Film & Serie

Oscars, so mühsam

Markus Höller

Oscars 2022: 38 Spielfilme und jede Menge Unzulänglichkeiten, die einem Filmgeek das Leben schwer machen. Ich habe Sie mir trotzdem angesehen. Eine Art Abgesang.

Text: Markus Höller / Foto Header: Pixabay

Es ist wieder mal so weit, in der Nacht von Sonntag auf Montag, direkt nach der Zeitumstellung, werden in Hollywood die Oscars verliehen. Im Jahr Zwei der Pandemie wirkt sich diese immer noch drastisch auf das Filmgeschäft aus, es gab und gibt Verschiebungen sowie einen, nun ja, auch generell etwas durchwachsenen Output. Nicht jeder Produzent hat von leeren Straßen beim Dreh profitiert wie etwa Michael Bay für die Dreharbeiten zum aktuellen Action-Spektakel „Ambulance“. Viel mehr haben die Studios durch deutliche Einbußen an den Kinokassen und eine immer schneller drehende Nachveröffentlichung auf Streaming-Diensten substanzielle Verluste zu beklagen – sagen sie. Denn dass es trotz schwieriger Verhältnisse auch anders geht, hat der letzte Ableger des MCU deutlich bewiesen: „Spider-Man: No Way Home“ ist mit einem globalen Einspielergebnis von knapp 1,9 Milliarden Dollar nicht nur Knüller des Jahres, sondern auch der sechsterfolgreichste Film überhaupt. Und da kommen wir auch gleich zum Pudels Kern der Oscars 2022: wie kann es sein, dass ein so erfolgreicher, von Publikum und Kritikern zu Recht gleichermaßen geliebter Film von der Academy mit nur einer Nominierung bedacht wird? In der vergleichsweise leichtgewichtigen Kategorie „Visual Effects“, obgleich dieses Jahr gleich zehn Streifen als „Best Picture“ nominiert sind?

Ganz klar, die Academy ist komplett out of touch mit dem Publikum und suhlt sich, überaltert, träge und geldgierig, im Glanz der alten Zeiten. Und setzt zu den teilweise fragwürdigen Nominierungen noch eins drauf: aus Kostengründen wird die von ABC übertragene Liveübertragung drastisch gekürzt. Acht Kategorien werden also nicht mehr vorgestellt und live verliehen, sondern vorab aufgezeichnet und dann eingespielt. Es handelt sich um die Kategorien “Animated Short Film”, “Documentary Short Subject”, “Film Editing”, “Live Action Short Film”, “Makeup and Hairstyling”, “Original Score”, “Production Design” und “Sound”. Dies hat auch in der Branche zu heftigen Protesten und Kopfschütteln geführt; wenngleich man eventuell die nur am Rand interessante Kurzfilm-Disziplin durchaus einschränken könnte, ist die Degradierung essenzieller Handwerke wie „Schnitt“ und „Ton“ unverzeihlich. Und letztlich wirkt die Bestellung von gleich drei Hosts, die sowohl als Schauspielerinnen als auch Comedians eher in der zweiten Reihe spielen, eher ärmlich. Regina Hall, Amy Schumer und Wanda Sykes können zusammen nicht so viel Starpower und Esprit aufbringen wie ein Billy Crystal noch vor zehn Jahren. Ok, wir hatten die letzten drei Jahre gar keinen Host, aber da wäre schon mehr drin gewesen. Aber genug gesudert, sehen wir uns die Kategorien und die voraussichtlichen Gewinner an!


Bester Film
Zehn Filme sind dieses Jahr nominiert, und die Auswahl ist eher schwierig. Insofern, weil es dieses Jahr meiner Meinung nach keinen Film gibt, der wirklich alle anderen überragt. Viele auf der Liste hätten das Potenzial dazu gehabt, scheiterten aber oft an einigen Unzulänglichkeiten, wie „Don’t Look Up“, „Nightmare Alley“ oder „CODA“. „Dune“, „West Side Story“ oder „Belfast“ bringen trotz aller Brillanz in der Produktion erzähltechnisch keinen Mehrwert, gutes Kino wie „King Richard“ und „Drive My Car“ wirkt in dieser Kategorie dennoch deplaziert. Und mein persönliches Herzibinki des Jahres, „Licorice Pizza“, hat hier auch mit den wichtigen Nominierungen „Bestes Originaldrehbuch“ und „Beste Regie“ im Rücken leider nur bedingt Chancen. Der Goldonkel für den besten Film wird wohl oder übel an den schon seit Monaten hochgejazzten und mit gleich zwölf Nominierungen hoffnungslos überbewerteten „The Power of the Dog“ gehen. Warum die Academy an dem extrem drögen, zweistündigen Westerndrama so einen Narren gefressen hat? Man weiß es nicht. Wobei ich individuelle Leistungen der Beteiligten nicht schmälern mag, dazu später mehr.

