AKUT

Altruistisches Gedankengut

Zweimal im Monat gehe ich in den Bio Supermarkt an der Ecke. Lebensmittel kaufe ich dort keine. Ich schaue nur. Nicht, dass ich was gegen Bio hätte, ganz im Gegenteil, das ist es nicht, aber viel mehr interessieren mich die Kunden da, die ihr Lebensmittelshopping mit der Ernsthaftigkeit einer Dissertation in Biochemie gleichsetzen. Essen ist Religion, und der Planet muss schließlich auch gerettet werden. Dieser Prozess benötigt Zeit und einiges an Denkleistung. Da steht man also schon mal 20 Minuten mit beseelt verantwortungsvollem Gesichtsausdruck vor den biologischen Quinoa Leinsamen Mischungen (ab € 7,99) aus Marokko und sinniert, mit welchem der gesund aussehenden Päckchen man denn heute die Schuld der Welt auf sich nehmen darf. Unserer Erde zu helfen steht dabei aber gar nicht so im Vordergrund, das würde ja altruistisches Gedankengut vorausschicken und einen Blick hinter die Fassade implizieren. Vielmehr geht es darum sich selbst den Arsch zu retten, denn wenn das mit der Zerstörung des Planeten in dem Tempo weitergeht, sind wir alle bald an selbigem.

Sich selbst das Gefühl zu geben, mit einem elitären Lebensmitteleinkauf, den sich 90% der Weltbevölkerung gar nicht leisten könnten, die Welt Stückchen für Stückchen zu einem besseren Ort zu machen, reicht völlig aus, um sich richtig dolle gut zu fühlen. Man hat mal wieder Verantwortung für alle übernommen und befindet sich auf dem richtigen Weg, dessen Ziel es ist, Mutter Erde zu heilen. Heilen tut man damit in erster Linie sich selbst und sein schlechtes Gewissen und in zweiter Instanz die Finanzen der Geschäftsleitung, während man sich selbst ein Loch in den Geldbeutel fräst. Dem Planeten ist diese Spitze an Borniertheit nämlich ziemlich wurscht. Die Quinoa Leinsamen Mischungen, eingeflogen aus Marokko, gehen ihm schlichtweg am Allerwertesten vorbei. Aber es lebt sich nun mal leichter in einem polierten Außen, bequem ist es, seinem Konsum einen so individuell nachhaltigen Glanz zu verleihen und mit so verantwortungsbewußtem Shopping schlicht keine Verantwortung mehr für irgendwas anderes übernehmen zu müssen. Man hat sich schließlich freigekauft und gehört zu den Guten. Zu den Bösen gehört natürlich der Amazon Prime Kunde, der auch unaufhörlich darauf aufmerksam gemacht wird, wie rücksichtslos und wenig nachhaltig er sich verhält. Made in China? Pfui, sicher nicht! Man konsumiert schließlich nicht einfach nur, man setzt öffentliche Statements und postet diese dann, mit einem aus einer chinesischer Fabrik stammenden Iphone, in einer gefilterten Insta Story. Es könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht. Hashtag Foodporn.


Jacqueline Dolati
ist Interior- und Set­designerin, erfahren in den Bereichen Shopping Experience Creation, Brand Consulting, Marken­inszenierung im Raum und Healing Environ­ment Design. Sie ­arbeitet für inter­nationale Kunden und lebt in Wien und Zürich.