AKUT

MANFRED KLIMEKS LINSE

Franz J. Sauer

DAS WAR MANFRED KLIMEK – Autorenfotografie 1982 – 2012. Vom 12.9. bis 10.11.2023 in der Galerie Kolonie5.

Von Zeit zu Zeit seh ich den Klimek gern. Und hüte mich mit ihm zu brechen. So postete ich stets nach den seltenen, aber immer spannenden Treffen – bis er mich blockiert hat, in seinem zweiten Wohnzimmer, dem Facebook (man hört, er hat dem jetzt den Rücken zugekehrt, deshalb „DAS WAR“ vorm Manfred Klimek, nun soll er aber auch wieder zurück sein. Keine Ahnung, ich bin ja, wie gesagt, blockiert – Hauptsache, Klimek lebt!). Kein Einzelschicksal, diese Blockade! Der Grund dafür war mal wieder eine jener selbstdarstellerischen Explosionen, mit denen sich einer wie der Klimek gerne produziert. In deren Rahmen er, wie vor einem Gerichtshof, in dem er Richter, Ankläger und Kiebitz in Personalunion gibt, Antworten für irgendwelche Absurditäten fordert, ich möge mich erklären und hätte dafür Zeit bis drei, zwei, eins, JETZT! Ich weiß gar nicht mehr, worum es ging, er sicher auch nicht. Oja, jetzt fällts mir wieder ein: Ich würde der Reputation des WIENER schaden, wenn ich mich nicht deklarierte. Zu irgendeinem Thema. Autos. Oder doch Musik? Die von mir geliebten und ihm verhassten Dire Straits? Was weiß ich …

Über den WIENER hatten wir uns kennengelernt, der Klimek und ich. Das war im Jahr 2001, als er dort Fotochef und Autor war und ich als kleiner Motorredakteur gerademal anfing. Denkwürdig bleibt das erste Zusammentreffen mit dem Genie in illustrer Runde, der neben Chefredakteur Peter Mosser auch etwa Michel Reimon, heute streitbarer, grüner Parlamentarier, damals Chef vom Dienst, angehörte. Klimek starrte mich an von der Seite, er saß rechts neben mir. Seine gleißenden Augen unter dem Popperscheitel und ober dem obligaten, weißen Hemdkragen, bohrten sich in meine Schläfe. Und kaum hatte ich meinen ersten Satz gesagt, fiel mir der Klimek ins Wort: „Wann kommt der Bus mit de Leit, die des interessiert?“ Ich war erschrocken, hatte ich tatsächlich sowas blödes gesagt? Vom Rest am Tisch wurde die Meldung ignoriert. Auch der zweite Mannstopper von Klimek, weitaus drastischer, in der Tonart, rührte die anderen null: „I RICHT A BLUATBOOD AU!“ Erst da bemerkte Reimon mein Entsetzen und beruhigte: „Das ist der Klimek. Der is immer so, ganz nomal.“

©Erich Reismann

Wenige Wochen später. Klimek kommt in die Redaktion, das ultraslimme Ericsson T36 Klapphandy in der Hand, per Kopfhörer mit dem Klimekhirn verbunden. Er bellt irgendwelche Befehle ins Telefon, scheinbar ist ein Assistent dran. Schließlich rutscht ihm das Telefon aus der Hand, er fängt es am Kopfhörerkabel, knallt es ein paar Mal mit den Worten „Mach Dein Geschäft, mach schön Dein Geschäft!“ gegen die Mülltonne und versenkt es schließlich samt Kopfhörer in dieser. Dann dreht er um, verlässt fluchend die Redaktion. Stunden später steht ein schüchterner Assistent in der Tür: „Ich hole, bitte, das Telefon vom Herrn Klimek. Wissen Sie ungefähr wo es ist?