The Power of the Dog (© Netflix)

Beste Regie
Eine Kategorie, wo ungeachtet der Filme an sich nur absolute Schwergewichte und wahre MeisterInnen ihres Fachs nominiert sind. Das macht die Auswahl ziemlich schwer. Alle Nominierten mit Ausnahme von Ryusuke Hamaguchi wurden schon mal bei den Oscars als „Best Director“ nominiert oder ausgezeichnet. Buchmacher und ich sind sich einig: Jane Campion, eine echte Altmeisterin und als bisher einzige Frau im Regiesessel bereits zum zweiten Mal nominiert, wird genau deswegen den Preis einheimsen. Und als heimliche Wiedergutmachung für den Leider-Nicht-Oscar für „Das Piano“ seinerzeit, aber wer hätte bitte gegen „Schindler’s Liste“ eine Chance gehabt? Jedenfalls: handwerklich gibt es an „The Power of the Dog“ wenig zu meckern, aber das trifft auf Kenneth Brannaghs „Belfast“, Hamaguchis „Drive My Car“, Spielbergs „West Side Story“ und Paul Thomas Andersons „Licorice Pizza“ auch zu.


Beste männliche Hauptrolle
Hier habe ich mich letztes Jahr mit meiner Voraussage ordentlich verschätzt. Dass Sir Anthony Hopkins, durchaus verdient, das Rennen gegen den verstorbenen Patrick Boseman machte – schau einer an. Trotzdem bin ich dieses Jahr felsenfest von einem Sieger überzeugt: Will Smith wird in seinem dritten Anlauf als „Bester Hauptdarsteller“ endlich den Oscar holen. Nach seinen starken, aber unbelohnten Leistungen in „Ali“ und „Das Streben nach Glück“ muss es diesmal für die brillante Darstellung des Richard Williams in „King Richard“ passen. Zumal auch ungeachtet der individuellen Klasse die Nominierungen von Xavier Bardem in „Being the Ricardos“, Benedict Cumberbatch in „The Power of the Dog” oder Denzel Washington in „The Tragedy of Macbeth” eher schrullig wirken – bei weitem nicht die besten Performances im Oeuvre der jeweiligen Herren. Ein wenig leid tut es mir für Andrew Garfield, der in „tick, tick…BOOM!“ wirklich oscarreif alles gibt. Aber in dem Fall sollte und muss er dem immer noch freshen Prince den Vortritt lassen.

Will Smith (© Telepool)

Beste weibliche Hauptrolle
Wie schon bei der Regie eine Aufstellung an echten, pardon meine Damen, Schwergewichten. Die Kidman, die Cruz, die Colman und die Chastain – allesamt schon Oscar-Nominierte oder -Gewinnerinnen. Und dann haben wir da noch Kristen Stewart, die lange Zeit wegen ihres Karrierestarts in der Teenie-Vampirsaga „Twilight“ als Leichtgewicht belächelt wurde. Sich aber wie ihr damaliger Filmpartner Robert Pattinson völlig davon gelöst hat und nun offensichtlich ernst genommen wird. Ihre nuancierte Darstellung der Lady Di in „Spencer“ ist famos und mein heimlicher Favorit, aber gewinnen wird vermutlich die larger-than-life Verkörperung von Jessica Chastain in „The Eyes of Tammy Faye“. Dagegen haben auch das sensible Spiel von Olivia Coleman in „The Lost Daughter“, die souveräne Penelope Cruz in „Parallel Mothers“ und Nicole Kidman in „Being the Ricardos“ dann doch zu wenig Bravado. In dieser Kategorie würde ich aber nicht wetten, hier ist eine Überraschung drin!

