KULTUR

Who killed James Bond?

Nicht Auric Goldfinger, nicht Francisco Scaramanga. Nicht Karl Stromberg, nicht Hugo Drax. Nicht Kamal Khan, auch nicht Elektra King. Nicht mal Ernst Stavro ­Blofeld schaffte es bislang, James Bond zu töten. Es war der gut geölte Herrenwitz, der dem besten Mann beim MI6 den Garaus machte. Echt jetzt?

Text: Franz J. Sauer / Foto Header: Adobe Stock, alle anderen Fotos: Getty Images

Neuerdings zählt auch das Coronavirus zu den heißen Favoriten um den Mord an 007. Covid-19 klingt schließlich ähnlich spektakulär wie „Spectre“ oder all die anderen verschwörerischen Organisationen, die dem smartesten Agenten der Welt seit bald 60 Jahren regelmäßig ans Leder wollen. Letztlich zu Fall gebracht haben ihn allerdings weder all die Schurken noch ihre gefräßigen Handlanger mit ­Eisenzähnen oder Drahtarmen. Es war sein salopper Zugang zum Thema Machohumor, konkret zum gepflegt geölten Herrenwitz, der den Lebensnerv des weltbekanntesten Schwerenöters sukzessive abklemmte. Zwar bemüht sich Produzentin Barbara Broccoli in Interviews und Statements zu versichern, dass James Bond weiterhin ein Mann bleibe, anderes sei ja gar nicht vorstellbar.

Allerdings: 007 ist schon jetzt eine Frau, nachdem Bond ja offenbar erst aus dem Ruhestand zurückkehren muss, um die Handlung von „Keine Zeit zu sterben“ in Gang zu kriegen. Klar, das Business des MI6 muss weitergehen, auch wenn Bond in die Pense geht. Flugs war seine Dienstnummer also weiterge­geben. An die wunderschöne Schauspielerin Lashana Lynch. Erst als eine gewisse Welle der Enttäuschung durch die Reihen ging, kamen die erwähnten Versicherungen, dass Bond trotzdem und weiterhin, auch nach dem beschlossenen Abgang von ­Daniel Craig, ein Mann bliebe. Man müsse, so Broccoli laut der „Welt“, „keine männlichen Charaktere in Frauen verwandeln. Lasst uns lieber mehr weibliche Charaktere erschaffen.“

So weit, so beruhigend. Bloß: Warum darf James Bond dann kein männlicher Charakter bleiben?

Sir Roger Moore spielte James Bond sieben Mal und damit am öftesten. Ein Bild wie jenes hier gehörte dabei sozusagen zum Basis-Setting

Larmoyante Ausreden
Machen wir uns doch nichts vor. Spätestens seitdem Daniel ­Craig – ein großartiger Bond-Darsteller übrigens, wie ich finde – in „Casino Royale“ dem geschüttelten Wodka Martini abschwor, wirft er sukzessive alle männlichen Bond-Merkmale über Bord, zu denen der Connaisseur keineswegs die nach wie vor vorhandene Fähigkeit zählt, mit ­einem Schuss mindestens drei Feinde auszuschalten. Jeden schwer ­bewaffneten Gegner mit ein paar gezielten Handkanten­schlägen ins Jenseits befördern? Geschenkt! Der Lebensstil eines Mannes, dessen Schicksal (also: Beruf) ihn dazu verdammt, absolut beziehungsunfähig zu sein, was gleichzeitig die larmoyante Ausrede liefert, herrlich promiskuitiv durch die Weltgeschichte zu segeln: Das war das Tolle an Mr. Bond 007, das uns schwer in familiären Verpflichtungen steckende 08/15-Jungs stets faszinierte. Er ist charmant, gut aussehend, kriegt alle Frauen und musste noch nie auch nur eine der nämlichen dazu überreden, mit ihm Sex zu haben.

Dass er Ladys dieser Welt dennoch liebte und vergötterte, bewies schon ­allein das notorische Stilmittel, seine Überlegenheit dem jeweiligen Gangster gegenüber immer just dann fallen zu lassen, wenn dieser drohte, dem jeweiligen Bond-Girl was ganz Schreckliches anzutun. Der Preis dafür: gelegentliche gut geölte Herrenwitze oder zugegebenermaßen heute nicht mehr ganz zeitge­mäße Zoten gegenüber Zimmer­mädchen, Sekretärinnen oder Geheimdienstkolleginnen mit sexistischen Anspielungen – über die sich im jeweiligen Film übrigens keine der Adressatinnen ­jemals beschwerte.

Als die wunderbare Dame Judi Dench 1995 in „GoldenEye“ die Rolle der ­Geheimdienstchefin M übernahm, informierte sie Bond Pierce Brosnan relativ früh im Film darüber, dass sie ihn für ein „sexistisches Relikt längst vergangener Zeiten“ halte. Damit waren die Fronten erst mal abgesteckt, Bond durfte sich vorerst weiterhin wie Bond gerieren und er und M (von der wir später in „Ein Quantum Trost“ übrigens erfuhren, dass auch sie einen schnarchenden „alten weißen Mann“ daheim im Ehebett hatte, ganz wie Frau Newerkla von Tür 7) rauften sich irgendwie zusammen. Mythos gerettet. Bis dann eben Daniel Craig kam.

