marketingmann beide Unternehmen auf der Habenliste führt. Ebenso wie der kantige Benz, der heuer seinen 40er feierte, ein Garant für Robustheit und Geht-nicht-gibt’s-nicht in so gut wie jedem Gelände ist, gelten auch die Fliegeruhren von IWC als in gewisser Weise unverwüstlich und vor allem mit Kampfeslust gegenüber den Elementen ausgestattet. Das Spitfire-Kaliber versprüht auch von innen heraus eine ­eherne Robustheit, was den Kern, aber auch die Innereien betrifft. Führungen sind exakt im Mikrometerbereich, die einzelnen mechanischen Bereiche der Uhr sind klar voneinander abgegrenzt und leisten sich sogar auf geringstem Raum noch das entsprechende Spiel, um sich gegenseitig nicht in die Quere zu kommen. Als faszinierend kommen für mich auch die winzigen Werkzeuge des Uhrmachers mit ihren mikrometergenauen Fräsungen und der Robustheit des Materials rüber, weil man schließlich in einem Uhrwerk null herumnudeln kann, wenn ­irgendwas nicht genau passt oder eine Schraube irgendwie abgedreht wurde.

Der dunkle Fleck auf dem Mittelfingernagel meiner rechten Hand stammt von einem Unfall von vor 26 Jahren und geht nicht mehr weg. Hier hilft er ganz gut als Größenorientierung; Keines der Rädchen oder Spiralen, mit denen wir hier hantierten, ist etwa halb so groß wie mein liebgewonnener Fleck. Und in meinem Bart könnte man vermutlich alle Einzelteile des Kalibers verstecken.

Die Exaktheit der Werke, ihre Unverwundbarkeit Laien wie mir gegenüber und die Unaufgeregtheit, wie das geschundene Kaliber nach Spezialbehandlung durch mich ­wieder seine Arbeit tut, als wäre nie etwas geschehen, begeistert mich vor allem auf der Gefühlsebene. Um wirklich beurteilen zu können, inwieweit hier werksseitig noch alles in Ordnung ist, fehlen mir ungefähr 50 Dienstjahre eines Wolfgang Wimmer – wie überall macht auch im Bereich der Uhrmacherei Erfahrung eine Menge aus. Jedenfalls habe ich mir sofort ein kleines Uhrenwerkzeugset für daheim gekauft, als ich wieder in Wien war, eine Uhrmacherlinse mit Bügel dran hab ich mir auch schon bestellt. Noch genießt meine private Uhrensammlung die Ruhe vor dem Sturm, der ihr spätestens dann bevorsteht, wenn mein Okular eintrifft.