Spencer (© Claire Mathon, Polyfilm)

Beste männliche Nebenrolle
Diese Kategorie bleibt so schräg wie letztes Jahr, als gleich zwei Schauspieler aus „Judas and the Black Messiah“ nominiert waren (aber keiner für die Hauptrolle). Heuer haben wir wieder zwei Männer aus demselben Film nominiert, und zwar – Überraschung – „The Power of the Dog“. Der sehr junge, aber bestechende Kodi Smit-McPhee scheint auf den ersten Blick auch Favorit zu sein, unter anderem auch, weil der sonst souveräne Jesse Plemons in dem Western eher blass bleibt. Und warum man Ciarán Hinds in „Belfast“ und J.K. Simmons in „Being the Ricardos“ nominiert hat, erschließt sich auch nicht auf den zweiten Blick. Zu beliebig, zu wenig im Gedächtnis bleibend wirkt hier das Spiel. Aber der für mich immer schon heimliche und mittlerweile auch von den Offiziellen hoch gehandelte Troy Kotsur scheint für seine Rolle in „CODA“ nicht nur eine faire Wahl, sondern auch ein längst überfälliges Novum für eine Oscar-Auszeichnung zu sein: noch nie wurde ein gehörloser Schauspieler nominiert, geschweige denn ausgezeichnet!


Beste weibliche Nebenrolle
Kopfschütteln hier. Kirsten Dunst mit ihrer unsagbar nervigen, weinerlichen Rolle in „The Power of the Dog“ hat hier nichts verloren. Ebenso wenig wie Dame Judy Dench in „Belfast“ oder Jessie Buckley mit verschwindend geringer Screentime in „The Lost Daughter“. Aunjanue Ellis als starke Partnerin von Will Smith in „King Richard“, ja klar. Aber alles chancenlos gegen die Wucht von Film-Neuling Ariana DeBose. Unter der gekonnten Regie von Altmeister Spielberg entfesselt sie in der Rolle der Anita in „West Side Story“ ein Feuerwerk an Schauspiel, Gesang und Tanz, das allen anderen in dem Musical die Show stiehlt. Eine furiose Performance, die on par mit der Leistung der ebenfalls Oscar-vergoldeten Rita Moreno im Original von vor 60 Jahren ist. Chapeau!


Bestes Originaldrehbuch
Das läuft auf einen extrem schwer vorauszusagenden Zweikampf hinaus. In einer Ecke der schon insgesamt acht Mal (davon zweimal fürs Script) nominierte, aber immer leer ausgegangene Paul Thomas Anderson für den allerliebsten „Licorice Pizza“. In der anderen Ecke Universalkönner Kenneth Branagh, fünf bisherige Nominierungen schwer und ebenfalls noch Oscar-los, für sein irisches Herzensprojekt „Belfast“. Ich trau mich hier keine Prognose abgeben, bin im Herzen aber Team PTA. Ach ja, nominiert sind auch „Don’t Look Up“, „King Richard“ und der auch in der Kategorie „Best International“ nominierte norwegische Film „The Worst Person in the World“. Auch gut, können aber alle drei da nicht mitmischen. Zumal „King Richard“ zu sehr straightes Biopic und die anderen beiden trotz aller Originalität dann doch einige Schwächen in der Stringenz aufweisen.


Bestes adaptiertes Drehbuch
„The Power of the Dog“ (überbewertet, falls ich es noch nicht erwähnt habe) wird häufig favorisiert, und ich kann beim besten Willen nicht erkennen, warum. Die Handlung ist beliebig, die Charaktere eindimensional und klischeehaft, und jedes „überraschende“ Element bis hin zum Ende ist auch für Nicht-Cineasten schon auf Kilometer voraussagbar. Alle anderen wären da angebrachter, und das meine ich in keiner besonderen Reihung. „CODA“, „Drive My Car“, „Dune“ oder „The Lost Daughter“ – alles besser und spannender als die unfassbar zähe Westernsaga von Jane Campion. In dem Sinne: wenn ich mein Hufeisen auf einen Film werfen soll, dann „Drive My Car“.


Bester Internationaler Film
Es gibt eine zwar nicht häufig vorkommende, aber doch immer geltende Faustregel in der Disziplin „Bester Internationaler Film“: wenn der Film nicht nur hier, sondern auch für den Big Mac „Bester Film“ nominiert ist, gewinnt er logischerweise auch die Spezialwertung. Macht Sinn, oder? Diesfalls völlig verdient der exzentrische, komplexe „Drive My Car“ aus Japan. Schönes Auto, der rote Saab 900 Turbo, und wunderschöner Film. Im Gesamtpaket einfach interessanter als „The Worst Person in the World“, der trotz aller skandinavischer Schrägheit unterm Strich doch nur Millennial-Gesudere ist. „The Hand of God“, jo eh, aber etwas zu zahm geraten, ganz im Gegensatz zum mutigen „Flee“ wie schon oben erwähnt. Aber, Herrschaften. Bhutan! Das winzige Land in den Bergen, wo es überhaupt erst seit 1999(!) Fernsehen gibt, liefert mit „Lunana: A Yak in the Classroom“ einen bemerkenswerten Film ab, der die internationale Konkurrenz nicht scheuen muss. Bravo Bravo!