MANFRED KLIMEK, das Unikat

Als 26jähriger Jungredakteur bewundert man solche Menschen, die zu dieser Zeit übrigens gerade auch Fotochef vom Profil sind. Man liebt es, in deren Umfeld zu sein, mit ihnen zu arbeiten, von ihnen zu lernen, noch mehr aber gegrüßt, später sogar irgendwie akzeptiert zu werden. Erst als ich eine meiner ersten großen Reportagen mache, mit dem Fotografen Kurt Göthans im damaligen Fußballwunder-Ort Pasching einritt, bin ich empört. Keine zehn Sekunden nimmt sich Klimek für die für mich so wichtige Story, fetzt sechs, sieben Bilder aus den 12 Kontaktalben – kein einziges der von mir stundenlang vorausgewählten und -markierten war dabei. Ich kochte vor Wut, schließlich war es ja meine Reportage …

Nun ja, was soll ich sagen. Klimek hatte Recht. Bei der Fotoauswahl, damals, wie das gedruckte Heft wenig später bewies. Er hatte sofort die richtigen Bilder gescannt, in Bruchteilen von Sekunden, völlig Recht gehabt hat er. So wie bei vielen Geschichten und Texten, die er schrieb, nicht nur, aber auch für den WIENER. Diese etwa. Oder diese. Und diese, diese, diese, diese und diese. Oder auch besonders: Diese.

Klimek und Sauer

Und er griff auch oft in den Gatsch, der Klimek. Im persönlichen Kontakt wie in manchen Texten, mit Verve und zumeist lautstark. Etwas, was man als 45jähriger Herausgeber und Chefredakteur dann nurmehr bedingt cool findet, vor allem wenn man selbst im Zentrum des zum sozialmedialen Laserstrahl gebündelten Gatschgriffes steht, bei dem die Fetzen nur so fliegen. Alles Stürme in Wassergläsern. Schon am nächsten Tag toter als der halbe Zentralfriedhof. Sollte man sich daran erinnern, an die ganzen Wickel, die ganzen lächerlichen Streits? Ich halte es da lieber mit Tony Soprano: „Remember when is the lowest form of conversation!“ …

Und trotzdem muss noch ein bisserl geraunzt werden. Über all die vergebenen Chancen des Manfred Klimek. Als Terence Lennox beherrschte er ab etwa 2005 das Standard-Forum, zuerst las man die Story, dann den Lennox dazu, eines ohne das andere war nicht komplett. Leider verpasste er die Gelegenheit, Herrn Lennox per Blog zum echten digitalen Leben zu erwecken – heute hätte er eine Millionen-Followerschaft, die sich fett monetarisieren ließe. Dem Facebook schenkte „Manfred Klimek GC“ in den letzten eineinhalb Jahrzehnten unzählige Geistesblitze, jedenfalls Tonnen an schwergewichtigem Content, der seine „Bubble“ stets am Kochen hielt. Wozu, wofür, warum? Es hat sich mir nie ganz erschlossen. Captain Cork, mit den genialen Klimek-Videos, ebenfalls alle zum Nulltarif an die Netgemeinde verschenkt, wenigstens lange bevor „Bewegtbild-Content“ zum heißen Scheiß im Marketing-Mix wurde – wo sind sie hin? Im Streit ersoffen. Schon wieder Stürme in Wassergläsern, die dann fast immer übergingen. Wickel, die zuweilen vor „übergeordneten Instanzen“ ausgetragen wurden, Beefs, die fast immer eskalierten, bevor sie überhaupt begonnen hätten, irgendeinen Sinn zu machen. Institutionalisierter Wahnsinn, allenthalben. Freilich aber immer inklusive dem bekannten Naheverhältnis zur Genialität. Weil:

MANFRED KLIMEK, der Fotograf

Mit einer Kamera im Anschlag hat sich Manfred Klimek niemals geirrt, niemals auch nur einen Millimeter danebengegriffen. Er hatte immer Recht, was seine Bilder eindrucksvoll beweisen. Bei Motivauswahl, Farbstimmung, Belichtungsschärfe oder Objektivwahl. Er holte aus seinen Motiven stets mehr Wahrheit heraus, als diese gerne preisgegeben hätten. Und er setzte stets unverdrossen nach, wenn noch nicht ganz herausgearbeitet war, was er unbedingt zeigen wollte. Wenn Vorstandsvorsitzende nicht folgten, lieber telefonierten, als zu posieren, lehrte er ihnen Manieren „if I so wish“. Wenn sich Wichtigtuer wichtigtuerisch seinen Anweisungen widersetzten, zeigte spätestens der Fotoabzug im Nachhinein, wie die fotografierte Person unbedingt einzuschätzen sei. Und wenn Gestrandete, Gestrauchelte seinem Objektiv nichts anderes mehr als Trotz entgegenbringen konnten, weil halt auch nix anderes mehr da war, dann gab er ihnen im Dreißigstel einer Sekunde auf Mittelformat ein gerüttelt Maß an Würde zurück.

Manfred Klimek kann per Linse schmeicheln, streicheln, verurteilen, vernichten, klarstellen, verwünschen, niedermachen, hochheben, schönfärben, entstellen, herausarbeiten, hineinlegen. Vor allem dann, wenn er Menschen fotografiert.

© Klimek, Fotosammlung OstLicht
© Klimek, Sammlung Klasmann
© Klimek, Sammlung Klassmann

Unvergessen bleibt eine Wahlveranstaltung, irgendeine FPÖ-Selbstbeweihräucherung am Stock-im-Eisen-Platz und auch der DoktaHaida war vor Ort. Für die Pressefotografen hatte man einen Platz etwa einen halben Meter vor der Bühne, also etwa eineinhalb Meter vom jeweiligen Redner entfernt reserviert. Schlechteste Arbeitsbedingungen also, eigentlich hätten die Fotografen mit Fischaugen oder zumindest sehr weiten Weitwinkel-Objektiven arbeiten müssen, um vernünftige Fotos schießen zu können.

Klimek stand in der Mitte, am nächsten zum Rednerpult. Mit einer 300er-Optik auf der Nikon, mit der er dem Herrn Landeshauptmann oder Parteiobmann oder was auch immer er gerade war, die Pickel aus dem Gesicht fotografierte. Alle schüttelten vorort den Kopf. Was macht der Klimek da schon wieder. Die Antwort ist so einfach wie klar: Die besten Fotos der Veranstaltung.

© Klimek, Fotosammlung OstLicht
© Klimek, Fotosammlung Klasmann
© Klimek, Fotosammlung Klasmann

Und nun zum Pressetext:

Sich ein Bild von der Welt machen? So geht das! Eventuell nur so. Die Kamera als Hebel nutzen, Prügel, Brennglas. Als Axt – frei nach Kafka – für das gefrorene Meer in und um uns. Manfred Klimek hat genau das getan. Das Tag- und Nachtwerk eines Reporters und Portraitfotografen für ein paar der damals aufregenden und auch größten Printmedien im europäischen Raum. Da sind ihm Bilder gelungen, die bleiben werden – aber vielfach erst wieder entdeckt werden müssen.

DAS WAR MANFRED KLIMEK ist die erste Werksschau ausgewählter Arbeiten des 1962 in Wien geborenen Lichtbildners. Autorenfotografie 1982 – 2012. Ein kleinlauter Ton ist den Werken nicht eigen, ihre Exzellenz erschließt sich ohne Anleitung. Es wird kein österreichisches Fotomuseum der Zukunft geben können, das ohne Abzüge dieses Oeuvres auskommt.

© Klimek, Sammlung OstLicht
© Klimek, Sammlung Klasmann
© Klimek, Sammlung Klasmann.

Dem allen ist vollinhaltlich zuzustimmen. Und: Schauen Sie sich das an. Unbedingt!