GENUSS

Subversive Schlucke

„Zur Erholung kommt ein Musikpro­duzent in die Obersteiermark. Es ist der Agent mit dem Riecher für den Trend …“ Ja, zum Einstieg gibt’s diesmal ein wenig Retro-Lyrics (wer erkennt sie?). Weil: Glaskugeln wurden für meinen Geschmack genug ausgepackt in letzter Zeit. Als Mann des bezahlten Wortes rieb man sich (verbotenerweise) die Augen, in wie vielen Varianten man „es wird heftig werden“ formulieren kann. Womit wir beim Musikproduzenten wären, mit dem das Fastenbrechen (= erster Tag beim Wirten) nach Corona-Kasernierung begangen wurde. Ort des Geschehens war zwar nicht die Obersteiermark, aber der Hochwechsel war zumindest schon im Blickfeld meines Freundes. Vor allem aber hatte Mister K. wieder einen Trend ausgemacht.

Es sprach nicht der Cabernet (Wellanschitz „Rüsselsgrund“ 2015), der nach den Seideln und dem Veltliner-­Federspiel aufgetragen wurde, aus ihm. Es war auch kein Verhören möglich. Außer der Stammtischrunde, die nach Marder-Kot-Sichtung einen Gas-Angriff im Vorgarten plante, war keiner da. „So schlecht war das gar nicht“. Das hatte der Musikproduzent offenbar wirklich über den „Lockdown“ gesagt. Einem Rettungsgriff zur Flasche zuvorkommend, setzte er hinzu: „Da haben sich jetzt einige zurückgenommen“. Plötzlich erreiche er Menschen wieder, die immer zu „busy“ für Rückrufe waren. Oder schlicht im Homeoffice nicht vom Vorzimmer-Modell CINZ (= Chef ist nicht zugegen) abgeschirmt werden.

Arroganzkiller Corona also. Dass die neue Bescheidenheit mit Bescheid-Wissen einhergeht, sei ihm ebenfalls aufgefallen. Dass etwa der Wirt des Vertrauens Torten anbiete, habe er erst bei den Heimlieferungen herausgefunden. Da ist schon was dran. Wenn man plötzlich täglich (über-)lebt, wo man sonst nur die Füße hochlagert, mutieren die Menschen. Da trifft man den per Radl einkaufenden Vorstandsvorsitzenden an der Wursttheke. Geht zwar auf Kosten der Seriosität – „nochmal in dieser Kurzen, und ich löse das Konto auf, Herr Direktor!“ –, ist aber menschlich. Witzig auch die Touren, die Topsommelier Alex Koblinger („Döllerer“) zum Altglascontainer unternahm. Denn das wahre Leben besteht nicht aus Spesen­rittern und ihren Premier Crus. Darauf noch eine Flasche Wellanschitz! Klassenkampf und Wirten-Rettung müssen kein Widerspruch sein. 


Roland Graf
Der bekennende (und in der heimischen Gastroszene Bunthund-bekannte) Genussmensch ist unermüdlich auf der Suche nach dem guten ­Geschmack.

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