Bester Animationsfilm
Ahja, die Disney-Heimspiele. Die Altmeister mit den Mäuseohren haben hier de facto gleich drei Filme im Rennen, was für den Mitbewerb ein bissl blöd ist. „Encanto“ und „Raya und der letzte Drache“ aus den Disney-Studios und „Luca“ aus dem Hause Pixar wissen nämlich genau, welche Knöpfe man bei Animation drücken muss, no na. Die Nase vorn und prognostiziert auch in Gold hat aber der quirlige „Encanto“, der Disney-typisch wieder mal schwierige Themen (Familie!) perfekt aufarbeitet. „Raya und der letzte Drache“ und „Luca“ sind da ein wenig zu experimentell in einem eher konservativen Fach. Das gilt auch für die superschräge und sympathische Netflix-Produktion „The Mitchells vs. the Machines“, dessen perfekt auf Millennials und Zoomer abgestimmter Stil und Humor bei den alten Knackern in Hollywood vermutlich eher abperlt. Aber: eine ganz große Verbeugung vor dem dänischen, auch in „Best International“ und „Best Documentary Feature“ nominierten, Film „Flee“. Eine Doku über einen schwulen afghanischen Flüchtling animiert umzusetzen, das ist schon ganz groß. Für die Academy wahrscheinlich zu sperrig, aber im Licht der Ukrainekrise vielleicht ein Überraschungserfolg!


Bester Dokumentarfilm
Um gleich mal bei „Flee“ zu bleiben: vielleicht die einzige Doku, die hier mitmischen kann. Ansonsten ist das für mich eine klare Sache zu Gunsten von „Summer of Soul“. Diese Doku über das mehr als 50 Jahre völlig in Vergessenheit geratene 1969 Harlem Cultural Festival ist nicht nur ein wichtiges Sittenbild der späten 60er Jahre, sondern auch ein musikalisches Gustostückerl. „Attica“ rund um die beschämenden Ereignisse der Gefängnisrevolte ebendort ist als Doku zu geradeaus, „Ascension“ ist als durchgehende und unkommentierter Beitrag über das wirtschaftliche und soziale China zu wenig Doku und zu sehr Collage. Anmerkung: der indische Beitrag „Writing With FIre“ war trotz aller legalen (und illegalen) Bemühungen nicht aufzutreiben, ich muss ihn daher beschämt als ungesehen stehen lassen.


Beste Kamera
Knifflige Sache, und irgendwie auch nicht. Mit Dan Laustsen bei „Nightmare Alley“, Janusz Kaminski für „West Side Story“ und Bruno Delbonnel für „The Tragedy of Macbeth“ stehen hier absolute Meister mit gewohnt umwerfender und preiswürdiger Bildsprache am Start. „The Power of the Dog“ mit der vergleichsweise frischen Ari Wegner hinter der Kamera weiß unabhängig vom schwachen Plot zumindest visuell durchaus zu überzeugen, aber es ist am Ende „Dune“, der im Kodak Theatre siegreich sein wird. Das Duo Denis Villeneuve im Regiesessel und Roger Deakins am Okular hat uns bisher schon vier Oscar-nominierte (inkl. Sieg für „Blade Runner 2049“) Filme beschert, die auf der großen Leinwand schlicht atemberaubend sind. „Dune“ macht da keine Ausnahme. Es haut einen um und macht richtig geil auf den zweiten Teil.


Beste visuelle Effekte
Angesichts der meisten Nominierten hier muss man sich schon fragen, warum diese technische Kategorie in der Primetime bleiben darf, und beispielsweise „Schnitt“ nicht. Was an dem äußerst mediokren „No Time to Die“ einen Spezialeffekt-Oscar verdient hat, hab ich gefragt? Oder an der (plotbedingten) CGI-Orgie von „Free Guy“? Detto: warum werden mit „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings” und “Spider-Man: No Way Home” gleich zwei MCU-Filme nominiert, die ohnehin zu 75% in der Green Box entstehen? Sollte nicht die Auszeichnung an den Film gehen, der hauptsächlich real gedreht wird und erst durch die Verschmelzung von practical effects und CGI eine visuell außergewöhnliche Erfahrung ergibt? Richtig, „Dune“ macht das. Und zwar meisterhaft. Oscar, bitte, danke.