Wer sich mit den Bond-Machern, sprich also den Nach­fahren des legendären Albert ­„Cubby“ Broccoli, beschäftigt, weiß schon länger, dass es Tochter Barbara Broccoli ist, die sich im, sagen wir mal, Diskurs mit Halbbruder Michael G. Wilson schon seit gut 20 Jahren am allzu machohaften Image des Superagenten stößt. Ließ sie in „Gol­den­Eye“ noch M für sich deklamieren, so fand sie ab „Casino Royale“ in Bond Craig höchstpersönlich ihr Sprachrohr, wenn auch subtiler. Da verliebte sich dieser nämlich unsterblich in die schöne Vesper Lynd (Eva Green), nur um von dieser gleich mal saftig verraten zu werden. Trotzdem trauert er ihr nun seit vier Filmen trotzig hinterher, lässt sich nicht mal von einer Monica Bellucci („Spectre“) über seinen Verlust hinwegtrösten und setzt im ­romantischen Behufe, Vespers Tod zu rächen, sogar die Interessen des königlichen Vaterlandes leichtfertig aufs Spiel.

‘How the hell,’ Cubby said, ‘can you be dropping a fish when the car is waterproof?’ I said, ‘Cubby, it’s a movie.‘

Roger Moore im Interview mit GQ

Die Bond von seinem Schöpfer Ian Fleming (verstarb 1964) auf den Leib gezeichnete Attitüde, den vorzüglichen Prototyp jenes vergnüglichen Männertypus zu verkörpern, der anno Weinstein als „Old White Male“ auf gerümpfte Nasen trifft, durfte er zuletzt nur mehr darin ausleben, sich mit dem (übrigens genial von
Ben Whishaw verkörperten) Nerd-Millennial-Zeugwart Q nicht ganz so gut zu verstehen; Puncto Schwerenot ist er ja jetzt der guten Vesper treu. Gähn.

Eine legendäre Szene auds „Thunderball“: Als Fiona Volpe (Luciana Paluzzi) Bond Connery um „something to put on“ ersucht, reicht er ihr bloß ihre Sandalen. Heute wäre hierfür eine Triggerwarnung angezeigt. Und hier gehts zur Szene

Der neue Film
Nun kommt also „Keine Zeit zu sterben“ ein halbes Jahr später als (zugegeben: sehnlichst!) erwartet in die Kinos. Aber auch abseits des Coronavirus geriet die nämliche Produktion schon mehrmals ins Schwanken. Ganze Produktionsteams wurden umgemodelt oder ausgetauscht. Weder durfte der ursprünglich eingesetzte Regisseur Danny Boyle („Slumdog Millionaire“) auf seinen angestammten Drehbuch­autor John Hodge setzen, weshalb er letztlich das Handtuch warf, noch war die Buchüberarbeitung der Bond-Routiniers Neal Purvis und Robert Wade scheinbar genug cozy für die Produzenten. Erst die Verpflichtung von Phoebe Waller-Bridge hielt letztlich, vielleicht weil diese gleich zu Beginn ihrer Arbeit festlegte, „Bond-Girls“, künftig nurmehr „Bond-Women“ nennen zu wollen.

Das war das Tolle an Mr. Bond 007, das uns schwer in familiären Verpflichtungen steckende 08/15-Jungs stets faszinierte. Er ist charmant, gut aussehend, kriegt alle Frauen und musste noch nie auch nur eine der nämlichen dazu überreden, mit ihm Sex zu haben.

Dass der neue Regisseur Cary Joji Fukunaga sich an gewisse Vorgaben bei der Inszenierung des Plots zu halten hatte, liegt auf der Hand. Alles dem Zwecke dienend, dass Bond „ein jüngeres Zielpublikum“ ansprechen solle und sich deshalb eben auch mit der #MeToo-Problematik auseinanderzusetzen habe. Auch beim Casting scheint PC-ness eine prioritäre Rolle zu spielen. So stimmte der großartige Rami Malek nur zu, den neuen Bösewicht Safin zu spielen, wenn dessen Herkunft keine Religion oder Ideologie widerspiegele. ­Dafür darf er mit biologischen Kampfmitteln hantieren, Massenmord an sich ist also okay. Aber bitte kein ideologischer.

In Blofelds Berg-Sanatorium trägt Bond George Lazenby auch mal Röckchen.

