AKUT
KEINE ANGST
ANGST bringt nix … wenn man nicht davonrennen kann. Und das ist bei den aktuellen Gefahren für unsere Spezies leider der Fall. Die Welt wird trotzdem nicht untergehen. Zumindest nicht jetzt.
Text: Franz J. Sauer / Fotos: Adobe Stock, Eryk Kepski
Keine Angst! Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Seit eigentlich recht früh im Leben beschäftigen mich Ängste. Vor allem jene vor dem nicht Greifbaren. Jene, um die es keine „Ways around“ gibt. Ein paar Beispiele gefällig?
Vor dem großen bösen Alex in der Gasse, der einen immer verhauen will, kann man sich verstecken. Indem man nicht rausgeht, wenn er grad mit dem Rad unterwegs ist. Oder man kann seinen Schulweg so wählen, dass man eben nicht an dessen Haus vorbeigeht. Oder man kann sich als Zehnjähriger über Regenwetter freuen, weil man dann der Mutter nicht erklären muss, warum man gerade partout keine Lust darauf hat, mit all den anderen Rad fahren zu gehen. Die Alex-Gefahr ist also greifbar, man hat es in der Hand, darauf zu reagieren, kann was tun. Und sie ist relativ leicht aus der Welt zu schaffen, was man ebenfalls selbstständig bewerkstelligen kann. Indem man sich ganz einfach mit dem Alex anfreundet.
Vor dem Atomkrieg, der eine Welt zurücklässt, in der man nicht mehr leben will, kann man sich nicht verstecken. Weil – wohin will man fliehen, wenn die Waffenproduzenten und Kriegsführer dieser Welt so vorsorglich waren, derart viele Atompilzproduzenten einzulagern, dass sie die Menschheit gleich mehrfach ausrotten können? Und Einfluss darauf, wer zuerst den berühmten Knopf drückt, und vor allem, warum, hat man schließlich auch nicht. Man kann also nur doof dasitzen, sich fürchten und Nachrichten hören, damit man erfährt, ob jetzt schon wer gedrückt hat oder eh noch nicht. Noch schlimmer, in Zeiten des Internets: Man kann online nachschauen, ob schon was passiert ist. Und das, wenn man muss, auch alle zehn Sekunden.
Man kann nur doof dasitzen, sich fürchten und Nachrichten hören, damit man erfährt, ob jetzt schon wer gedrückt hat oder eh noch nicht.
Ganz so binär ist die Sache mit den Ängsten freilich auch nicht. Schließlich schützt die allumfassende Vorsorgeuntersuchung inklusive „Stirdln“ in alle verfügbaren Öffnungen den bekennenden Hypochonder kaum davor, hinter der Floskel „Alles in Ordnung!“ ein paar fiese Kunstfehler zu vermuten, und zwar schon bevor er nach der Befundbesprechung die Ausgangstür der Arztpraxis erreicht hat. Auch hier liefert die Ferndiagnose von Dr. Google ein verlässliches Störfeuer gegen die ärztlich verbriefte Sachlage. Überhaupt lässt sich in Zeiten von Social Media so ziemlich jede krude Selbsteinschätzung irgendeiner Lage, egal ob pandemisch, weltpolitisch oder nur aufs Furunkel am Luxuskörper bezogen durch irgendwelche Online-Beiträge untermauern. Man muss nur kurzsichtig genug danach suchen.
Keine Angst bringt heute mehr was
Angst hemmt, lähmt, fühlt sich furchtbar an und versaut einem solide das Leben, wenn man ihr genug Platz einräumt. Anders sieht das freilich der Experte. So ziemlich jeder Psychotherapeut wird einem die Angst an sich zunächst als etwas Positives verkaufen. Weil man ja durch Angst auf Gefahren aufmerksam wird, die einem sonst das Leben kosten könnten. So sorgt etwa Angst dafür, dass die Verdauung in Gang kommt, um uns von unnötigem Ballast zu befreien („Ich scheiß mich an!“), falls Flucht nötig wird. Und sie hebt unseren Adrenalinspiegel, der erhöhten Aufmerksamkeit wegen und damit wir, wenn Davonlaufen keine Option mehr ist, keine Angst bei der unausweichlichen Konfrontation fühlen. Übertragen auf die simplen Gefahren, die dem durch den Urwald wandelnden Frühmenschen dereinst so auflauerten macht das Sinn: Huch, ein Säbelzahntiger, nichts wie weg. Huch, mein linkes Bein tut weh, womöglich ist da was kaputt. Huch, ein Adler versucht gerade mein Junges zu klauen, dem brenn ich jetzt aber eins aufs Gefieder.
