AKUT
Wer versteht Millennials?
Erstmals gibt der Name einer Bevölkerungskohorte Auskunft über ihre Lebenszeit. Die Millennials sind all jene, die um die Jahrtausendwende etwa 15 Jahre alt waren, vor etwa zehn Jahren ihre Volljährigkeit erreichten und nun am Beginn ihres Berufslebens stehen. Bemerkenswert zudem: Noch selten haben zwei Generationen einander so wenig verstanden wie X und Y. Woran kann das liegen? Wir versuchen eine Annäherung.
Text: Franz J. Sauer / Foto: Hilde Van Mas
Und schon wieder macht der 74 geborene Spät-Babyboomer einen Denkfehler. Matura? Schon. Aber welche? Fachhochschule, HTL oder wirklich noch Gymnasium? Dann der Führerschein. Befindet sich im Begehrlichkeiten-Ranking zumindest bei den urbanen Millennials ganz weit hinten. Lehrabschluss? Vielleicht. Obwohl – der moderne Handwerker, sprich: App-Programmierer ist meist Autodidakt. Und die erste Wohnung? Also das hat wirklich noch keine Eile, das komfortable Hotel Mama gegen Eigenverantwortlichkeit zu tauschen.
Auch das mit den unbezahlten Praktika, dem Sich-einen-Haxen-Ausreißen für einen coolen Job, das mit dem Möglichst-schnell-auf-eigenen Beinen-stehen-Wollen hat sich längst aufgehört. Und ein neuer Begriff greift langsam um sich, den, freilich mit anderem Wording, schon unsere Großeltern kannten: Wenn Opa „Work-Life-Balance“ meinte, sagte er sinngemäß, er lebe nicht, um zu arbeiten, sondern umgekehrt.
Ein Lebensstil, den vor allem die Yuppies der Achtziger, also die Eltern der sogenannten Generation Y (was ebenso als Generationsbezeichnung funktioniert, aufgrund der phonetischen Änlichkeit zum raunzerten „Why?“ aber eher unbeliebt ist) verabscheuten. Ihr Ziel war die gnadenlose Selbstausbeutung im Dienste des Erfolges, stets monetär messbar. Was auch ganz gut funktionierte, so zirka ab 87, also als qua Perestroika zur düsteren Zukunftsvision eines finalen Atomkrieges doch wieder Alternativen auftauchten, bis vielleicht 96, mit kurz aufflackernder Zugabe rund um 2001, als die erste Netz-Blase platzte. Spätestens ab dann war Schluss mit rosiger Zukunft für uneingeschränkt Arbeitsbereite und spätestens als die katastrophöse Wirtschaftskrise 2008 (Juhu, Jubiläum! Mehr dazu auf Seite 34) durch alle Köpfe geisterte, schlugen die damals Heranwachsenden einen anderen Weg ein.
Und stoßen uns alte Säcke nun rechtschaffen vor den Kopf, wenn wir auf sie in der Geschäftswelt treffen. Er würde die ausgeschriebene Stelle bei uns gerne mal „ausprobieren“, meinte der 24-jährige Bewerber, schließlich habe er derlei noch nie gemacht, Medienmarketing. An der selbstbewussten Gagenvorstellung änderte das freilich wenig. Alternativ schlug er eine 20-Stunden-Lösung vor. Er lege nämlich Wert auf viel Freizeit, weshalb er es sich auch bereits angewöhnt habe, ziemlich genau auf seine Arbeitszeiten zu achten. Am Wochenende sei das Firmentelefon sowieso abgedreht und wenn wir gelegentlich ein Testauto für einen Wellness-Ausflug mit der Freundin (man sei bereits seit 12 Jahren beisammen …) drauflegten, könnte er sich durchaus überreden lassen, bei uns anzufangen.