Man kann sich als Bond-Fan zusammenreimen, was einen im erstmals auf drei Stunden Spielzeit angewachsenen kommenden 007-Streifen erwartet. Weil Léa Seydoux’ Madeleine Swann in ihrem zweiten Bond-Auftritt den armen James auch rechtschaffen verrät (derlei lässt der offizielle Trailer erahnen), wird er ihr wohl ähnlich tief verfallen wie der guten Vesper zuvor, die ja ­bekanntlich von Madeleines ­Vater umgebracht wurde. Auch Christoph Waltz, dessen Ernst Stavro Blofeld nach mehr­maligem Versterben zuvor in „­Spectre“ continuitymäßig eher holprig nicht nur wiederauferstand, sondern gleich zu Bonds Stiefbruder avancierte, taucht nochmal auf, um den seelengeschundenen James darauf hinzuweisen, dass Frauen seine eigentliche Achillesferse seien (merke: Nur der Oberbösewicht darf so was Oberböses sagen. Möglicherweise wird ja vor der bewussten Szene im Film eine Triggerwarnung eingeblendet).

Fazit: Bond rettet voller romantischer Wut im Bauch und im Alleingang, nein, nicht die Welt, sondern vor allem Léa, wenigstens darf er dabei ein paar Aston Martins steuern, zahlreiche (böse) Land Rover Defenders zerstören, ein paar Armeen an Bösewichten killen und die meisten von Qs Gadgets schrotten. Am Ende ­heiraten James und Madeleine, nur heißt er nachher nicht mehr Bond, sondern Swann. Und wenn sie nicht gestorben sind …

Gender-Bending a la James Bond: Caroline „Tula“ Cossery, zu Weltruhm gekommenes Poolgirl in „For Your Eyes Only“ war ursprünglich als Barry Cossey zur Welt gekommen.

Märchenhafte Märchen
Sir Roger Moore gab einst in einem Interview mit der britischen „GQ“ eine Anekdote von den Dreharbeiten zu „The Spy Who Loved Me“ zum Besten. Als er da den legendären U-Boot-Lotus aus dem Meer auf den Strand fährt, wirft er gaghalber einen toten Fisch aus dem Fenster, eine legendäre Szene, jedem bekennenden „Bondisten“ bekannt. Produzent Albert Broccoli, damals auf Setbesuch, hatte Bedenken, wie Moore beschreibt: “‘How the hell,’ Cubby said, ‘can you be dropping a fish when the car is waterproof?’ I said, ‘Cubby, it’s a movie.‘” James Bond ist die erfolgreichste Filmserie, die es je gab. Die Einspielzahlen sind fabulös, die Product Placements gewinnbringend, und wenig andere fiktive Figuren der Krimiwelt tragen ein derart schlagkräftiges Image durch Werbekampagnen in alle Teile der Erde wie der jeweilige Bond-Darsteller. Was ob solch märchenhafter Erfolgsgeschichten scheinbar in Vergessenheit gerät, ist, dass sie eben Märchen sind. Weder gibt es einen echten James Bond, noch können Autos schwimmen, Uhren schießen oder Kugelschreiber explodieren.

Folgerichtig ist ein smarter, fescher, durchtrainierter wie altersloser Alleskönner, der nicht nur im Tom-Ford-Anzug toll aussieht, immer im Casino oder auf sonstigen Spielbrettern gewinnt, die tollsten Autos mit den ärgsten Umbauten immer nur höchstens eine Fahrt lang fährt, weil er sie dann restlos vernichtet, aber auch in Flugzeuge zumeist erst in der Luft einsteigt, bevor er diese kurz vor deren Absturz wieder durch die Ladeklappe verlässt, alles andere als real. Was dann vermutlich auch für dessen famose Eigenschaft gilt, alle, alle, alle Frauen, die selbstredend auch alle wie Supermodels aussehen, mit einem Fingerschnippen oder noch weniger ins nächste Bett zu ­bekommen, zwecks Auslebens seiner ruchlosen Promiskuität.

Also hat auch niemand jemals wirklich Herrenwitze gemacht, die jemanden hätten verletzten können, „die“ es letztlich auch nicht gab. Hätte ein James-Bond-Film von Anfang an erzieherische Aufgaben zu gewärtigen gehabt, der durchschlagende Erfolg wäre wohl eher ausgeblieben. Aber möglicherweise leben wir ja heute wirklich in einer Welt, die nur funktionieren kann, wenn man den dümmlichen Rezipienten von Kinofilmen mitteilt, dass sie sich im echten Leben ­gefälligst zu benehmen haben.

Abermals Connery, abermals im Infight. Nochmals mit Honor Blackman.

Eine Umfrage im privaten Umfeld des Autors, bei der dieser die Befragten mit der Annahme konfrontierte, James Bond würde im neuen Film wohl sterben, um einer weiblichen Agentin Platz zu machen, sorgte einhellig für ungläubige Entrüstung. Tenor: „Dann wäre der Schmäh tot.“ Die Befragten waren ausschließlich Frauen. Damen, die stolz ihren gesunden Feminismus hochhalten und bei Bedarf verteidigen. Im echten Leben. Im Kino wollen sie sich auch bloß unterhalten lassen. Ohne Anspruch auf Realitätsnähe.