Gegen Kreml, Krankheit oder Klimawandel hilft es allerdings wenig, mit vollen Hosen in der Ecke zu kauern. Nein: Es bringt sogar gar nix.
Keine Angst – wovor eigentlich?
Vielleicht sollten wir an dieser Stelle ein wenig abstrahieren. Fürchte ich mich wirklich vor Wladimir Putin? Wohl kaum, schließlich kenne ich den Kerl nicht persönlich und schon gar nicht telefoniere ich regelmäßig mit ihm. Corona hatte ich im Jänner, der Verlauf war milder als jener der sonst um diese Jahreszeit üblichen Verkühlung, wo ich mich angesteckt habe weiß ich auch nicht. Und der aktuelle April ist, ebenso wie der März davor, einer der kältesten der letzten Jahre, bloß im Februar war es etwas wärmer als sonst üblich, genauso übrigens wie im Februar 1975, wie Fotos verraten, die meinen Vater und mich kleinen Knirps beide in kurzen Hosen dabei zeigen, wie wir gemeinsam das nagelneue Auto waschen. Schwer vorzustellen, dass sich die Welt in Kürze am Klimawandel verbrüht.
Keine Angst, es ist nur: Liveticker-Journalismus
Sie ahnen worauf das hinausläuft: Gäbe es keine Medien, würden mich die aktuellen Geschehnisse nicht einmal beschäftigen. Den unmittelbaren Auslöser für Ängste erzeugt erst das Wissen darum, was sich in der Welt so tut. Nun kann man sich als Österreicher ja glücklich schätzen, den meisten, seriösen Medien darin vertrauen zu können, kein allzu gestörtes Verhältnis zur Wahrheit zu haben. Eines, das nicht von Autoritäten bedroht wird und für dessen Einhaltung Journalisten sorgen, die ihr Handwerk gelernt haben und sich einem gewissen Kodex verpflichtet fühlen.
Schließlich zählt der Klick und den bekommt die am lautesten schreiende Headline …
Aber auch hier nagt der Zeitgeist am Gebälk. Die Taktzahl der Meldungen, ins Vielfache beschleunigt durch das Internet einerseits und Social Media andererseits, erfordert vor allem bei der Formulierung von Überschriften Kreativität. Schließlich zählt der Klick und den bekommt die am lautesten schreiende Headline. Und wenn man einst im Mittagsjournal, dann später in der ZiB und vielleicht noch in der Abendausgabe der präferierten Tageszeitung vom neuesten Stand der Dinge erfuhr, so schildern heute auf allen großen Portalen eifrige Liveticker die latest News im Kriegsgeschehen. So ein Liveticker will befüllt werden – was die Qualität der minütlichen Meldungen nicht zwangsläufig erhöht.
Nicht wenige der schnell rausgehauten Postings werden nachher relativiert. Oder erklärt. Oder in einen Zusammenhang gestellt, der zunächst nicht absehbar war. Besonders dann, wenn Tweets, Insta-Posts oder Facebook-Einträge zum Inhalt von Meldungen werden. Eine Unart, die besonders die Präsidentschaft Donald Trumps zum Standard erhob, der ja gerne ausschließlich via Twitter kommunizierte. Kennt man sich nun aus im Konsum von Medien – und es sei als bemerkenswert herausgestrichen, dass so ein Know How überhaupt gefragt ist, was es letztlich nötig macht, „Nachrichten in einfacher Sprache“ auszustrahlen – weiß man die jeweilige Meldung zu werten. Und misst einem offiziellen Pressestatement oder Face to Face geführten Interview mehr Bedeutung zu als einem Tweet, der womöglich gar nicht vom Inhaber des jeweiligen Accounts persönlich verfasst wurde. Aber was wenn man derlei nicht deuten kann oder will?
(Keine) Angst vor medialem Getöse …
Als nun das unheilbringende Gerumpel um die Ukraine losging, versuchte ich in Gesprächen mit Therapeuten, aber auch durch genaues Hineinhören in mich selbst die unmittelbare Ursache meiner Beklemmungen herauszufinden. Und kam zu dem Schluss: Viel mehr als vor den unmittelbaren Auswirkungen eines Krieges in der Ukraine auf mich oder mein näheres Umfeld hatte ich Angst vor dem medialen Getöse rundherum, das den einem jeden Kriege innewohnenden Schrecken erst greifbar machen würde. Und meine Erwartungen wurden kaum enttäuscht.
