AKUT
No Future
Shooter-Games machen einen Großteil der jeweiligen Kronjuwelen von Gamesherstellern aus. Erstaunlich wenige Settings davon befinden sich im Hier und Jetzt, viel lohnender erscheint Entwicklern wie Zockern eine nicht so rosige Zukunftsvision als Spiel-Prämisse.
Text: Markus Höller / Fotos: Hersteller
Pädagogische Bedenken und Schwarzmalerei von übersensiblen Sittenwächtern mal beiseite gelassen, sind Shooter-Games im Großen und Ganzen technische Wunderwerke und der Technologietreiber schlechthin. Grafikengine, Leveldesign, Handlung, Backstory und zunehmend auch Charakterentwicklung müssen mittlerweile bei verwöhnten Gamern höchsten Ansprüchen genügen. Und da sich in der Materie reale Szenarien nur bedingt originell gestalten lassen – man beachte das nachlassende Interesse an Weltkrieg-Shootern – weichen die Entwickler seit jeher gerne auf fiktives Geschehen aus. The future is unwritten, sagt man ja, und genau diesen Umstand machen sich die Softwaregiganten zunutze, um mit möglichst originellen Ideen Zocker zu fesseln und idealerweise gleich in Folge für ein ganzes Franchise zu binden.
Inspiration dafür gibt es aus der Literatur und Filmwelt genug, seien es Klassiker wie die „Mad Max“-Filme oder Zombieslasher. Die Werke von Jules Verne und ganz besonders Philip K. Dick sowieso. In dieser Melange aus dem popkulturellen Kollektivgedächtnis lässt sich hervorragend nach interessanten Ideen fischen – die Ergebnisse sind oft spektakulär.
Zum Beispiel in der seit ewig bestehenden, immer wieder umstrittenen „Wolfenstein“-Reihe. Anfangs noch ein simpler Shooter, wo im entsprechenden zeitlichen Kontext Nazis umgelegt werden müssen, bewegt man sich seit dem Reboot 2014 nun in einer alternativen Timeline, in der der Krieg nicht ganz so gut ausging (vergleiche auch die Amazon-Streamingserie „The Man in the High Castle“). Der Reiz des Games besteht also nicht mehr darin, den Krieg zu gewinnen, sondern die völlig neuen Machtverhältnisse zu kippen.
Das meiststrapazierte Setting jedoch ist immer eine nahe oder ferne Zukunft, in der die Welt nach einer globalen Katastrophe nur noch eine trostlose, anarchische und potenziell lebensgefährliche Wüstenei ist. Dort muss sich der Held bzw. die Heldin auf eine bestimmte Mission begeben. Einstweilen trachten permanent ungute Umwelteinflüsse (verstrahlte Gegend, marode Infrastruktur, Pilzsporen usw.) oder eben eine übermächtige Armee und diverse falsche Fuffziger unter den verbliebenen Menschen nach Leben und Ausrüstung.
Da unter solchen Voraussetzungen den Gamedesignern praktisch keine Grenzen gesetzt sind, macht es als Zocker extrem viel Spaß, diese Welten zu erkunden. Denn egal, ob Open World (also ein riesiges Areal, in dem die zu erreichenden Ziele im Spiel nicht einem Script folgen) oder linearer Shooter, die grundsätzliche Mechanik ist immer die gleiche. Man legt sich mit Gegnern an, erfährt immer mehr Details der Handlung, rüstet auf, muss sich in Bosskämpfen beweisen und Rätsel lösen, etc. pp. Das kann schnell dröge werden, wenn nicht Leveldesign, Charaktere und sogar Waffen und Fahrzeuge bis ins kleinste Detail durchdacht sind. Das kann auf gewisse nostalgisch-humorvolle Art geschehen wie in der „Fallout“-Reihe, die witzig mit der Ästhetik der 50er Jahre spielt, allerdings nach einem verheerenden thermonuklearen Weltkrieg. Oder höchst originell mit einem entfernt „Planet der Affen“ entlehnten Setting, in dem die herrschende Spezies auf dem Planeten allerdings bionische Dinosaurier und andere Wildtiere sind, wie im preisgekrönten „Horizon Zero Dawn“. Apropos preisgekrönt: Die aktuelle Speerspitze des Genres, aber auch in technischer Hinsicht der auslaufenden Konsolengeneration, ist das 2020 erschienene „The Last Of Us 2“. Die Story rund um Pilzsporen, die Menschen grausam mutieren lassen, zeigt eine völlig zusammengebrochene Zivilisation und desolate Infrastruktur. Trotz aller Not existieren immer noch starke menschliche Gefühle wie Liebe, Loyalität und Mut, aber auch Gier, Hass und falscher Stolz, die dem Gamer vor der imposanten Kulisse einer kollabierten Gesellschaft emotional einiges abverlangen.
Endzeitspiele als Games-Pendant zum Katastrophenfilm öffnen ein Fenster zu einer fiktiven Welt, in der den Protagonisten und den ihn steuernden Gamer das Gleiche antreibt: Hoffnung. Die Spielfigur will überleben und am Ende in eine freundlichere Zukunft starten; der Spieler will sich nach zig Stunden von mitunter forderndem Gameplay, bleibenden Eindrücken und viel Eskapismus wieder in seiner, der echten, Welt auf der Couch wiederfinden und froh sein, dass es da draußen nicht so ist wie im Spiel.