Bestes Kostümdesign
Es gibt da einen Film, der sich um die Modebesessenheit einer jungen Dame dreht, die darob überschnappt und zur Bösewichtin wird. Viele Kostüme also. Aufgelegte Sache daher für „Cruella“, das Realfilm-Disney-Prequel zu „101 Dalmatiner“. „Dune“ kann im Vergleich zur 84er-Version von Lynch hier mit wenig Innovation aufwarten, ebenso wie die Neuinterpretation von „West Side Story“. „Cyrano“, naja, da gab es auch schon aufregendere Mäntel und Degen. „Nightmare Alley“ trifft zwar punkto Detailtreue voll ins Film Noir-Schwarze, aber eben nicht so punktgenau und over the top wie „Cruella“. Fakt.


Bester Song
Ungeachtet der Großartigkeit des Bond-Titelsongs von „No Time To Die“ vom fabulösen Duo Billie Eilish und ihrem Bruder Finneas O’Connell, hat Disney hier einen taktischen Fehler gemacht, der die wenigen Chancen gegen die Briten auf ein Goldmännchen zunichte macht. Haben die doch tatsächlich aus „Encanto“ den Song „Dos Oroguitas“ nominiert und nicht das ungleich bessere und populäre „We Don’t Talk About Bruno“. Dummer Fehler. „Be Alive“ aus „King Richard“, „Down To Joy“ aus “Belfast” und “Somehow You Do” aus dem sträflich missachteten “Four Good Days” hatten hier ohnehin nie eine Chance.

Billie Eilish (© YouTube)


Die Geächteten
Nachfolgend nun die Spielfilm-Kategorien, die wie schon eingangs erwähnt in einem Anfall völliger Ignoranz und nicht nur Publikums-, sondern auch fachlicher Ferne ins Vorprogramm der Oscars verbannt wurden. Gerade hier gibt es spektakuläre Leistungen!



Beste Filmmusik
Ich bin kein Fan von Hans Zimmer, aber wenn sein typisches Gewummer und Geknarze jemals gepasst hat, dann bei „Dune“. Sitzt auf der cineastischen Wucht des Epos wie ein Handschuh, daher verdient. „The Power of the Dog“, „Don’t Look Up“, „Encanto” und “Parallel Mothers” machen punkto Musikuntermalung zwar auch wenig falsch, kriegen aber nicht die Atmosphäre und Dichte so eindringlich in den Gehörgang, wie es Zimmer gelingt. Das geht übrigens gleich Hand in Hand mit unserer nächsten Kategorie.


Bester Sound
„Dune“, was sonst? Auch wenn der actionlastige Bond „No Time to Die“ es bis zum Finale ganz gut krachen lässt und Spielbergs „West Side Story“ die unsterbliche Musik von Leonard Bernstein kristallklar mit dem Bild vereint, da kommen sie nicht mit. Wer sich im IMAX die geradezu körperliche Präsenz der vielen Sounds und Ton-Effekte von „Dune“ angedeihen ließ, kennt sich aus. Sorry „Belfast“ auch und not sorry „The Power of the Dog” – auf Arrakis holt dieses Jahr der Bartel den Most. In Ton-Krügen, haha.


Bestes Makeup und Haare
Gleich dieses Jahr ist die Entscheidung, eine Kategorie wie „Makeup & Hairstyling“ auf Abstellgleis zu schieben, völlig unverständlich. Wo bitte wären denn Filme wie „Cruella“, „Nightmare Alley“, „Dune“ und mit Abstrichen „Cyrano“ und „Coming 2 America“ ohne die Künstler mit Kamm und Pinsel, die auch uns wohlbekannten Gesichtern unglaubliche neue Facetten entlocken? Ganz besonders der vermutliche und verdiente Gewinner „The Eyes of Tammy Faye“ zeigt buchstäblich von der ersten Minute an, wie wichtig diese Disziplin ist. Jessica Chastain als Favoritin für die beste weibliche Hauptrolle wäre nicht in der Position ohne die sensationelle Maske. Und bleiben wir beim selben Film: Andrew Garfield? Der Vergleich zu „tick, tick…BOOM!“ macht sicher! Weniger sicher bin ich beim ebenfalls nominierten „House of Gucci“. Die großartige Arbeit an Lady Gaga und Adam Driver wird durch die fast schon Gschnas-artig verfremdeten Visagen von Jared Leto und Al Pacino ins Lächerliche gezogen. Schade.