Social Media wird oft als Durchlauferhitzer bezeichnet. In Bezug auf das Thema Angst stimmt das nur mittelbar. Unmittelbar werden Meldungen und Gegebenheiten, die Angst machen, durchlauferhitzt, und zwar so lange bis sie glühen. Die richtigen Antworten werden dabei gleich mitgeliefert, nämlich in den Kommentarspalten. Wer hier keine Lust auf Widerspruch verspürt, erkennt besser schnell, in welche Richtung der Fluss fließt und ordnet sich brav ein. Sonst läuft er Gefahr, per Shitstorm zurechtgewiesen zu werden. Diskurs ist nämlich kaum gefragt auf Twitter und Co, was wiederum sowohl die öffentliche, als auch die veröffentlichte Meinung effizient beeinflusst. Weil ja ein Facebook-Thread an sich bereits eine Meldung ist, heutzutage, auch wenn er mit journalistischer Sorgfalt aufbereitet wird. Und ehe man sich versieht, wird aus einer heißen Meldungsflut ein glühender Lava-Strom.
Diskurs ist nämlich kaum gefragt auf Twitter und Co, was wiederum sowohl die öffentliche, als auch die veröffentlichte Meinung effizient beeinflusst.
Derlei schafft zwangsläufig Angst, wenn man es nicht schafft, sich abzugrenzen. Angst, die sich aufschoppt wie eine Schneewelle vor der Schaufel. Und die irgendwann zum Problem werden kann, einen lähmt, deprimiert. Und in eine Abwärtsspirale zieht, aus der man ohne Hilfe nicht mehr herausfindet. Wenig verwunderlich, dass die Corona-Pandemie für einen Boom in der Therapie-Branche sorgte, eine Entwicklung der der Ukraine-Krieg zusätzlichen Aufwind verschaffte. Anrufe von Menschen, die von ihrer Angst bereits so in Besitz genommen werden, dass sie nicht mehr schlafen können, sind etwa beim Krisendienst des Psychosozialen Notdienst Wien (www.psd-wien.at) tägliche Praxis, wie dessen Chefarzt Prim. Dr. Georg Psota berichtet.
„Im Akutfall geht es darum, jemanden ins Hier und Jetzt zu holen. Seine Angst unter Kontrolle zu kriegen bedeutet Realitätskontrolle. Man versucht dann im Gespräch darzulegen: Wir sind beide in der selben Stadt, im gleichen Umfeld, hier ist alles ruhig, im Hier und Jetzt und Heute.“ Natürlich hängt die individuelle Behandlung von der jeweiligen Anamnese ab, etwa ob der Patient schon eine Krankengeschichte mit Angststörungen hat oder erstmals damit kämpft. „Generell neigen Menschen mit Angstzuständen zu drei Arten von Reaktionsmustern: Fight, Flight oder Freeze. Demgemäß kann man Mechanismen entwickeln, um aus der Akutbelastung herauszukommen. Ein altes Hobby aufleben zu lassen und sich ihm akribisch zu widmen ist beispielsweise eine höchst legitime Form der Flucht („flight“). Durch aktives Tun, etwa Hilfe zu leisten, hier, im sicheren Wien, die Angst zu bekämpfen („fight“) kann auch gut sein. Die schlechteste aller Reaktionen ist sicherlich zu erstarren und sich acht mal am Tag die bedrohlichen Nachrichten auf allen möglichen Kanälen abzuholen. Dieses „Freeze“ schränkt unser Leben, Lieben und Arbeiten ein. Und genau dort beginnt aus der Angst eine Erkrankung zu werden.“
Im Akutfall geht es darum, jemanden ins Hier und Jetzt zu holen.
Dr. Georg Psota
Wir lernen also: Angst bringt nix. Weder verändert sie die Situation, die wir als bedrohlich empfinden, noch hilft sie uns körperlich, eher im Gegenteil. Dies derart intensiv zu verinnerlichen, dass es auch wirklich funktioniert, schreibt sich freilich leichter hier nieder, als es im echten Leben zu bewerkstelligen ist. Dr. Psota (der mit Michael Horowitz gemeinsam das Buch „Angst – Erkennen, verstehen, überwinden“ verfasst hat, Infos unter: www.residenzverlag.com) rät als Akutbehandlung jedenfalls zu radikaler Medienabstinenz und einfachen Achtsamkeitsübungen, die helfen sich auf das Jetzt zu konzentrieren und die mutmaßlich lebensbedrohliche Zukunft in die weite Ferne zu schieben.
Oder wie es der britische Comic-Autor und Schriftstellers Warren Ellis sagenhaft simpel auf den Punkt bringt: „Are you afraid of the future? That is funny because future does not exist yet! Future is not even a shadow, because shadows exists!“