Der andere, etwas ältere Millennial bekannte schon nach vier Monaten des geringfügigen Homeoffice-Angestelltenverhältnisses und ungefähr ebenso vielen Meetings (wobei erst beim vorletzten erstmals so etwas wie ein Leistungsnachweis verlangt wurde), dass er vielleicht doch nicht der Richtige für den Job sei, uns aber dafür bei der einvernehmlichen Kündigung keine Urlaubsansprüche in Rechnung stellen würde.
Die dem zugrundeliegende Denke bekam ich wenig später von der Tochter eines Freundes erklärt, die soeben – wie die meisten ihres Alters – ein Studium begonnen hatte. Ihre Jahrgangsgenossen hätten längst realisiert, dass man durch ehrliche Arbeit und rechtschaffenes Abrackern nicht (mehr) ans große Geld kommen würde, zumindest nicht ohne ein gerüttelt Maß an krimineller Energie. Warum sich also zum Affen machen, der spätestens mit vierzig ins Burnout rasselt?
Derlei macht nun nachdenklich. Wer sind nun die Idioten? Wir, die wir uns in den Anfangszeiten regelrecht daran begeilten, die Nächte der Schlussproduktionen auf der Redaktionscouch zuzubringen, weil sich heimfahren zeitlich nicht ausgegangen wäre? Oder die frechen Fratzen, die uns, wenn wir die sogenannte „Extrameile“ verlangen, stolz die Zunge oder gleich den „G’streckten“ zeigen und lieber Daumen drehen, als sich für die Aussicht auf irgendwann mehr Kohle den Arsch aufzureißen?
Diese Ausgabe des WIENER (Print und online) versucht den Generation-Gap zur Generation Y zu überwinden. Lässt ein paar junge Wilde wie die formidable Frederika Ferkova (frisch von Vice zum WIENER gewechselt), unsere Motorblock-Dudes Maxi Barcelli und Jakob Stantejsky (beide übrigens angenehm wohltuende Ausnahmen der Gen-Y-Regel) oder auch den hochbegabten Sandro Nicolussi zu Wort kommen. Beleuchtet das Partyverhalten der Jungen sowie ihr Verhältnis zum anderen Geschlecht, erklärt uns, wie man mit einer geradezu unsäglichen Infoflut spielend zurechtkommt, und zeigt uns doch recht unverblümt auf, was wir so alles falsch gemacht haben.
Dafür versuchen wir Xler uns an einer Annäherung. Schlichtet Mastermind Manfred Sax die wichtigsten Merkmale der Generation Millennial in ein übersichtliches ABC, erklärt uns Edelkritiker Samir Köck, warum er Yung Hurn so geil findet. Klagt Millennial-Vater Manfred Klimek, gewohnt wortgewandt wie streitbar, die mitunter von ihm großgezogene Generation ob ihrer Trägheit an und erklärt uns Altrocker Markus Höller, warum der Rock der Millennials Hip-Hop heißt, hinterlegt mit Feldforschung beim letzten Frequency Festival.
Zur Illustration des Themas meldet sich Art-Direktor Winkler diesmal aus Valun, Kroatien, wo er in den Herbst hineinurlaubt. Diesmal sei es Zeit für Jungs am Cover, am besten einen feschen Millennial, und zwar einen, den man kennt. Schnell waren die tollen Hilde-Van-Mas-Porträts von Johannes Nussbaum aus dem Archiv geholt, für ein Porträt des feschen Shootingstars, den es derzeit verstärkt ans Theater zieht, war es eh längst Zeit.
Hilde Van Mas
gebürtige Italienerin, war Balletttänzerin, Model, Beautyredakteurin und fand vor etwa drei Jahren ihre Bestimmung als Modefotografin. Ihre besondere Begabung sieht sie und sehen auch wir darin, Porträts durch viel Einfühlungsvermögen und Talent zu besonderen Abbildern von Personen aufzuwerten, die oft mehr aussagen, als damit beabsichtigt war. Die Bilder von Johannes Nussbaum stammen aus mehreren spontanen Shootings, mehr zum Künstler selbst kann man hier nachlesen. Infos zu Hilde Van Mas via Instagram.