Bestes Szenenbild
Und erneut hat „Dune“ in einer technischen Kategorie die Nase vorn. Schon klar, „Nightmare Alley“, „The Power of the Dog”, “The Tragedy of Macbeth” und “West Side Story” glänzen mit akribischer Detailtreue und großteils wunderschönen und insipirierten Setpieces (Der Wald in „Macbeth“! Der Rummeplatz in „Nightmare Alley“!). Aber sind wir uns ehrlich: ganze Welten zu erschaffen, und das mit der Bürde der ohnehin schon nicht schwachen Vorgabe eines David Lynch, dafür gehört dem Team von „Dune“ schon aller gebührende Respekt. Alleine schon für die innovative Neuinterpretation der Fluggeräte. Irre.


Bester Schnitt
Von allen gemobbten Kategorien die wahrscheinlich wichtigste. Und daher die unverständlichste Entscheidung. Schnitt ist DAS essenzielle Tool aller Filmemacher, in seiner Wirkung und seinen Möglichkeiten noch viel wichtiger als Kamera, Ton, Maske usw. Von Orson Welles über Hitchcock bis zu Tarantino definieren sich die größten Filmemacher in erster Linie über den Schnitt, denn dieser bestimmt Tempo, Dramaturgie und letztendlich die ganze Erzählweise. „Memento“ als wahrscheinlich extremstes Beispiel sei nur genannt. Doch kommen wir zum aktuellen Teil. “Don’t Look Up”, “Dune”, “King Richard”, “The Power of the Dog” und “tick, tick…BOOM!” sind nominiert. Eine Prognose traue ich mir hier kaum zu, für mich sind jedoch “Dune“ und “tick, tick…BOOM!” die Filme, die das Instrument am besten einsetzen. Der Rest: eh auch, aber mit weit weniger Effekt. Oder praktisch gar keinem hust „The Power of the Dog“ hust.


Abschließend, falls es noch nicht aufgefallen ist: ich hoffe inständig, dass „The Power of the Dog“ mit seinen völlig übertriebenen 12 Nominierungen mit entsprechend wenig Ausbeute auf einen verdienten hinteren Platz zurückgestutzt wird, damit uns eine Peinlichkeit wie die sieben Oscars für „Gravity“ erspart bleibt. Es sind, wie schon mehrfach erwähnt, dieses Jahr sehr schwierige Entscheidungen, auch, weil wieder einmal ein alles überragendes Meisterwerk für die Ewigkeit fehlt. That said, ist es auch dieses Jahr wieder unbegreiflich, wie manche Filme oder individuelle Leistungen einfach nicht beachtet wurden. Filmfreunde, mitschreiben, hier kommen ein paar Tipps abseits des Red Carpet! Als Ganzes völlig unverständlich übergangen wurden „The Last Duel“, „Titane“, „Nine Days“, „The Card Counter” und “Mass”. Schauspielerische Exzellenz wie Simon Rex in „Red Rocket“, Jennifer Hudson in „Respect“, Zendaya in „Malcolm & Marie“, Cooper Hoffman in „Licorice Pizza“, Lady Gaga in „House of Gucci“, Peter Dinklage in „Cyrano“ oder der gute, alte Nicolas Cage in „Pig“. Unverständlich. Die Kostüme in „Last Night in Soho“? Wurscht. Die Musik von „Annette“? Auch egal.

Aber ja. Macht nur so weiter, liebe Academy. Die Golden Globes, als ehemals zweitwichtigster Filmpreis in Hollywood, sind schon – zu Recht – in den letzten Jahren in die Lächerlichkeit abgerutscht. Das sollte eine Warnung sein. Viele Schauspieler legen mittlerweile mehr Wert auf eine Auszeichnung der Screen Actors Guild, Filmemacher lugen gerne Richtung Cannes und BAFTA, und mit den aktuellen Dummheiten schwinden auch die Mitglieder…

Jetzt aber wirklich genug lamentiert. Es sind ein paar wirklich sehenswerte Filme dabei, die man dank Streaming großteils bequem daheim nachholen kann. Viel Vergnügen, und spannendes Mitfiebern bei der Zeremonie in der Nacht!

Die Oscar-Verleihung wird in der Nacht von 27. auf 28. April ab 02:00 Uhr auf ORF 1 Live übertragen.