Film & Serie
Kino-Knüller Katastrophe
Unglück, Alieninvasion, Zombieapokalypse, Naturkatastrophe. Was im echten Leben Panik und Betroffenheit auslösen würde, lässt uns im Kino das Popcorn erst so richtig schmecken. Warum der formelhafte Katastrophenfilm als Filmgenre nicht totzukriegen ist.
Text: Markus Höller / Fotos: Getty Images
Ich gebe es gerne zu: Obwohl ich mich privat und auch redaktionell umfassend mit Filmen aller Art beschäftige, sind Katastrophenfilme eines meiner Guilty Pleasures. Ich schäme mich nicht, zu schreiben, dass ich mir seinerzeit „Independence Day“ alleine im Kino dreimal angesehen habe und seither auch noch öfters im Heimkino, als man allgemein für normal hält. Und ich bin nicht alleine! Jedes Mal, wenn Hollywood einen Streifen präsentiert, in dem Unsagbares über Menschen, die Welt und aus irgendeinem Grund auffallend oft New York City hereinbricht, schlagen Kritiker (auch ich) aus formalen Gründen die Hände über dem Kopf zusammen, nur um dann breit über die mit Popcorn gefüllten Backen zu grinsen, wenn unter beherztem Einsatz des Subwoofers spektakulär ein Gebäude einstürzt, ein Zug entgleist oder ein Meteorit wo einschlägt. Warum? Ein Erklärungsversuch.
Ich weiß nicht mehr genau, welcher Klassiker der erste dieser Art von Filmen war, die ich am Schwarzweißfernseher der Oma in FS1 gesehen habe – „Erdbeben“ oder „Das Poseidon Inferno“. Diese beiden stehen, wenn auch aus einer vergangenen Ära, exemplarisch für das grundlegende Produktionskonzept, das immer funktioniert. Erstens: Sichere dir ein großes Budget für zeitgemäße Spitzentechnik, damit die Qualität passt und der Film nicht zum unfreiwilligen Trash wird. Zweitens: Besetze den Film bis in die Nebenrollen mit so viel angesagten und aufstrebenden Stars wie möglich – habe aber keine Hemmungen, den einen oder anderen möglichst heldenhaft und/oder tragisch über die Klinge springen zu lassen. Drittens: Irgendeine Lovestory muss rein. Und viertens: Think big. Katastrophenfilme funktionieren am besten, wenn ein kompletter Ozeandampfer, ein Gebäude oder überhaupt die ganze Welt den Bach runtergehen, während die Kamera unterschiedlichen, auf irgendeine Art und Weise miteinander verknüpften Charakteren mit möglichst unterschiedlichen Backgrounds folgt.
Dabei kann man ruhig auch aus Gründen der Effekthascherei mal Kontinuität und Ratio über Bord werfen. Es handelt sich beim Katastrophenfilm um eine hochgezüchtete Form des Popcornkinos, da zählt der Wow-Effekt, nicht der tiefere Sinn. Warum zum Beispiel muss das Shuttle, das in „Armageddon“ auf dem heranrasenden Meteoriten landet, mit einer Gatling-Kanone ausgestattet sein? Niemand weiß es. Es ist auch aussichtslos, sich bei jeder dritten Szene zu fragen: „Ja, aber warum?“ Ebenso darf man diese Art von Filmen auch nicht allzu genau unter die Lupe nehmen, was Political Correctness betrifft. Mit großer Freude werden in diesen Streifen Klischees und Vorurteile, oft an der Grenze zu Rassismus oder Sexismus, bedient, ganz einfach deswegen, weil man sich zugunsten der Action nicht mit langen Charakterstudien aufhalten will.
Wieso sind diese Filme, die also keinen intellektuellen Mehrwert oder sonstige Stimulanz beinhalten, so populär – auch und gerade in Krisenzeiten und angespannten persönlichen Situationen?
Simpel: Eskapismus und Inspiration. In rund zwei Stunden kann man sich dank ständig stattfindenden Actionfeuerwerks und sülzigen Dramas komplett in die Kinowelt flüchten, weiß meistens eh schon am Anfang, wie es ausgeht (und wer überlebt) und kann das Hirn in den Leerlauf gleiten lassen. Das Schöne dabei ist, dass auch ein stumpfes Instrument wie der Katastrophenfilm trotzdem noch ein paar feine Abstufungen hat: Naturkatastrophen aller Art, unwahrscheinlicher Unfall, Invasionen von Aliens, Monstern (oder beidem) oder Endzeitapokalypsen. Und was sich halt gerade schön auf die allgemeinen Umstände projizieren lässt, schafft ein wenig wohligen Schauer. Nicht anders ist es zu erklären, dass gerade in der Zeit des Corona-Lockdowns Virendramen wie „Outbreak“ oder „Contagion“ auf den Streamingportalen verfügbar gemacht und entsprechend häufig konsumiert wurden. Der real umgehende Virus da draußen wird klein im Vergleich zu dem auf der Mattscheibe, wenn ein paar wackere Helden am Ende doch eine Lösung zur Rettung der Welt finden. Alles wird gut.
Vor allem aber ist es der positive Ausblick, der speziell in den Hollywood-Versionen die Essenz der Menschheit präsentiert: In Krisensituationen rücken die meisten Menschen zusammen. „Aufgeben tut man einen Brief, gemeinsam schaffen wir das“, so das unausgesprochene Credo der Protagonisten. Egal, ob verwüstete Stadt, gekentertes Schiff, brennendes Hochhaus, Flut, Wirbelsturm, Monster oder Pestilenz: Am Ende setzt sich, wenn auch unter großen Opfern, der Mensch mit seiner einzigartigen Empathie, seinem unbändigen Willen, zu überleben, und seinem Improvisationsgeschick durch. Das erleichtert, lässt hoffen, daraus nimmt man jede Menge positive Energie mit, wenn am Ende die Credits laufen. Und das ist doch eigentlich etwas sehr Schönes!
Master of Disaster
Der Deutsche Roland
Emmerich gilt als der Spezialist für Katastrophen- und Endzeitspektakel aller Art. Wiewohl der gebürtige Schwabe anfangs mit Science-Fiction-Filmen wie „Universal Soldier“ und „Stargate“ in Hollywood den Durchbruch schaffte, war es sein 1996er Megablockbuster „Independence Day“, der das etwas aus der Mode gekommene Genre wiederbelebte. Danach folgten ein (eher nicht so tolles) Remake von Godzilla, Der Klima-Katastrophinger „The Day After Tomorrow“ und „2012“.
Seither hat sich Emmerich bis auf die verzichtbare Fortsetzung von „Independence Day“ aus dem Genre zurückgezogen und widmet sich vornehmlich dem großen, patriotischen Actiondrama à la „Midway“. Preise oder gute Kritiken haben ihm seine Inszenierungen keine eingebracht, mit einem geschätzten Vermögen von rund 200 Millionen Dollar lässt sich das aber ganz gut verschmerzen.